Berlin-Mitte: Ein Café im Schwulenclub
Einst war Irene Hansen Model bei Jil Sander, nun hat sie ein Café eröffnet: in einem ehemaligen Schwulen-Club – mit Wildragout und viel Geschichte.
Im Februar hatte Irene Hansen die Idee, mal etwas ganz anderes zu machen. Jetzt steht sie in der Küche ihres neuen Cafés ’stache, und auf der braunen Schürze prangt stolz ihr Logo in leuchtendem Orange: ein Männerkopf mit mächtig ausladendem Schnurrbart. Das Logo sieht man auch auf den Weinflaschen eines Winzers aus Montalcino und auf den grünen Kanistern mit nativem Olivenöl, das von einer Produzentin aus der Toskana stammt, die von der Großmutter die älteste Olivenpresse der Region geerbt hat. Aufgestellt sind die Regale im Flur zwischen Café und Küche.
Irene Hansen ist nicht der Typ, der mit der Verwirklichung von Träumen lange wartet. Das war sie noch nie und ist deshalb vielleicht ein typisches Mitte-Gewächs, voller Energie und Pläne. Geboren in Friedrichshain, ist sie aufgewachsen in Prenzlauer Berg und Hohenschönhausen, wohin die Eltern zogen, um die Außentoilette gegen fließendes Wasser in der Wohnung zu tauschen. Schon als Schülerin bekam sie Model-Jobs.
Für ein Jahr ging sie nach Paris, arbeitete unter anderem für Jean-Paul Gaultier. Dann musste sie zurück, denn der Schul-Direktor hatte eine Frist gesetzt, innerhalb derer sie noch ihr Abitur machen konnte. Kaum war das bestanden, zog es sie nach Hamburg, wo sie für Jil Sander unter anderem als Hausmodel arbeitete.
Aufregende Zeiten waren das, aber natürlich nichts für die Ewigkeit. Im Jahr des großen Umzugs machte sie sich 1999 mit einer Fotoagentur selbstständig, arbeitete unter anderem für Ikea und BMW, für Magazine und Kataloge. „Werbung war natürlich auch dabei.“
Zuerst eine Fleischerei, dann ein schwuler Club
Im Februar dann beschloss die Mutter von zwei Kindern im Alter von 12 und 20 Jahren, dass sie etwas Neues lernen müsse. Dass es ein Café wurde, hatte vor allem mit dem Raum in der Gartenstraße 4 zu tun. „In den habe ich mich sofort verliebt.“ Dass da früher mal eine Fleischerei drin war, sieht man an den großen stabilen Wursthaken an der Wand und an den schönen Fliesen. Deren Produzent sei sogar kaiserlicher Lieferant gewesen, erzählt sie stolz.
Statt Wurst liegen nun feine Splitterbrötchen von Bäcker Hacker aus der Stargarder Straße in der Vitrine, außerdem Sandwiches mit Brötchen aus der portugiesischen „Bekarei“. „Zuletzt war hier ein schwuler Club namens Le Moustache drin“, sagt Irene Hansen und deutet auf die Decke, wo ein Männerkopf mit ausladendem, schwarz angemalten Schnurrbart in den Stuck eingearbeitet ist.
Der gab das Vorbild fürs Logo, das vom Design-Büro Metrofarm entworfen wurde. Daher auch der Name ’stache, den Irene Hansen zügig zur Marke ausbauen will. „Ich finde, man muss sich schnell ein Gesicht verschaffen“, sagt sie. Herzlichkeit spielt in ihrem Konzept eine große Rolle.
Tatsächlich hört man, wie ihre Freundin Biggi, die hinterm Tresen steht, viele Kunden mit Namen begrüßt: „Hallo Tom“ oder „Tschüss Peter“. Biggi kommt aus dem Westen, aus Schöneberg, und hat lange in der Gastronomie gearbeitet, erst in einer Diskothek oder im renommierten Landhaus Stricker auf Sylt.
Auch bei Spiegel TV hat sie lange gearbeitet. Irgendwann beschloss sie, ihr Abitur nachzuholen, was im Alter von 47 Jahren mit einem Durchschnitt von 1,0 gelang. Jetzt studiert sie Geschichte und Archäologie, hat für den Job im Café extra eine Barista-Ausbildung gemacht, was man dem Latte Macchiato durchaus positiv anmerkt.
Drei Tage frisch
Mit im Bund ist auch Irene Hansens Partner Oliver Theisen, der eigentlich Geschäftsführer eines Internet-Unternehmens ist, aber aus reiner Leidenschaft samstags im ’stache kocht. Zu essen gibt es zum Beispiel seltene Pastanester mit Wildschweinragout oder Frittata.
Schon beginnt Irene Hansen, die noch etwas Mühe hat, sich als Wirtin zu bezeichnen, Salate für den Lunch vorzubereiten. Da steht eine Kiste Granatäpfel in der hellen Küche, daneben ein Karton mit Tomaten, irgendwo liegen Jamie Olivers Ausführungen zur genialen italienischen Küche herum. „Ich hatte nie Zeit für eine Ausbildung oder ein Studium“, sagt Irene Hansen ohne Bedauern. Jetzt schichtet sie halt Salate in spezielle amerikanische Gläser, die sie gegen Pfand abgibt, und in denen der Salat drei Tage frisch bleibt.
Vier Wochen nach dem Soft Opening weiß sie: „Ja, es ist eine Umstellung, wenn man jeden Tag um 8 Uhr anfängt mit der Arbeit. Das heißt ja, dass man um sechs Uhr aufstehen muss.“ Aber es macht ihr Spaß, die Nachbarn kommen immer wieder, man kennt sich jetzt schon. Am Sonnabend gibt es eine große Eröffnungsparty mit zwei Bands.
So wie sie durch die helle Küche wuselt, wirkt sie ein bisschen wie eine Köchin aus einem Hollywood-Film, was mit dem Aussehen auch zu tun haben kann. Aber vielleicht auch mit der neuerdings für Berlin eben auch typischen positiven Ausstrahlung von Menschen, denen es wichtig ist, „irgendwas mit Spaß“ zu machen.
Gartenstraße 4, Mitte, Mo-Fr von 9–18, Sa von 9–14 Uhr. Eröffnungsparty am 8. Oktober von 13–18 Uhr. Tel: 030 52 13 40 26.