Weihnachtssong mit Bob Geldof und Campino: Drag Queens aus Berlin parodieren Band Aid
Bob Geldofs Text und Campinos Cover für den Weihnachtssong „Do they know it’s Christmas?“ finden sie einfach unpassend: Acht Drag Queens haben eine wilde Parodie daraus gemacht und ins Internet gestellt. Ein Besuch am Set.
Die Köpenicker Landstraße zieht sich endlos. Der Wind pfeift eisig. Es ist grau. Kein Mensch ist an diesem Nachmittag zu sehen. Da baumeln am Eingang zu einem alten Industriegelände bunte Luftballons. „Das Studio ist schwer zu finden. Wir markieren es“, wurde vorher gesagt. Die Schnitzeljagd geht durch ein düsteres Treppenhaus, über einen Flur, der an einen Gefängnistrakt erinnert. Aus den Türen dröhnt Elektromusik, auf dem Boden liegen Zigarettenkippen. Als Shiaz Legz die Tür zum Studio öffnet, taucht der Gast in eine andere, buntere Welt ein. In einer Ecke fläzt Fixie Fate. Sie ist eine zierliche Drag Queen mit weißer Haut und rotem Afro, Hermès-Kleid und breitem Schmollmund. Daneben sitzt Chandelier Divine Brown – lange, pinke Haare, enger Hosenanzug – und öffnet mit lautem Knallen eine Flasche Prosecco: „Upps!“
Ein Norweger macht mit
Shiaz, die den Videodreh mit dem norwegischen Musiker Bendik Giske organisiert hat, möchte an diesem Tag zusammen mit acht Berliner Drag Queens den Band-Aid-Song von 1984 „Do they know it’s Christmas?“ neu interpretieren. „Ich liebe Parodien“, sagt Shiaz, die im wirklichen Leben Julian Fricker heißt und ein Schweizer Journalist in Berlin ist, „bei der ersten Aktion ist Shiaz entstanden.“ Dazu schlüpfte er in die Rolle von Conchita Wurst, dichtete den Gewinnertext des Eurovision Song Contest 2014 einfach um. Aus „Rise like a Phoenix“ wurde, „na klar“, wie er sagt: „Rise like a Penis“. Auf Youtube hat das Video inzwischen fast 100 000 Klicks.
Das Double von Conchita Wurst
Shiaz ist ein perfektes Double der Wurst. Auf der Fahrt sei der Taxifahrer von den lauten Transvestiten genervt gewesen, sagt Barbie Breakout, die gerade am Mikro ihren Solopart aufnimmt. Doch als das Wurst-Double zustieg hellte sich die Miene des Mannes schlagartig auf: „Er dachte, die Echte wäre an Bord.“ Für Shiaz begann die Karriere als Drag Queen mit der Parodie im Mai: „Dann habe ich auch die Anderen kennengelernt. Wir Drags in Berlin sind eine kleine Familie, treten oft zusammen auf.“ Auch Szenegröße Gloria Viagra ist dabei, die Transe mit dem Schnurrbart, und eben Barbie Breakout, die im letzten Jahr mit einem drastischen Video auf sich aufmerksam machte: Sie nähte sich aus Protest gegen Homophobie den Mund zu. Daneben singen Chantal, deren Schwulenparty „House of Shame“ mittlerweile legendär ist oder Pansy, deren Show „Pansy Presents“ durch die Clubs der Stadt tingelt. Shiaz und Giske waren überrascht, dass alle sofort zugesagt hatten. Drags seien untereinander ganz schön kritisch, sagt Shiaz: „Wahrscheinlich hat ihnen meine Performance einfach gefallen.“
Barbie singt: „There's a world inside my a-hole. And it’s a world of drag and queers“. Alle grölen. „Shine bright like an diamond, Darling“, ruft Chandelier mit einem breiten Lachen in Richtung Mikro. „Der Text ist natürlich ganz schön derb und schlüpfrig, das muss man aushalten“, gibt Shiaz zu. Die Parodie wolle sich nicht über Afrika lustig machen, sondern einfach ein bisschen provozieren. „Auch wenn sie jetzt Nummer eins ist, ich finde die Coverversion von Campino grottenschlecht. Da musste ich einfach selbst ran.“ Den Text von Bob Geldof finden die Drags total veraltet. Der passe nicht mehr in die Zeit. Schließlich sei der Westen nicht der Heilsbringer, der der Welt zu sagen habe, wie es läuft. „Mit dem Refrain, Feed the girls/let them know it's Christmas time, wollen wir nicht hungernde Kinder beleidigen, sondern uns selbst auf die Schippe nehmen“, sagt Shiaz. Als Drag Queen müsse man schließlich immer auf seine Linie achten, sonst passe man am Ende nicht mehr ins Kleid.
