Schwul-lesbisches Leben: Ein heikles Thema für Religionsvertreter
Unterschiedliche sexuelle Lebensweisen sind für viele ein heikles Thema. Die Frage, ob das Thema bereits in der Grundschule behandelt werden sollte, wurde viel diskutiert. Was Religionsgemeinschaften und Leser dazu sagen.
Lesbisch, schwul, transgender – alles ganz normal? Tagesspiegelleser „Stoic“ wäre froh gewesen, wenn er als Zehnjähriger vermittelt bekommen hätte, dass es okay ist, dass man als Junge auch andere Jungen 'toll' finden könne.„Das hätte mir einige Jahre an Selbstzweifeln bis hin zu Suizidgedanken erspart", schreibt er in einem Leserkommentar. Die Debatte dreht sich darum, ob das Thema sexuelle Orientierung bereits in der Grundschule behandelt werden sollte. Die Meinungen darüber sind geteilt. Kommentator Robert empfindet es als falsch, mit Kindern, die noch keinen Bezug zu Sexualität hätten, über das Thema zu sprechen. Aber was sagen eigentlich die Religionsgemeinschaften?
Die Meinungen der Religionsvertreter sind geteilt
"Schwul-lesbisches Leben ist Realität in Deutschland, deshalb sollte das Thema auch Platz in der Grundschule bekommen", sagte die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Petra Bahr. Kinder würden auf Männer treffen, die Männer küssten und sich dafür interessieren, wie andere Menschen leben. Doch komme es bei dem Thema auf die Vermittlung an. "Es gibt Neigungen, die Kindheit zu sexualisieren und das sehe ich als problematisch an. Denn damit wird den Kindern vermittelt, sich jetzt schon überlegen zu müssen, wie sie leben wollen.", sagte Bahr. Zwar gehe es darum, Respekt für andere Lebensformen zu schaffen, doch sei es auch wichtig, die Wahrnehmung für die klassische Familie nicht zu verlieren, die mehr und mehr ins Abseits gedrängt werde. "Das klassische Modell ist bedroht", sagte die Kulturbeauftragte der EDK. Kinder fänden es faszinierend, dass zwei Männer ein Kind zur Kita brächten und sagten, "dass ist mein Papa und mein Papi. Sie sollen aber auch lernen, dass es nicht zu verachten ist, eine Mama und einen Papa zu haben."
Als generell kein Thema für die Schule stufte die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITITB) das Thema ein: "Sexuelle Orientierung gehört nicht zum Bildungsauftrag der Schulen, sondern originär als Hort der Wertevermittlung in die Familie", hieß es aus der Pressestelle. Von Seiten der katholischen Kirche hieß es in knappen, etwas unklaren Worten, „dass im Schulunterricht eine Orientierung am Leitbild von Ehe und Familie erfolgt, so wie es in Art.6 GG ausgedrückt ist." Der Zentralrat der Juden äußerte sich bisher nicht auf die Anfrage des Tagesspiegels.
In Berlin leben ca. 40.000 homosexuelle Frauen und Männer, die älter als 65 Jahre sind und 20.000 homosexuelle Migranten, heißt es auf der Homepage der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Etwa fünf Prozent aller Heranwachsenden entwickelten eine gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung. Eine oder einer von 3000 sei trans- oder intersexuell.
Das Alter, in dem sich Heranwachsende ihrer sexuellen Identität bewusst würden, liege zumeist zwischen dem 12. und 17. Lebensjahr. "Ich wusste in der Grundschule nicht, was mit mir los war. ich habe einfach nur gemerkt, dass meine Gefühle Jungen gegenüber offensichtlich andere waren. Aus Scham habe ich das sehr lange mit mir herumgetragen, bis mich, tatsächlich, eine umhergereichte Bravo darüber informierte, dass es Liebe zwischen Männern oder zwischen Frauen geben kann", schreibt Roque in seinem Leserkommentar. Anastasia kann sich hingegen nicht daran erinnern, zwischen sechs und zehn Jahren Gefühle für Jungen oder Mädchen gehabt zu haben. „Da war wichtig, ob die genauso gut Rollschuh laufen können wie ich.“ Sie glaubt, ihre Kinder lieber selbst aufklären zu wollen. „Das Thema ist wirklich ziemlich privat.“
Mit Vorurteilen umgehen lernen
34 Prozent der deutschen Bevölkerung lehnen homosexuelle Menschen ab, heißt es auf der Homepage der Senatsverwaltung. "Homophobie ist überall verbreitet – bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund", sagte Jörg Steinert, Geschäftsführer des Lesben und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg. Dabei zeigten gerade Kinder und Jugendliche neben Vorurteilen auch die Bereitschaft, sich auf Gespräch einzulassen. "Je früher die Aufklärung, desto besser. Denn Vorurteile sind nicht angeboren, sondern werden per Sozialisation verinnerlicht. Und Studien belegen, je jünger Kinder sind, desto aufgeschlossener sind sie, weil sie lockerer mit Themen umgehen."
Doch müssten nicht nur die Schüler, sondern auch deren Eltern sensibilisiert werden - auch die der Kinder mit Migrationshintergrund. Für den Medienkoffer, den die Senatsverwaltung Anfang der Woche im Rahmen ihrer Initiative„Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ vorgestellt hat, werde derzeit ein Elternbrief auf Deutsch, Türkisch, Arabisch und Russisch erarbeitet. "Wir wissen, dass viele Kinder zu Hause nichts vom Aufklärungsunterricht erzählen, weil sie glauben. die Eltern fänden das schrecklich", sagte Steinert. Sicher werde das Diskussionen auslösen, weil offensiver mit dem Thema umgegangen werde, dass das Thema auch Teil des Lehrplans sei. "Doch was wir dabei sehen, sind vielleicht verstärkte Vorurteile, aber auch die Möglichkeit damit umzugehen", sagte Steinert.