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Peter Hermanns leitet das Heim, gegen das einige Anwohner anfangs protestiert hatten.
© Kai-Uwe Heinrich

Flüchtlingsunterkunft: Ein Besuch in Berlins erstem Containerdorf

Vor vier Jahren entstand Berlins erste Containeranlage für Flüchtlinge. Ein Rundgang in Köpenick und ein Ausblick auf die Zukunft der MUFs und Tempohomes.

Das größte Problem hier? „W-Lan geht nicht“, sagt Peter Hermanns, der schlaksige Heimleiter, Sozialarbeiter, graue Wuschelhaare. Die Stahlcontainer schirmen die Funkwellen ab. Wer im Containerdorf surfen will, muss in den Aufenthaltsraum mit W-Lan-Router gehen oder in den Computerraum.

Das erste Containerdorf Berlins in Köpenick ist jetzt vier Jahre alt. Innerhalb von 44 Tagen hatten sie die 346 Container im Herbst 2014 dreistöckig aufeinander gestapelt, Ende Dezember zogen die ersten Flüchtlinge ein. Es sollte das erste von sechs Containerdörfern werden, hatte der Senat damals entschieden, noch vor der Flüchtlingswelle im Sommer 2015.

Später wurde der Beschluss auf 30 Containersiedlungen erweitert, die in „Tempohomes“ umgetauft wurden, damit es netter klingt und das Wort „temporär“ anklingt. Das sollte signalisieren: Die Siedlungen sind nur ein Notbehelf für maximal drei Jahre, damit andere Notbehelfe wie Flugzeug-Hangars oder Turnhallen überflüssig werden.

Nach dem Wechsel der Regierung von Rot-Schwarz auf Rot-Rot-Grün gerieten die Containerdörfer in Verruf, weil sie als abgeschlossene Siedlungen wie ein Getto wirken. Der Ausbau wurde zugunsten von Modularen Unterkünften gestoppt, den MUFs, die richtige Wohnungen auch für Studenten oder Berliner mit kleinem Geldbeutel bieten. Und nicht nur ein paar Jahre halten sollen, sondern Jahrzehnte.

Triste Flure im Allende-Viertel in Köpenick.
Triste Flure im Allende-Viertel in Köpenick.
© Kai-Uwe Heinrich

Das Containerdorf in der Köpenicker Siedlung „Allende 2“ liegt versteckt zwischen zwei grauen Hochhausriegeln direkt am Waldrand, wie aus bunten Legosteinen zusammengesetzt. Peter Hermanns nennen sie hier nur „Chef“, er leitet ein Team von 13 Sozialarbeitern, Erziehern, Hausmeistern und Verwaltungsangestellten, hinzu kommen vier Wachleute und drei Reinigungskräfte für die Gemeinschaftsflächen.

"Die Wohnqualität ist grottig"

Nach vier Jahren, sagt Hermanns, zeige die Siedlung deutliche Verschleißerscheinungen, „die Wohnqualität ist grottig“, doch im Gegensatz zu den Containerdörfern „der zweiten Generation“ wie in Altglienicke, Buckow oder Tempelhof wurde für die ersten Dörfer keine maximale Lebensdauer festgelegt. Hermanns rechnet damit, dass das Heim im Köpenicker Allendeviertel bis mindestens 2020 offen bleibt, dann sollen in der Umgebung die ersten Modularunterkünfte fertig sein.

Bei einem Rundgang präsentiert sich das bunte Dorf von außen tiptop, alles sauber, aufgeräumt, kein Müll, keine Graffiti, ähnlich sieht es innen aus, bis auf ein paar Schleifspuren an den Wänden. Jede Etage besteht aus einem breiten Flur mit PVC-Belag, kahlen weißen Wänden und Leuchtstofflampen, rechts und links gehen die Türen zu den Wohncontainern ab. Es gibt keine Namensschilder und keine Klingeln. Und keine Briefkästen, die Post holt man sich im Büro der Heimleitung ab.

Die Gemeinschaftsküchen und -sanitäranlagen sind auf Campingplatzniveau, allerdings eher Standard 70er Jahre. Weil das Wasser in den Duschen nicht richtig ablief, wurden die Sanitärcontainer nachträglich gefliest. Anfangs habe man die Gemeinschaftsküchen viel zu klein ausgelegt, erzählt Hermanns. Und nicht eingeplant, dass viele Syrer und Iraker es gewohnt sind, sich die Haare gegenseitig zu schneiden. Deshalb gibt es jetzt einen Friseursalon.

Wie es in ihren Containerwohnungen aussieht, bestimmen die Bewohner überwiegend selbst. Manchmal setzt sich die schmucklose Tristesse fort, besonders dort, wo Männer alleine leben. Zwei müssen sich einen Container teilen, jedem bleibt ein Bett, ein Schrank, ein kleiner Tisch.

