zum Hauptinhalt
15 Quadratmeter privat – und viele soziale Kontakte. Der Student Julian Schneider (links) ist einer der 377 Mieter in den zehn Häusern des Studentendorfes Adlershof.
© Kitty Kleist-Heinrich

Architekturpreis 2016 - Berlins beste Bauten: Dorf mit Denker-Erker

Demokratisch, energieeffizient und trotzdem individuell: Das Studentendorf Adlershof zeigt, wie gemeinsames Wohnen zeitgemäß funktioniert.

Seine 15 Quadratmeter hat der Musikwissenschaftsstudent Julian Schneider gut ausgefüllt: Ein E-Piano ziert die einzige freie Wand, das Bett ist mit einem Meter nicht gerade breit. Doch gemütlich ist sein Zimmer allemal – und dabei von ziemlich angesagtem Minimalismus. In den „Denker-Erker“, das zentrale bauliche Element des Studentendorfes, ist der Schreibtisch perfekt eingepasst. Der 21-jährige Julian Schneider kam aus Bremen zum Studium nach Berlin. Er war einer der ersten Mieter im frisch eröffneten Studentendorf. Jetzt sind alle 377 Plätze in den zehn Häusern des Studentendorfs belegt. Der Blick geht auf eine Wiese, weiter hinten sind arbeitende Kräne zu sehen. „Die Bäume vor meinen Fenster sind gerade weggekommen“, sagt Schneider etwas wehmütig. Adlershof ist im Umbruch: Die Bauprojekte an dem Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort überschlagen sich, neue Wohnungen und Büros entstehen, die Freiflächen schwinden.

Die leitende Architektin Claudia Sieper und Bauherr Jens-Uwe Köhler von der Studentendorf Schlachtensee eG begreifen Adlershof als eine zeitgemäße Adaption des Studentendorfs Schlachtensee. „Wir haben die Idee des demokratischen Bauens übernommen. Jeder hat das gleiche Zimmer, aber einzelne Details individualisieren das Wohnen.“ Zum Beispiel die „Denker-Erker“, die abwechselnd nach links, rechts oder mittig ausgerichtet sind und das konzentrierte Lernen zum Zentrum des Wohnens werden lassen. Zudem akzentuiert eine Farbe jedes einzelne Haus. „Für Menschen, die neu hier sind, ist das Dorf ein gutes Modell zur ersten Orientierung“, sagt Sieper. Jeder Bewohner hat sein eigenes Bad. Die beiden viergeschossigen Häuser sind mit Einzel- und Doppelappartements ausgestattet, acht dreigeschossige Häuser setzen sich aus „Wohnlandschaften“ zusammen: Pro Etage sind das 13 Zimmer mit jeweils 15 Quadratmetern sowie ein Gemeinschaftsraum.

Billardtische, Kicker und Hängematten finden sich in den Wohnungen

Zu Schneiders Wohnlandschaft gehören zwölf andere Studierende, die sich den riesigen Aufenthaltsraum mit zwei großen Tischen, Regalen und moderner Edelstahlküche teilen. Manche „WGs“ stellen Billardtische und Kicker auf oder befestigen Hängematten zwischen den Säulen, die den Raum stilistisch prägen. Die Zimmertüren sind mit Kreide bemalt – ein Hauch von Individualisierung im Dorf. Schneider schätzt die ästhetische Schlichtheit der grauen Betondecken und des Estrichbodens. „Die Qualität der Einrichtung ist viel höher als in anderen Wohnheimen, und es ist sehr sauber.“ Denn in Adlershof genießen die Mieter ein besonderes Extra: Eine sogenannte Hausmutter, die regelmäßig für Sauberkeit sorgt. „Abwaschen müssen wir aber selbst“, sagt der Student und grinst.