Mögliche Einnahmen sollen gespendet werden
Sollten die acht mit dem Video etwas verdienen, wollen sie die Einnahmen spenden. Beim Singen geben sie alles und bedienen so manches Klischee: Chandelier leckt lüstern an einer Zuckerstange, Shiaz beißt mit schokoverschmiertem Mund in einen Weihnachtsmann und Pansy frisiert sich lasziv die Haare. Zwischendurch wird es ernst. „Girls, könnt ihr kurz verschwinden? Ich muss mich konzentrieren“, sagt Barbie genervt. Die Mädels seien Profis, haben viel Bühnenerfahrung, flüstert Shiaz beim Rausgehen. Während Barbie aufnimmt, warten die anderen draußen bei Sekt und Zigarette.
Der Punk mit den Dreadlocks
Aus einem Stockwerk höher dringen Schritte. „Ich wette, das ist eine Transe, 100 pro“, sagt Kaey, ein derber Transgender im bordeauxroten Wallalook, triumphierend. „Ich wette dagegen“, sagt Fixie schnippisch. Als plötzlich ein zotteliger Punk in Dreadlocks und Springerstiefeln die Stufen herunter gepoltert kommt, müssen alle lachen.
„Ich wollte ganz unterschiedliche Drags zusammenbringen“, sagt Shiaz. Absinthia Absolut, eine schlanke Drag mit langen Locken und Baskenmütze, trägt einen gezwirbelten roten Schnurrbart und ist erst seit kurzem dabei. „Pansy hat mich in die Show eingeladen und gesagt: Wir lieben Girls mit Bärten“, sagt sie, „es macht Spaß, sich zu verwandeln, Absinthia ist Kunst, erinnert an eine Comicfigur.“ Dass die Geschlechtergrenzen sich auflösten, mache gerade den Reiz aus. Und so hat fast jede der Drags ein oder zwei männliche Merkmale behalten. Bei Pansy, die am Abend oft mehr als drei Stunden für Anziehen, Schminken und Styling braucht, schaut aus dem silbrig glitzernden Paillettenkleid im Dekolleté und an den Armen starke maskuline Körperbehaarung hervor. Dazu hat sie bunte Tattoos – und den Körperbau eines Bodybuilders.
Frauenkleider und wuchernde Haare
„Berlin ist schon besonders und sehr speziell“, sagt Shiaz, die erst vor gut einem Jahr aus Zürich hergezogen ist. In der deutschen Hauptstadt sei die Szene viel größer und vielfältiger, nicht so eng wie in der kleinen Schweiz. Grenzen würden hier ganz anders gezogen: Frauenkleider und wuchernde Bartstoppeln? Das passe eben einfach gut zusammen. Der Beobachter fragt sich aber: Was ist gespielt und was ist ernst gemeint? Die Grenze zwischen Realität und Kunstfigur verschwimmt. Am Ende lüftet Fixie ihre Perücke, schminkt sich ab, schlüpft in ihre Männerklamotten. Ein völlig anderer Mensch steht da im Raum: ein junger Mann mit kurzen Haaren und markantem Gesicht.