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Jörg Schönbohm (CDU) auf dem 33. Landesparteitag der Brandenburger CDU.
© Ralf Hirschberger/dpa
Update

Nachruf auf CDU-Politiker Jörg Schönbohm: "Ein Botschafter für Brandenburg"

Er war ein Garant der konservativen Identität. Nach der Wende einte Jörg Schönbohm als CDU-Innenminister die völlig zerstrittene Partei in Brandenburg.

Natürlich war er wieder da, neulich auf dem Parteitag seiner Brandenburger CDU draußen in Klaistow (Potsdam-Mittelmark). Da saß Jörg Schönbohm mit seinen 81 Jahren in der ersten Reihe, plauderte mit dem Mann neben ihm, über die Politik, die Familie, ja auch über die Gesundheit, die ihm mittlerweile zu schaffen machte, die Nachwirkungen eines Schlaganfalls. „Er war ganz klar: Eigentlich hat er sich schon auf den Wahlkampf gefreut“, erinnerte sich Stephan Goericke, Unternehmer aus Potsdam und Medienrat Brandenburgs. Die Wege der beiden hatten sich öfter gekreuzt.

Goericke war mit seinen damals 26 Jahren der erste Sprecher Schönbohms im Brandenburger Innenministerium, bis ihm sein damaliger Chef plötzlich diesen Bildungsauftrag gab, in Befehlsform: Er möge jetzt erst einmal studieren! Stinksauer war Goericke damals. Es dauerte eine Weile, bis er seinen Frieden mit dem „Alten“ machte, dann einige Jahre später Buchlesungen mit Schönbohm zu dessen Autobiografie „Wilde Schwermut“ organisierte. In der Nacht zum Freitag ist Jörg Schönbohm im Alter von 81 Jahren nach einem Herzinfarkt in Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark) gestorben. Ein aufrechter Konservativer, mit Lebensart, Witz und Charme. Verlässlich, ehrlich, mit scharfem Verstand. Er hinterlässt seine Frau, drei Kinder, neun Enkel und einen Urenkel.

Er sei traurig, sagt Goericke, mittlerweile 46. „Für vieles, was ich gelernt habe, hat er die Grundlage gelegt.“ Nicht nur innerhalb der eigenen Partei ist die Trauer groß. Auch seine früheren Weggefährten von der SPD, die Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Matthias Platzeck, mit denen Schönbohm nach seinem Weggang aus Berlin, wo er Innensenator war, von 1999 bis 2009 in einer großen Koalition saß, erinnern sich mit Wehmut an den streitbaren Konservativen.

„Er war zuverlässig, aber sehr spontan. Das gab Belastungen in der Zusammenarbeit. Wir verabredeten, einmal wöchentlich ein Vieraugengespräch mit Zigarren und Kaffee zu führen, um Konflikte zu erörtern und die Zusammenarbeit zu sichern. Das ging gut“, erzählt Manfred Stolpe, inzwischen 82. Einmal im Bundesrat habe es Streit zwischen CDU/CSU und SPD gegeben. „Es gab das Interesse, unsere Koalition auseinander zu bringen. Schönbohm und ich vertraten die Linie unserer Parteien. Aber das Vertrauen zwischen uns war stabil und die Koalition in Brandenburg hielt. Das Wohl des Landes war uns wichtiger als Parteienstreit“, sagt Stolpe.

„Ein knorriger, aber klarer und gerader Konservativer"

Matthias Platzeck erreichte die Nachricht vom Tode Schönbohms im fernen Schweden, wo er gerade Ferien mit den Enkeln verbringt. „Er war ein knorriger, aber klarer und gerader Konservativer. Vor allem ist er ein überzeugter Brandenburger gewesen. Ich denke, das trifft auf ihn am meisten zu“, sagt Platzeck über seinen früheren Stellvertreter. Das Verhältnis der beiden war anfangs nicht spannungsfrei. Als Platzeck im Jahr 2002 Ministerpräsident wurde, hatte Schönbohm, der sich mit Stolpe quasi blind verstanden hatte, anfangs Probleme mit dem jungen, so ganz anderen Nachfolger, ja auch der Lebensältere mit dem Jüngeren: Es krachte damals ständig in der Großen Koalition.

Die Zeitungen waren voll von Auseinandersetzungen, es war die Zeit, in der die Machtverhältnisse an der Spitze der Regierung noch nicht geklärt waren: Jörg Schönbohm witterte damals seine Chance, er nahm den Kampf auf, selbst Ministerpräsident zu werden. Es sah gut aus, 2003 gewann die Union erstmals die Kommunalwahl im Land, bis Platzeck dann im Hartz-IV-Wahlkampf 2004 doch noch die Wende gelang, er die Wahl gewann, Schönbohm kein Land sah. Wie er mit dieser Niederlage umging? Ja, auch das war typisch für diesen Mann. Da war er ganz der General, der frühere Offizier, einer, der auch verlieren konnte. „Er hat sich zum Dienst zurückgemeldet. Nun war alles kieselklar“, erinnert sich Platzeck.

