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Polizeieinsatz im Amateurfußball: Beim Viertligaspiel zwischen dem 1. FC Union II und dem BFC Dynamo wollten Heimfans im März den Fanblock der Gäste stürmen.
© imago

Gewalt im Berliner Amateurfußball: Die Wutbürger am Spielfeldrand

Die neue Saison beginnt und damit der schwierige Versuch des Berliner Fußballverbands, verbale und physische Gewalt einzudämmen. Im letzten Jahr gab es im Jugend- und Amateurbereich 79 Spielabbrüche. Vor allem aggressive Eltern sind ein Problem.

Wladislaw Gledow fühlte sich sicher, das war sein Fehler. Aber er hatte doch diese Leute um sich extra zu seinem Schutz, diese Funktionäre des BSV Hürtükel und die anderen Personen. Und die Bushaltestelle lag doch nur noch ein paar Meter entfernt, ganz in der Nähe der Hürtürkel-Anlage in Neukölln.

Also nahm Gledow auch hin, dass ihm ein Hürtükel-Fan zum zweiten Mal zubrüllte: „Wenn ich dich das nächste Mal sehe, dann töte ich dich, du Bastard.“ Das erste Mal hatte der Typ die Drohung zehn Minuten früher ausgestoßen, kurz nachdem Gledow, 19 Jahre alt, das A-Jugendspiel von Hürtürkel gegen Rudow (3:2 für Rudow) abgepfiffen hatte.

Doch plötzlich landete die Faust eines Begleiters im Gesicht des Schiedsrichters. Da wusste Gledow, dass er einen Fehler gemacht hatte, aber da war es zu spät. Der Täter war der Vater eines Hürtürkel-Spielers.

Die Attacke geschah am 19. März, Gerd Liesegang hat sie als einer der schlimmsten Vorfälle in der vergangenen Fußball-Saison in Erinnerung. An diesem Wochenende beginnt die neue Saison, jedenfalls in den oberen Ligen, ab September sind alle 3600 Mannschaften des Berliner Fußballverbands (BFV) im Einsatz, und Liesegang, BFV-Vizepräsident, weiß schon jetzt, dass die Sportgerichte wieder genügend Arbeit erhalten werden. Gewalt im Fußball, verbale und physische, ist ein Dauerbrenner.

Eltern wollten gegnerischen Mädchen Hosen herunterziehen

„Es gibt Leute, die betrachten den Fußballplatz als rechtsfreien Raum“, seufzt Liesegang. Eltern eines Vereins im Norden von Berlin zum Beispiel, die versuchten, Mädchen des Gegners FC Internationale die Hosen herunterzuziehen, weil sie vermuten, dass in Wirklichkeit Jungs gegen ihr Team antreten. Jugend-Trainer, die ihren Spielern zubrüllen „Haut den Typen um“, wenn ein Gegenspieler zu viele Tore schießt. Funktionäre, die einen randalierenden Spieler ihrer Mannschaft lieber mit dem Handy filmen, als ihn zu stoppen.

Solche Szenen, alle in der vergangenen Saison dokumentiert, die meint Liesegang. Es hat schon einen zynischen Beiklang, wenn er bilanziert, dass es wenigstens kaum noch Massenschlägereien gebe. „Dafür aber hat die Zahl der Beschimpfungen zugenommen. Die Seele wird verletzt.“

Die reine Statistik gibt keine Verschärfung der Situation her. In der Saison 2014/15 gab es bei Jugendspielen 34 Spielabbrüche und im Erwachsenenbereich 45. Die Zahlen der Jahre davor: Saison 2013/14: Jugend: 34 Abbrüche, Erwachsene: 44, Saison 2012/13: Jugend: 45, Erwachsene 42.

Der BFV hat insgesamt 144 000 Mitglieder, aktive und passive zusammengenommen, fast alle von ihnen bewegen sich im adrenalin-durchfluteten Volkssport Nummer eins im erträglichen Rahmen, aber Statistik senkt keine Emotionen. Gefühlsmäßig wird es immer schlimmer auf den Plätzen.

Der Frust bei Trainern und Jugendleitern nimmt zu

Und die Haupttätergruppe ist schnell identifiziert, der Besuch eines x-beliebigen Kinder- und Jugendfußballspiels genügt: die Eltern. „Wenn man die am Spielfeldrand aufnehmen und ihnen später die Szenen vorspielen würde, die würden alle behaupten: Das bin nicht ich“, sagt Liesegang. Bei vielen Funktionären entdeckt er auch deshalb inzwischen eine „gewisse Hilflosigkeit“.

Gerd Thomas, Zweiter Vorsitzender des FC Internationale in Schöneberg, sagt: „Ich habe 20 Schiedsrichter unter 20 Jahren, die will ich nicht verlieren.“ Auch er hat den Eindruck, „dass bei Trainern und Jugendleitern die Frustration steigt“. Es gebe Teams, zu denen kaum noch ein Coach reisen wolle. „Die Kinder werden von den Erwachsenen ja aufgehetzt.“

Viele Schiedsrichter sind überfordert und reagieren falsch

Thomas hatte mal eine komplette Mannschaft seines Vereins zu einem Anti-Gewaltkurs geschickt, Strafe dafür, dass einer ihrer Spieler randaliert hatte. Jetzt ist er Mitorganisator eines Treffens von Jugendtrainern und -Funktionären mit dem BFV. Am 25. August reden sie zusammen über Möglichkeiten, die Gewalt einzudämmen. „Wir müssen mit den Jugendlichen arbeiten“, sagt Thomas. „Denen müssen wir helfen, Bodenhaftung zu bewahren.“ Und: „Die Schiedsrichter müssen gestärkt werden.“

Definitiv. Denn viele von ihnen fühlten sich schlicht „überfordert“, sagt Liesegang, überfordert von den Aggressionen auf dem Platz. Deshalb brechen sie oft auch zu früh ein Spiel ab. Sie haben zu diesem Zeitpunkt längst noch nicht alle Sanktionsmittel eingesetzt, welche die Regeln hergeben, eine Rote Karte etwa. Ein Drittel aller abgebrochenen Spiele setzt das Sportgericht deshalb neu an.

Vereine sehen sich zu oft in der Opferrolle

Der BFV setzt auch auf Fortbildung. Im September bietet er eine Schulung für Ordner an. Im Oktober werden sogar Stadionsprecher in deeskalierender Wortwahl geschult.

Schöne Versuche, aber sie haben auch etwas Hilfloses, solange Vereine nicht mitspielen und sich lieber in der Opferrolle sehen. Für Liesegang ein Unding. „Wenn der Trainer eines Vereins gesperrt wird, heißt es im Klub: Der Verband ist schuld, dass unsere Kinder am Wochenende ohne Trainer spielen müssen. Stattdessen sollten die Funktionäre sagen: Der hatte sich falsch verhalten.“

Hürtükel im Übrigen erhielt für die Attacken auf Schiedsrichter Gledow Punkteabzug und eine Geldstrafe. Gledow ist Mitglied des FC Internationale, und Vizepräsident Thomas hat eine „erstaunliche“ Beobachtung gemacht. „Der hat den Vorfall ganz gut weggesteckt.“

Soll der Fußball für Polizeieinsätze zahlen? Lesen Sie hier ein Pro und Contra unserer Sportredakteure Johannes Nedo und Stefan Hermanns.

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