Serie "Menschen helfen": Ein erster Schritt aus der Obdachlosigkeit
Seit Anfang November gibt es in einer Station einer ehemaligen Klinik in Moabit eine Krankenwohnung der Caritas. Hier können wohnungslose Menschen gesund werden. Die Caritas bittet um Spenden für Material und Geräte.
Dieses Jahr ist alles besser. Zenon M. ist auf dem besten Weg, seine Bronchitis auszukurieren. Und die große offene Wunde an seinem Bein. In einem richtigen Krankenbett im Warmen – in der neuen Caritas-Krankenwohnung, die es seit Anfang November in einer Station einer ehemaligen Klinik an der Turmstraße in Moabit gibt. „Als mich die Ärztin aus der Obdachlosenambulanz am Bahnhof Zoo vor zwei Wochen hergeschickt hat, konnte ich fast nicht mehr reden“, sagt der Mann mit den leicht verwuschelten grauen Haaren, der zwar einerseits älter als seine 54 Lebensjahre aussieht, der aber trotzdem noch ein bisschen wie ein freundlicher kleiner Junge wirkt.
Seit er vor vier Jahren nach einem Unfall seinen Job als Koch in einer Kantine verloren habe, lebe er auf der Straße, schlafe meist in Parks, erzählt Zenon M. mit immer noch so heiserer Stimme, dass er oft nicht gut zu verstehen ist. Auch die große offene Wunde am Bein habe er schon seit vier Jahren. Im vergangenen Winter hatte er ebenfalls eine Bronchitis – aber keinen Ort um gesund zu werden. Die Krankenwohnung gab es damals noch nicht. Und so landete er irgendwann mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Wo er allerdings nur zehn Tage bleiben durfte und da sei er noch nicht wirklich auskuriert gewesen. „Ich bin so dankbar dafür, dass ich jetzt hier sein darf. Ich mag mir gar nicht ausdenken, was sonst passiert wäre. Wahrscheinlich hätte ich wieder eine Lungenentzündung bekommen“, sagt der Pole, der seit 1987 in Deutschland lebt und auch lange hier gearbeitet hat. „Wenn man keine Krankenversicherung hat, wird man oft wie ein Mensch dritter Klasse behandelt. Hier ist das nicht so, hier wollen mir alle helfen.“
Akutversorgung für wirkliche Härtefälle
Alle – das sind die 20 Pflege- und Hilfskräfte, eine Verwaltungskraft und eine Sozialarbeiterin, die in der Krankenwohnung fünfzehn wohnungslose Menschen versorgen können. Zenon M. ist einer der ersten acht, die für maximal vier Wochen in einem der acht Zimmer untergekommen sind. „Wir machen hier eine Akutversorgung für wirkliche Härtefälle, bei denen man eine Verbesserung erreichen kann“, sagt Marlene Köster, die mit Till Bork die Krankenwohnung leitet.
Die „Klienten“, wie die Mitarbeiter die temporären Bewohner nennen, werden von Obdachloseneinrichtungen hergeschickt. Oft wie bei Zenon M. aus der Ambulanz für Wohnungslose, die die Caritas am Bahnhof Zoo betreibt. Auch über das Caritas-Arztmobil kommen Klienten. Eine ärztliche Anweisung ist immer notwendig, um einen erkrankten Wohnungslosen aufzunehmen. Die Obdachlosen kommen mit Hauterkrankungen, Wundinfektionen, Erfrierungen, mit gebrochenen Knochen, Bauchkrämpfen, Blutvergiftungen. All das wird auf der Straße schnell lebensbedrohlich.
Zwar wird die Krankenwohnung über eine Zuwendung durch das Land Berlin im Rahmen eines Modellprojektes zur Überwindung von Obdachlosigkeit finanziert. Und es fließen auch Eigenmittel des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin. Doch die Helfer brauchen trotzdem noch etwas finanzielle Starthilfe, damit alles auch weiterhin gut läuft. „Die Personalkosten und die Miete sind gesichert“, sagt Marlene Köster. „Aber die kleine Pauschale, die für Medikamente und Verbrauchsmaterial vorgesehen ist, deckt längst nicht alle Sachkosten ab. Wir sind auf Spenden angewiesen, um die Qualität unserer Arbeit sicherzustellen.“ Deshalb bitten die Mitarbeiter die Tagesspiegel-Leser um Spenden.
Die Krankenbetten sind eine Spende des jüdischen Krankenhauses, sie wurden dort ausrangiert. Im Behandlungszimmer, in dem einer der auch in der Ambulanz am Zoo oder im Arztmobil tätigen Ärzte Bewohner untersuchen kann, stehen einige gespendete Gegenstände aus der Auflösung einer gynäkologischen Praxis. Es fehlen aber zum Beispiel noch ein EKG-Gerät, ein funktionierendes Ultraschall-Gerät, ein Sterilisator und ein Blutdruckmessgerät.