Das Studentendorfs Adlershof: Auf jeder Etage bilden die Bewohner von jeweils 13 Zimmern eine Wohngemeinschaft mit großer Küche. Auch an ein Fitnesszentrum und einen Partyraum haben die Architekten gedacht.
Das Studentendorfs Adlershof: Auf jeder Etage bilden die Bewohner von jeweils 13 Zimmern eine Wohngemeinschaft mit großer Küche. Auch an ein Fitnesszentrum und einen Partyraum haben die Architekten gedacht.
© Kitty Kleist-Heinrich

Architektin Claudia Sieper ist besonders stolz auf die Energiesparsamkeit des Studentendorfes. „Es verbraucht nur 40 Prozent der Energie des Referenzgebäudes.“ Finanzvorstand Jens-Uwe Köhler hat selbst als Student jahrelang im Studentendorf Schlachtensee gewohnt, dem ersten deutschen Studentendorf der Nachkriegszeit. Als es mit dem denkmalgeschützten Studentendorf 2003 fast nicht weitergegangen wäre, hat er mit anderen Studenten eine Genossenschaft gegründet und es gekauft. „Heute sind alle froh, dass es die knapp tausend Wohnheimplätze noch gibt“, sagt Köhler.

Doch auch das Studentendorf Adlershof kennt er nicht nur als Bauherr. „Ich habe ein paar Nächte hier geschlafen, um den Test zu machen.“ Einem Studenten erklärte er damals, er wolle mal wissen, was er ihnen hier hingestellt habe. Die Antwort des Studenten war: „Etwas Cooles.“ Das macht Köhler noch immer zufrieden. Obwohl er bei seinem Test das ein oder andere verbesserungswürdige Detail entdeckt hat: „Steckdosen unterm Tisch sind extrem unpraktisch. Da muss man sich ja jedes Mal bücken, wenn man das Handy laden will.“

Lärmschutz ist wichtig, Partys feiern auch

„Im Vergleich zu anderen Wohnheimen ist es sehr leise“, sagt der Musikwissenschaftsstudent Schneider. „Die Wohneinheiten sind durch Mauerwerkswände getrennt. Die Zimmertüren haben einen sehr guten Schallschutz“, erklärt Claudia Sieper. Das sei zwar teurer, aber zeitgemäß. Gerade in einem Studentenwohnheim kann es beim Thema Lärm Konflikte geben. Überhaupt haben Claudia Sieper und das Architektenteam „Die Zusammenarbeiter“ auf die Qualität der verwendeten Materialien Wert gelegt. Dementsprechend sind die Mieten nicht günstig: 390 Euro kostet das Zimmer monatlich, das Einzelapartment 450 Euro. „Man muss die Klientel bedenken, die hier wohnt“, sagt Sieper. Und das sind vor allem junge Menschen, die oft nur für kurze Zeit hier leben – der Verschleiß ist automatisch höher.

Die Baukosten betrugen insgesamt 24 Millionen Euro. „Wir würden gerne weitere Wohnheime bauen“, sagt Köhler. „Aber zu teuer darf es nicht sein.“ Und das wird schwierig. Nach wie vor herrscht Wohnungsknappheit in Berlin, und darunter leiden auch die Studenten. Das sieht man schon daran, wer in Adlershof wohnt: Nicht selten sind das Studierende der Uni Potsdam oder der TH Wildau. „Fahrtzeiten sind für die Studenten das geringste Problem“, sagt Köhler.

Allerdings hat man im Studentendorf Adlershof vieles direkt vor der Tür: Ein eigenes Fitnessstudio, einen Waschraum und einen Partyraum. Der nennt sich „Haus Elf“, oder „Hauself“, wie Köhler scherzhaft erklärt. „Wenn die eine Party machen, dann ist richtig was los“, sagt Julian Schneider. Für Köhler liegt die Qualität des Wohnens im Studentendorf in dieser Gemeinschaft. „Wer einen Kaffeebecher teilt, kommt ins Gespräch“, sagt Köhler. Schneider kann das bestätigen. „Freundschaften und Beziehungen sind hier an der Tagesordnung.“ Da horcht die Architektin auf: „Hätten wir etwa doch breitere Betten einbauen sollen?“

Jana Scholz

Zur Startseite