Fortan verstanden sich die beiden Männer an der Spitze Brandenburgs, der rote Platzeck und der schwarze Schönbohm, trotz fundamentaler politischer Unterschiede. Und zwar so, dass Platzeck noch heute, ein Jahrzehnt danach, eher nebenbei diesen Satz sagt: „Ich weiß gar nicht, wie es 2009 gelaufen wäre, wenn er noch da gewesen wäre.“ Die CDU, deren Vorsitz Schönbohm 2007 abgegeben hatte, trat damals mit Johanna Wanka als Spitzenkandidatin an. Wäre es anders gewesen, vielleicht hätte Platzeck dann doch nicht mit den Linken regiert.

Trotz Meinungsverschiedenheit immer sachlich

Selbst von dieser kommen am Freitag viel anerkennende Worte für den CDU-Politiker. Und das obwohl der ansonsten immer diskussionsfreudige Schönbohm vor allem in seiner Berliner Zeit eine kompromisslose Abneigung gegen die PDS, aus der später die Linke wurde, zeigte. „Auch wenn wir häufig Meinungsverschiedenheiten vor allem zur Beurteilung Ostdeutschlands hatten, waren die Gespräche mit Jörg Schönbohm sachlich und im Ergebnis belastbar“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Brandenburger Landtag, Thomas Domres, der 1999 ins Potsdamer Parlament kam – zeitgleich mit Schönbohms Antritt.

Mit seiner Beurteilung Ostdeutschlands eckte Schönbohm öfter an. Der „märkische General“ wurde Schönbohm gerne genannt. Tatsächlich, er war ein Märker – und doch wieder nicht. Geboren wurde er am 2. September 1937 in Neu Golm im damaligen Kreis Beeskow-Storkow, heute Oder-Spree. 1945 flüchtete die Familie in die Bundesrepublik, Schönbohm und seine vier Geschwister wuchsen im Westen auf. Das Bodenständig-Brandenburgische hatte er sich bewahrt – und trotzdem fehlte ihm in manchen Situationen das Gespür für die Menschen, für den Osten, führte ihn seine Geradlinigkeit auch auf die falsche Spur.

Im August 2005 zum Beispiel. Brandenburg erschütterte einer der schlimmsten Kriminalfälle seit der Wende. Auf einem Grundstück in Brieskow-Finkenheerd, im selben Kreis wie Schönbohms Geburtsort, wurden die sterblichen Überreste von neun toten Säuglingen gefunden. Die Mutter, Sabine H., hatte die Babys im Laufe der Jahre im Alkoholrausch heimlich zur Welt gebracht, anschließend getötet, dann im Garten verscharrt, in Blumentöpfen vergraben. Schönbohm erklärte den unerklärlichen Fall mit der „vom SED-Regime erzwungenen Proletarisierung“. Diese sei Ursache für „die Zunahme von Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft“ in Brandenburg.

Auch in der eigenen Partei hagelte es Kritik, die damalige CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel meldete sich zu Wort: „Ein solch furchtbares Verbrechen kann und darf man nicht mit pauschalen Einschätzungen dieser Art erklären.“ Schönbohm blieb zunächst bei seinen Aussagen, die er erst später als „missverständlich“ relativierte. Matthias Platzeck hielt seinerzeit zu seinem Stellvertreter: „Einen Fehler hat jeder frei“, sagte er.

Nur eine konnte von Anfang an nicht mit ihm: Die frühere brandenburgische Sozialministerin und Ost-Ikone Regine Hildebrandt (SPD), die 1999 aus der Landesregierung austrat, nachdem Stolpe mit der CDU koalierte. Ihre Worte über Schönbohm: „Da könnte ich den Knüppel nehmen. Mach’ ich aber nicht. Er ist General – wer weiß, was der noch hat.“

Der General. Eine Karriere, die früh vorgezeichnet war. Zum Leidwesen der Eltern schlug Schönbohm gleich nach dem Abitur in Kassel die militärische Laufbahn ein. Schnell stieg er in die Befehlsränge der Bundeswehr auf, wurde 1985 Brigadegeneral und drei Jahre später Vize-Chef des Planungsstabs im Bundesverteidigungsministerium in Bonn. Schönbohms größte Leistung war aber nach dem Mauerfall die Integration der Nationalen Volksarmee der DDR in die Bundeswehr, die er als Befehlshaber des Kommandos Ost in Strausberg (Märkisch-Oderland) unerwartet reibungslos vollzog. Schönbohms Credo: „Nicht Sieger kommen zu Besiegten, sondern Deutsche zu Deutschen.“ Am 18. Februar soll die Trauerfeier für Schönbohm im Berliner Dom stattfinden – mit militärischen Ehren. So wie er es sich gewünscht hat.