„Viele Klienten kommen mit offenen Wunden an den Beinen. Der Grund dafür ist oft eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, die aber erst einmal diagnostiziert werden muss“, sagt Marlene Köster. Dafür brauche man die Geräte. „Wir haben aber auch Ärzte aus der Nachbarschaft kontaktiert, zum Beispiel einen Urologen, und wollen dafür sorgen, dass unsere Klienten auch von niedergelassenen Ärzten in der Nähe behandelt werden.“ Diese müssen sich in den meisten Fällen allerdings bereit erklären, ohne Honorar zu arbeiten, da viele der Klienten keine Krankenversicherung haben.
Zwei Waschmaschinen sind schon da, es fehlt noch ein Trockner
Für die Versorgung der Klienten werden nicht nur medizinische Geräte benötigt, sondern auch Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel und Geld für Laboruntersuchungen und BVG-Tickets. Zwei Waschmaschinen stehen schon im Geräteraum und Kleiderlager der Krankenwohnung, es fehlt noch ein Trockner. Auch Orthesen und Rollatoren müssen angeschafft werden, die die Klienten bei der Entlassung mitnehmen dürfen, wenn sie sie weiterhin benötigen.
Zenon M. nimmt inzwischen einen Schluck aus seiner Teetasse und sagt ganz begeistert, so als könne er es immer noch nicht fassen: „Hier kann sich jeder jederzeit einen Tee machen. Und es gibt immer Obst.“ Das wird von der Berliner Tafel gebracht. Außer Zenon M. sitzen drei weitere Männer und eine Frau mit Blutergüssen im Gesicht im Aufenthaltsraum der Krankenwohnung. Für Frauen sind die drei Einzelzimmer vorgesehen – oder für Männer mit einer psychischen Erkrankung, für die es schwierig wäre, in einem der Mehrbettzimmer mit den anderen Bewohnern auszukommen.
Es ist eiskalt draußen, aber die Sonne scheint durch die hohen Altbaufenster des Aufenthaltsraums auf einen Zimmerbaum, mehre Tische und die Blumenfotos an den Wänden. Im Fernsehen laufen die Nachrichten. Zenon M. erzählt begeistert von der Sozialarbeiterin: „Sie versucht, mir dabei zu helfen, eine Arbeit zu finden. Ich weiß aber, sie ist nicht das Arbeitsamt. Ich kann nicht mehr als Koch arbeiten, weil meine Hand seit dem Unfall steif ist, aber vielleicht als Küchenhilfe. Putzen wäre auch gut. Ich habe jetzt wieder Hoffnung. Vor allem ist es wichtig, gesund zu sein – das ist der erste Schritt. Wenn man krank ist, ist es hoffnungslos, eine Arbeit zu finden. Und sogar meine Wunde ist dabei, zu heilen.“
Entlassungsmanagement sei ihnen sehr wichtig, sagt Leiterin Marlene Köster. „ Wir versuchen, die Klienten an bestehende Hilfesysteme anzubinden, sie etwa in Betreuungseinrichtungen zu vermitteln.“ Es geht bei dem Projekt ja immerhin um die „Überwindung von Obdachlosigkeit“.
Einige gingen aber wohl auch freiwillig auf die Straße zurück, wenn es ihnen besser ginge, sagt Marlene Köster. „Das sind die, denen es schwer fällt, sich in feste Strukturen einzufügen.“ Denn bei vielen Klienten ist die Überwindung der Obdachlosigkeit noch schwieriger als bei Zenon M. Schließlich kommt oft zu den körperlichen Erkrankungen eine psychische hinzu. So wie bei jenem Klienten, der über einen Tagestreff in Prenzlauer Berg in das ehemalige Krankenhaus an der Turmstraße kam: Ohne Socken und in Badelatschen war er ziemlich verwirrt und nur im Krankenhausnachthemd aus einer Klinik entlassen worden und wusste nicht, wohin. Zum Glück hatten die Mitarbeiter der Obdachlosen-Tagesstätte schon von der neuen Krankenwohnung gehört. Und hier versuchen die Mitarbeiter jetzt, ihm zu helfen. Das wird zwar schwierig – aber nicht aussichtslos. „Wir haben zwei Fachpfleger mit viel Erfahrung im psychiatrischen Bereich“, sagt Marlene Köster.
Die neue, nunmehr 26. Spendenaktion „Menschen helfen!“ mit der gleichnamigen Spendenserie zum Weihnachtsfest ist am 1. Advent gestartet. Erneut sammeln wir für 63 Projekte und Vereine, vor allem aus Berlin und Brandenburg – sowie für Hilfsprojekte zur Beseitigung von Fluchtursachen und für bessere Lebensbedingungen in armen Ländern mit unserem internationalen Partner Deutsche Welthungerhilfe. Das Spendenkonto: Bitte spenden Sie an: Empfänger: Spendenaktion der Tagesspiegel e.V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse, BIC BELADEBE, IBAN DE43 10050000 0250 0309 42. Online-Banking ist ebenfalls möglich. Spendenbeleg: Bitte notieren Sie vollständig und gut leserlich Namen und Anschrift, sonst bekommt der Tagesspiegel Probleme mit der Zusendung der Spendenbescheinigungen.