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Strapazierte Loyalitäten. Dietmar Woidke ist umstritten, auch in der eigenen Partei.
© Sophia Kembowski / dpa

Brandenburger SPD: Dietmar Woidke nimmt den Kampf auf

In Brandenburg geht es mit der SPD bergab. Und Regierungschef Dietmar Woidke hat lange die Zügel schleifen lassen. Jetzt aber setzt er Signale und kämpft.

Er läuft geduckt, um sich nicht den Kopf an der niedrigen Decke zu stoßen, mit seinen 1,96 Metern. Aber Dietmar Woidke will sich noch die historische Spielzeug-Ausstellung anschauen, wenigstens das. Ein kurzer Blick, dann ist die Kurzvisite des Brandenburger Regierungschefs im Dorfmuseum von Tremmen vorbei. Nach einer Viertelstunde hatte der Begleiter der Staatskanzlei das Kaffeekränzchen abgebrochen, für das sich die Frauen vom Museumsverein so viel Mühe gegeben hatten, mit selbstgebackenem Bienenstich und Kirschkuchen. Man konnte Dietmar Woidke ansehen, wie unwohl ihm beim überstürzten Aufbruch war, mit dem er die Frauen enttäuschte: „Den Lorberg hätte er ruhig eine halbe Stunde warten lassen können.“

Das war seine nächste Station auf seiner „Heimattour“, die ihn vor ein paar Tagen ins Havelland führte. Lorberg ist eine Baumschule, und was für eine: 1843 in Berlin gegründet, in den 90ern in die Mark gezogen, eine der größten in Europa, spezialisiert auf ausgewachsene Bäume oder jahrelang in Formen zugeschnittene „Makro-Bonsais“. Grüne Hochkaräter aus Tremmen gehen in alle Welt, auch zu den Stadien der Fußball-WM in Russland. „40 Prozent des Umsatzes sind mittlerweile internationales Geschäft. Wir durften auch das Luschniki-Stadion beliefern, wo das WM-Finale stattfindet“, erzählte Stefan Lorberg, Firmenchef in sechster Generation, ehe er Woidke in der Sommerhitze über die Plantagen kutschierte.

Baumreihen über Baumreihen bis zum Horizont, Afrika-Feeling in der Mark. Und dann ließ Lorberg Woidke mal vorführen, wie eine 30-jährige Ulme ausgegraben wird. Der Gast war beeindruckt. Solche Momente, in denen er im Lande derart überrascht wird, gibt es nicht oft. Tja, Stefan Lorberg hätte Woidke noch einiges berichten können, über Probleme mit dem Russland-Geschäft in Embargozeiten etwa, wenn Woidke auch hier nicht gleich weitergerauscht wäre zum nächsten Termin, eine Lokalredaktion. Im Überflug gegen den Sturzflug?

Woidke hat keinen guten Lauf

Es waren zwei kleine Szenen nur, an sich kein Drama, aber irgendwie typisch für das, was gerade läuft in Brandenburg: Dietmar Woidke, Jahrgang 1961, der seit 2013 hier regiert, hat keinen guten Lauf. Eine lange Weile schon. Seine SPD ist auf ein historisches Tief gestürzt, im bisher „roten“ Brandenburg. Im Herbst 2019 wird wieder gewählt. Und es fehlt nicht viel, dass die SPD erstmals nicht mehr den Ministerpräsidenten stellt. Seine Kreisreform? Vermurkst, abgesagt. Bundestagswahl? Verloren, dritter Platz für die SPD, hinter der AfD. Landratswahlen? Vergeigt. Nun fiel noch die einst rote Uckermark an die Union. Die Aussichten? Mies. Die CDU mit Herausforderer Ingo Senftleben, der Ministerpräsident werden will, ist mit der SPD gleichgezogen. Würde jetzt gewählt, wären in der Landtagsfraktion zehn der 29 Abgeordneten nicht dabei. Das kann kirre machen.

Nun hatten die Genossen auch hier schon früher Krisen. Mancher erinnert sich an 2003/2004, als die CDU mit Jörg Schönbohm gefährlich nahekam, die Kommunalwahl gewann, als die Linken bei der Bundestagswahl siegten, ähnlich wie jüngst die CDU. Aber die Sozis standen, Woidkes Vorgänger Matthias Platzeck gewann nach einem furiosen Wahlkampf um Hartz IV die Landtagswahl.

Und heute? Es fehle jedwede Gegenwehr, als habe sich die SPD schon selbst aufgeben. Es sind Genossen, die das sagen, verstört, verzweifelt, ratlos, auch wegen Woidke. Er, der eine innere Ruhe hat, sich nicht verrückt machen lässt, hat einfach weitergemacht. Woche für Woche, Monat für Monat, bisher jedenfalls. Ganz so, als wäre das Land nicht in Wallung geraten. Die Performance der Regierung sei nicht gut, sagt ein Koalitionär. Und egal, was angepackt wird, Image Kampagne, beitragsfreie Kitas, digitales Nachholprogramm, Pendler-Nothilfe, es wirkt meist improvisiert, hingestolpert, oft nicht ausgegoren. Und zutage treten immer wieder handwerkliche Defizite, als habe die SPD das Regieren verlernt.