Alle persönlichen Sachen müssen auf siebeneinhalb Quadratmetern untergebracht werden: Lebensmittel, Bücher, Papiere, Hygieneartikel, Wasserkocher, Schuhe, Jacken. Fragen, wie man damit auf Dauer zurechtkommt, wehrt Shafi Hamad aus dem Irak ab: „Alles gut.“ Mit seinem Mitbewohner komme er ganz gut aus. Hamad wartet seit zwei Jahren auf seinen Asylbescheid, auf eine Arbeit und eine Wohnung. Warum nichts vorangeht, weiß er auch nicht. „Nur warten und warten.“

Für Muhammad ist das Heim ein Zuhause geworden

Bei Ayman Muhammad aus Avrin in Syrien ist die Eingangstür weihnachtlich geschmückt, drinnen hängen silberne Girlanden an der Decke, im Eck neben dem Fernseher steht ein Weihnachtsbaum aus weißem Kunststoff, mit roten Kugeln behängt. Ayman ist Kurde, 31 Jahre alt, seine Familie ist in den Libanon geflohen, er machte sich allein auf den Weg nach Deutschland. Das war vor drei Jahren. Vor zwei Wochen kamen endlich seine Frau und die beiden kleinen Mädchen zu ihm. Seine Eltern und Brüder sind noch im Libanon, die würde er auch gerne nachholen.

Ayman Muhammad mit seiner Familie.
Ayman Muhammad mit seiner Familie.
© Thomas Loy

„Willkommen“, sagt Muhammad, wenn er einen Fremden trifft. Gerne zeigt er seine Wohnung, die er mit Plakaten, Fotos und Sachen vom Trödelmarkt dekoriert hat. An der Decke hängt eine Diskokugel, auf zwei Matratzen spielt sich ihr Familienleben ab. Für Muhammad ist das Heim ein Zuhause geworden, hier hat er Freunde gefunden, mit denen er kocht oder Fußball spielt.

Vorerst möchte er nicht weg, zumindest nicht, solange seine Frau noch kein Deutsch spricht. Hier können sie jederzeit um Hilfe bitten, wenn die Behörden sich wieder melden, das Heim organisiert Ausflüge und Feiern, vor Kurzem gab es eine Hochzeit, ein Bewohner und eine ehrenamtliche Helferin haben geheiratet. Einen Job als Maler hat Muhammad gefunden. Auch für die Jobsuche gibt es ein Hilfsprojekt. Viele, die in Wohnungen gezogen sind, kommen weiterhin regelmäßig ins Heim, um Kontakte zu pflegen, sagt Hermanns.

Familien wie die Muhammads bekommen einen Extra-Container fürs Schlafzimmer, Vier Betten und zwei Schränke passen gerade so hinein. Kein Problem, findet Muhammad. In den neueren Tempohomes leben die Familien in drei Containern, einer davon ist mit Bad und Küchenzeile ausgestattet. Das ergibt dann eine komplette 45-Quadratmeter-Wohnung.

Im Sommer wird es unerträglich heiß

Naim Uka, ein Familienvater aus dem Kosovo, saugt noch kurz das Wohnzimmer, dann bittet er seine Gäste auf die Eckcouch. Der Fernseher läuft, es gibt Tee und Kekse. Uka, ein kräftiger Mann, erzählt von „Problemen mit der Hygiene“, weil einige Leute nach dem Duschen oder Kochen nicht sauber machen. Sonst sei alles okay. Vor allem warm ist es in den Containern, viele Bewohner sind in kurzen Hosen unterwegs.

Im Sommer wird es unerträglich heiß in den schlecht isolierten Stahlcontainern, dann spielt sich das Leben vor allem draußen ab, weshalb es immer mal wieder Lärm-Beschwerden aus den Hochhäusern nebenan gibt. Einige Bewohner hatten sich den Demos gegen den Bau des Flüchtlingsheims angeschlossen. 400 Menschen auf so engem Raum, das könne nicht gutgehen, hieß es damals.

Jetzt sei es „sehr, sehr ruhig“, sagt Uka. Er lobt die gute Luft am Waldrand, die Seen in der Nähe, wichtig findet er auch, dass Kita und Schule erreichbar sind, für seine drei Kinder. Seine große Tochter hat Mukoviszidose, deshalb hofft Uka, dass die Härtefallkommission ihnen eine Chance gibt hierzubleiben. Sein Asylantrag wurde abgelehnt.

Nicht alle sind so positiv und guter Dinge wie Uka und Muhammad, erzählt Hermanns. Es gebe auch die Traumatisierten, die Verschlossenen und Enttäuschten. Die möchten ungern reden.

Rund 5600 Flüchtlinge leben derzeit in 19 Containerdörfern, Platz wäre für 6618. Zwei weitere Dörfer in der Oranienburger Straße in Reinickendorf und am Rohrdamm in Spandau werden nach Angaben der Senatssozialverwaltung gerade bezogen, ein Tempohome in der Karl-Marx-Straße in Neukölln soll noch gebaut werden. Mitte 2019 laufen die ersten Dreijahresfristen ab, was dann mit den Siedlungen geschieht, ist noch unklar. „Es gibt Überlegungen, die Container zum Teil länger zu nutzen“, erklärt die Sozialverwaltung. Dazu liefen derzeit Gespräche mit den Bezirken.

Die Sozialverwaltung kann sich vorstellen, „nicht mehr benötigte Tempohomes für die Kältehilfe zu nutzen“. Das gelte allerdings nicht für das derzeit größte Tempohome der Stadt auf dem Tempelhofer Feld mit 1024 Plätzen. Dort ist der Abbau der Containersiedlung, deren Errichtung 17 Millionen Euro kostete, bis Ende 2019 gesetzlich festgeschrieben.

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