Mit dem „Kleinkram“ im Berliner Senat habe er so nicht gerechnet

Erst 1994 trat Schönbohm in die CDU ein. In Potsdam, wo er sich später auch für den Wiederaufbau der Garnisonkirche einsetzte. Im Frühjahr 1996 zog er gemeinsam mit Ehefrau Eveline und den Kindern ins eigene Haus in Kleinmachnow. Ein Idyll, das er nicht mehr aufgegeben hat. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen holte den Parteifreund dann als Innensenator in die Berliner Landesregierung. Die Koalition aus CDU und SPD war nicht einfach, die Sparzwänge wuchsen und die öffentliche Verwaltung war in einem miserablen Zustand. Da saß er nun, in der neuen Amtsstube, nicht mehr auf der Bonner Hardthöhe, sondern am Fehrbelliner Platz. Hinter sich ein Porträt des preußischen Generalfeldmarschalls Helmut Graf von Moltke, gleich daneben hing eine alte Brandenburg-Landkarte.

Mit dem „starken Widerstandspotenzial“ in der Stadt, der Verunsicherung in der eigenen Behörde und dem vielen „Kleinkram“ im Berliner Senat habe er so nicht gerechnet, sinnierte Schönbohm damals. Eine große Enttäuschung war für ihn die gescheiterte Fusion der Länder Berlin und Brandenburg im Mai 1996. Er hoffte vergeblich auf einen neuen Anlauf. Nach der Volksabstimmung wechselte er in die Berliner CDU und wurde zum Hoffnungsträger jener Parteifreunde, die den Landesverband der Hauptstadt als zunehmend piefig und erstarrt empfanden. 1998 rückte Schönbohm zum stellvertretenden CDU-Landeschef auf, dementierte aber stets Gerüchte, er wolle Diepgen aus dem Roten Rathaus verdrängen. Daran sei er nicht interessiert. Und: „Angesagte Nachfolger leben nicht lange.“

Woidke würdigte Schönbohm als „großen Patrioten im besten Sinne“

Es war etwas anderes, das Schönbohm reizte: Er wollte CDU-Landeschef in Brandenburg und Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 1999 werden. So kam es denn auch. Unvermittelt trat er von der Hauptstadtbühne ab und ließ die Partei in Berlin ratlos zurück. Nach der Wahl wurde er Innenminister, an der Seite des Sozialdemokraten Stolpe. Schönbohm schaffte es, die nach der Wende völlig zerstrittene Brandenburger CDU zu einen.

Bis Ende der 90er-Jahre hatte die märkische Union bereits sieben Vorsitzende kommen und gehen sehen. Schönbohm war dann von 1998 bis 2007 Parteivorsitzender in Brandenburg. Einen „großen Deutschen der Nachkriegsgeschichte“, nennt ihn der amtierende Brandenburger CDU-Vorsitzende Ingo Senftleben am Freitag. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) würdigte Schönbohm als „großen Patrioten im besten Sinne“. Er sei zudem stets ein guter Botschafter für Brandenburg gewesen.

„Schönbohm war ein starker, streitbarer und profilierter Innenminister. Sein Wort hatte auch über Brandenburg hinaus Gewicht“, sagt der jetzige Brandenburger Innenminister Karl-Heinz Schröter, ein Konservativer mit SPD-Parteibuch, ebenfalls bekannt für klare Worte. Es verdiene hervorgehoben zu werden, dass es Schönbohm in seiner Amtszeit gelungen sei, den Rechtsextremismus in Brandenburg deutlich zurückzudrängen und zu schwächen, so Schröter. „Da ließ es Schönbohm nie an Deutlichkeit fehlen.“

Seine Deutlichkeit, gepaart mit Humor, der sich gelegentlich mit einem feinen, nie herablassenden Lächeln in seinem markanten Gesicht mit den buschigen Augenbrauen zeigte – das war wohl Schönbohms Rezept. Einmal protestierten die Brandenburger Polizisten in Potsdam gegen Umstrukturierungen. Als der Innenminister zu den Beamten sprechen wollte, drehten sie ihm den Rücken zu. Was für ein Affront gegen den Dienstherren! Wie reagierte Schönbohm? Er sagte: „Haarschnitt in Ordnung. Sie können sich wieder umdrehen!“ 

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