Hat Tradition in Berlin: Die Weihnachtszirkusse sind wieder in der Stadt
Von Hohenschönhausen bis Westend, von Kamel bis Comedy, hier ist für jeden etwas dabei.
Kaum zu glauben, aber in der Manege wahr. Der Hund, dem Paolo liebevoll Leben einhaucht, ist eigentlich eine Maschine. Die Ohren sind Kochlöffel. Und die Schnauze? Ein alter Fotoapparat. Aber Paolo Carillon ist eben ein zauberhafter Tüftler, ein Clown zum Träumen – einer, der Poesie und Technik anrührend mixt. Seifenblasen erscheinen aus dem Nichts, Blumen verwandeln sich in bunten Regen und zu guter Letzt verschenkt Paolo sogar sein Herz.
Neugierig geworden? Der italienische Clown gehört zu den Stars des Roncalli-Weihnachtscircus. Ebenso wie Comedian Robert Wicke. Nicht nur seinem Körper, sondern auch Tischen, Stühlen und anderen Gegenständen um ihn herum entlockt der 41-Jährige unglaubliche Töne und Sounds – und lässt dabei die Jonglierbälle fliegen.
Aber die beiden sind längst nicht die einzige schöne Bescherung für Berliner Zirkusfans in der Adventszeit und während der ersten Neujahrstage. Im Zelt des „Circus Williams“ macht Jungstar Deniro Will Handstände auf dem Schlappseil, eine weltweit fast einzigartige Nummer. Im „Berliner Weihnachts-Circus“ zeigt das spanische „Duo Peris“, was man mit Rollschuhen auf einem Podest so alles rasant anstellen kann. Und im „Circus Berolina“ kann man erleben, wie Dompteur Patrick Spindler mit seinen „Flaschenkindern“ schmust: Es sind Tiger, die er selbst großgezogen hat.
Die Weihnachtszirkusse haben Tradition
Herrrreinspaziert, Herrrreinspaziert! Die kleinen und großen Weihnachtszirkusse sind wieder in der Stadt. Immer, wenn das Fest naht, kommen sie nach Berlin, laden zum Staunen, Lachen und Schmunzeln ein und sind für viele Familien ein guter Adventsbrauch, ebenso wie Plätzchen backen und Päckchen packen.
Und ihre Gastspiele haben Tradition. Zum 24. Mal spielen der Berliner Weihnachts-Circus und der Circus Williams zum Christfest in Berlin, ins 25. Jahr geht der „Circus Berolina“. Und Roncalli? Direktor Bernhard Paul ist mit seiner Show zum 14. Mal dabei.
Die circensische Tradition reicht allerdings noch viel weiter zurück. Zirkusvergnügen sind in Berlin seit dem späten 19. Jahrhundert höchst populär. Schon vor mehr als hundert Jahren lud der 1892 gegründete Zirkus Busch in seinem riesigen einstigen Kuppelbau am Hackeschen Markt zu Weihnachtsspektakeln ein. Damals sprang die legendäre Artistin Minna Schulze, genannt: die Wasserminna, mit ihrem lamettageschmückten Hengst Conversano aus schwindelnder Höhe in ein Wasserbassin.
In den Fünfzigern ließen Karl Sembach Krone und Freddy Knie senior bei Adventsgastspielen ihre Pferde Pirouetten drehen oder Komplimente machen. Und solche Dressuren standen auch im Mittelpunkt des langjährigsten Berliner Zirkus-Klassikers „Menschen, Tiere, Sensationen“. Eine Show, die von 1937 an Artisten und Dompteure der Weltspitzenklasse zu Weihnachten in die Berliner Deutschlandhalle brachte. 1943 zerstörte ein Bombentreffer das Gebäude, doch ab Mitte der Fünfziger ging’s nach dem Wiederaufbau weiter. Erst 1997 klatschte das „hochverehrte Publikum“ hier letztmals – der Abbruch der Halle war schon beschlossen.
„Menschen, Tiere, Sensationen“
Öffnen wir nun aber rasch ein paar Türchen des diesjährigen Zirkus-Weihnachtskalenders und schauen mal nach, was in den Manegen noch so alles geboten wird. Zum Beispiel im Berliner Weihnachtscircus „Voyage“ am Olympiastadion. Alicia Peris bietet ein Luftschauspiel, sie erzählt eine Liebesgeschichte an seidenen Tüchern. Es gibt eine Hula-Hoop-Show und Fliegende Menschen, aber die Spezialität dieses Zirkusses sind exotische Tierdressuren: Elefanten, Giraffen, Flußpferdbulle Jedi, Kamele, Zebras, Friesen- und Araberpferde.
Von Tierschützern wird das Unternehmen heftig kritisiert, Berlins Tierschutzbeauftragte Diana Plange beklagt Verstöße gegen das Tierschutzgesetz, der Zirkus verweist dagegen auf seine „anerkannt tiergerechte Haltung“.
Die zweite Weihnachtsüberraschung, der Zirkus Berolina, bietet in Berlin-Waltersdorf „Luxus im Zeltpalast wie einst in der Kaiserzeit“ mit bequemen Rängen und Balkonlogen. 1999 erwarb „Berolina“ die Namensrechte von „Menschen, Tiere, Sensationen“, gastierte unter diesem Motto erst am Potsdamer Platz, dann am Hauptbahnhof und zog 2012 auf sein großes Gelände in Waltersdorf, wozu auch ein Tier-Erlebnispark gehört. Was steht diesmal im Programm? Ein Pferd als Comedy-Star, Jonglagen auf Leitern, die Western-Truppe...
Ein Tribut an den Zeitgeist
Luftakrobaten gehören zur Show des Circus Williams, Tanzartistik oder Stunt-Sprünge auf dem US-Todesrad. Aber die Highlights dieser Aufführung in Hohenschönhausen sind weiße Löwen und Kamele, pechschwarze Hengste und Riesenschlangen in einem Schaubild aus 1001 Nacht. Doch Weihnachten in der Manege kann auch ohne Tiere tierischen Spaß machen. Davon ist Roncalli-Chef Bernhard Paul überzeugt. Also treten in seiner diesjährigen Show im Tempodrom letztmals Pferde auf, obwohl ihm der Abschied, wie er sagt, schwerfällt. Es ist sein Tribut an den Zeitgeist.
Programmlücken gibt’s deshalb aber nicht. Im Gegenteil. Der Chef hält das ganze Jahr über mit Leidenschaft weltweit Ausschau nach außergewöhnlichen Künstlern, um die Allerbesten für seine Adventsshow zu engagieren. Diesmal balanciert das Moskauer Duo Pykhov auf einer Mondsichel – und Vivi und Lili Paul sind gleichfalls dabei. Nach diesen Artistinnen musste Bernhard Paul allerdings nicht lange suchen: Beide sind seine Töchter.
Chancen für den Nachwuchs
Dem Nachwuchs eine Chance. So lautet auch das Motto von Berlins quirligsten Manegenshows mit den jüngsten Spaßmachern und Artisten der Stadt. Das sind die Ensembles vom Kreuzberger Kinder- und Jugendzirkus „Schatzinsel“ und vom Zirkus „Cabuwazi“, dessen Trainingszelte in verschiedenen Bezirken stehen. Cabuwazi-Kids spielen sogar auf der Bühne des Wintergarten-Varietés mit: In der Zimt&Zauber-Adventsshow „Die kleine Meerjungfrau“.