Er findet schnell Draht zu den einfachen Leuten

Das alles hat auch mit Dietmar Woidke zu tun, mit seinem Regierungsstil. Er hat kein „Küchenkabinett“ wie Vorgänger Platzeck, keinen Beraterkreis, auf den er sich blind verlassen kann. Klar, er ist wie kaum einer aus der Potsdamer Blase viel draußen im Lande. Er findet immer noch schnell einen Draht zu einfachen Leuten und bekommt jenseits der offiziellen rosaroten Berichtswege mit, was alles schiefläuft. Und über Funklöcher braucht ihm sowieso niemand etwas zu erzählen.

Es war ja auch Woidke selbst, der seine eigene Kreisreform abblies, was er gegen Widerstände in Landtagsfraktion und Parteivorstand durchsetzen musste. Normal wäre es andersherum gewesen, verkehrte Welt. Und so traut er dem, was er im Lande aufnimmt, oft mehr als seinem behäbigen Regierungs-Apparat – eine schwierige Beziehung. Man hört Geschichten, wie er Verhandler mit Mandaten losschickte, sich plötzlich revidierte, alles anders war, sodass sie im Regen standen. Das strapaziert Loyalitäten, was er sich nicht leisten kann. Selbst von Leuten, die sich noch vor zwei Jahren eher auf die Zunge gebissen hätten, hört man heute schon mal den Spruch vom stinkenden Fisch, eher resigniert.

Im Herbst steht der nächste SPD-Landesparteitag an. Woidke, der auch seine Bereitschaft zur Spitzenkandidatur 2019 bereits erklärt hat, kandidiert wieder für den Vorsitz. Es dürfte ein unruhiger Parteitag werden. Den ersten Aufstand gab es gerade, im Landesvorstand. Woidke hatte die SPD-Besetzung im rot-roten Koalitionsausschuss verändert, Vize-Parteichefin Katrin Lange, eine Vertraute, reingeholt und Wirtschaftsminister Albrecht Gerber. SPD-Landesschatzmeister Harald Sempf, ein Strippenzieher, der Unzufriedene sammelt, stellte einen förmlichen Gegen-Antrag, zwei Frauen zu nehmen, angeblich wegen der Quote. Das scheiterte. Aber es war ein direkter Angriff auf Woidke, aus der engeren Parteispitze. Um schon mal die Chancen für einen Königsmord auszuloten, um doch noch mit einem anderen Spitzenkandidaten in die Brandenburg-Wahl zu ziehen?

Er baut die Regierungszentrale um

Genossen haben dieses Szenario durchgespielt, vor Monaten schon, und es immer verworfen, selbst Sozis, die ihn kritisch sehen. Nicht nur, weil der Zeitpunkt zu spät ist. Woidke ersetzen? „Durch wen denn?“, fragt einer. Tatsächlich ist er allein auf weiter Flur, in der SPD gibt es niemanden, der beim Wahlvolk besser ankommen würde, jedenfalls kurzfristig nicht. Doch haben Unmut, Unsicherheit und das Rätselraten in der SPD über Woidke zugenommen. Im August wird er fünf Jahre Ministerpräsident sein, nach einer langen politischen Karriere.

Dann stehe ihm die volle Ministerpräsidentenpension zu, egal, was passiert, sagt eine Abgeordnete: „Kämpft er so, wie er kämpfen müsste?“ Es sind gefährliche Fragen, es hat sich einiges angestaut, ehe Woidke nach langem Abwägen nun ein Signal setzt: Er baut die Regierungszentrale um, noch einmal, nachdem er erst vergangenes Jahr seinen langjährigen Vertrauten Rudolf Zeeb durch Thomas Kralinski ersetzt hatte, einen Intellektuellen, fast ohne administrative Erfahrung, was sich rächte. Nun wird Martin Gorholt Staatskanzleichef und BER-Staatssekretär, ein politisch und administrativ erfahrener Mann. Er leitet derzeit die Landesvertretung in Berlin, wo ihn Kralinski beerbt. Reicht eine kleine Rochade gegen das große Schlamassel? Oder kommt mehr? Es gibt Signale, dass Woidke kurz davor war, Agrar- und Umweltminister Jörg Vogelsänger zu entlassen, den Schwächsten im Kabinett, zu dem selbst SPD-Fraktionschef Mike Bischoff jüngst auf die Frage, was der gut mache, nur einfiel: Er sei bodenständig.

"Alles andere ist Esoterik"

Es war am Pfingstsonntag. In seiner Heimatstadt Forst fand der traditionelle Steherwettkampf statt, ein internationales Radrennen, für Woidkes ein Pflichttermin, schon immer. Er kam mit dem Privatwagen, selbst am Steuer, Frau Susanne dabei. Als der Tagesspiegel ihn hier, wo seine Welt noch heil ist, wo jeder ihn duzt, zur Krise befragte, fand er deutliche Worte. „Es gibt einen massiven Vertrauensverlust. Da hilft nur harte Arbeit. Da hilft nur Kommunikation. Es hilft nur, sich um die Probleme der Menschen zu kümmern. Alles andere ist Esoterik. Da gibt es bei uns in der Regierung, in der Partei noch Luft nach oben.“ Da war er klar, sehr klar. Und auch das sagte er noch: „Ich wurde schon öfter unterschätzt. Das ist mir meistens gut bekommen.“ Danach setzte sich Brandenburgs Regierungschef auf die Tribüne, mittenrein in die Reihen. Durchs Stadion schallte gerade ein Song von AC/DC, einer Lieblingsband seiner Jugend: „Highway to Hell“. Auf der Autobahn zur Hölle. Dietmar Woidke hat noch einen heißen Ritt vor sich.

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