Sicherheit, ich will endlich Sicherheit!: Die Zukunft der Stadt muss autofrei sein
Unsere Kolumnistin ist in einem Mercedes groß geworden. Heute ist sie wütend über die vielen Autos in der Stadt. Eine Glosse.
Kennen Sie diesen Satz noch aus Ihrer Kindheit? „Bei Rot bleibst du stehen, bei Grün darfst du gehen.“ Das reicht heute bei der Verkehrserziehung leider nicht mehr. Ich muss meiner Tochter zusätzlich sagen: „ Überquere den Fußgängerüberweg dort, wo er nicht zugeparkt ist. Und nein, mein Schatz, du kannst nicht mit dem Fahrrad zur Schule fahren.“
Es bricht mir jedes Mal das Herz, diese Sätze sagen zu müssen. Ich fahre Rad und weiß genau, welchen irrsinnigen Gefahren sie ausgesetzt wäre. Es ist schon bittere Routine, dass sie selbst als Fußgängerin morgens auf dem Weg zur Schule eine Lücke zwischen der Autoschlange finden muss, um bei Grün die Straße sicher überqueren zu können. Erstaunlich, wie viele türkische Schimpfwörter mir in solchen Situationen für die Autofahrer einfallen. Wenn es richtig brenzlig wird, schreie ich auf Deutsch: „Sicherheit, ich will endlich Sicherheit!“
Mit meinem Rad bin ich die Schlüterstraße in Charlottenburg entlang gefahren. Dort parkten fünf Autos auf dem Radstreifen, sodass ich auf die Fahrbahn ausweichen musste. Bis hier nichts Besonderes. Doch direkt hinter mir überholten mich Beamte in einem Polizeiauto – und fuhren seelenruhig weiter.
Um Ihnen zu verdeutlichen, wie es in unserer autovollen Stadt um das Selbstverständnis des Fahrrads steht, möchte ich einen leidenschaftlichen Autofahrer aus meinem Bekanntenkreis zitieren: „Du hast doch genug Geld, warum kaufst du dir kein Auto“, fragt er mich jedes Mal, wenn ich verschwitzt, aber glücklich zu unseren Treffen komme. Meine Antwort: „Ich will kein Auto.“ Er sagt dann fassungslos: „Wie kann man kein Auto fahren wollen?“
Ich gebe es zu, ich hasse Autos. Und das, obwohl ich quasi in einem Mercedes großgeworden bin. Mein Vater stieg vor 50 Jahren von seinem Pferd, kam nach Deutschland und kaufte sich einen Daimler. Zweimal im Jahr fuhr ich als Kind von Duisburg ins Dorf meiner Eltern. Ungefähr da fing mein Auto-Trauma an. Ich freue mich, wenn sich durch die Dieselaffäre und andere Autoskandale etwas in unserem Bewusstsein ändert. Autos haben mitten in einer Millionenstadt nichts zu suchen, weder fahrend noch stehend. Sie nerven nicht nur, sondern sind so fehlplatziert, wie mittlerweile das Rauchen in Restaurants.
Erst kürzlich ist wieder ein Mensch tödlich mit dem Rad verunglückt. Abbiegefehler, heißt es dann nüchtern in der polizeilichen Statistik. Hinter der Zahl ist ein Mensch, der morgens auf sein Rad stieg und nicht mehr nach Hause zu seiner Familie zurückgekehrt ist. Mehr Unfälle, mehr Verletzte, mehr Tote. Es ist traurig. Es macht wütend. Im letzten Jahr waren es 45 Fußgänger und elf Radfahrer, die auf Berlins Straßen getötet wurden. Aber wenn Andrea Nahles auf die Frage, welches Fahrradteil sie gerne wäre, antwortet: „Das Auto, das daneben steht“, ist der Weg noch weit. Solange ein Bußgeld günstiger als Parken ist und Verkehrskontrollen nach dem Zufallsprinzip abgehalten werden, wird sich nichts ändern. Und wo ist eigentlich die Prämie für die Leute, die zum Schutz der Umwelt ihr Auto abgeschafft haben? Tja, ohne Lobby, keine Prämie.
Vor meiner Haustüre fahren S-Bahn, U-Bahn und drei Busse. Ich habe Verständnis für diejenigen, die außerhalb der Stadt auf das Auto angewiesen sind, weil der einzige Bus hier nur stündlich fährt. Aber die Antwort darauf kann nicht sein, noch mehr Autos reinzulassen. Die Zukunft der Stadt muss autofrei sein – mit mehr Radwegen und einem funktionierendem Nahverkehr. Und dafür bin ich auch gerne die Klingel am Fahrrad.