Brandenburgs Störche in Bedrängnis: Die Vögel leiden unter Trockenheit, Monokultur - und Gänsen
Manche Störche finden Besetzer in ihren Horsten vor: Nilgänse. Brandenburg blieb von den aggressiven Vögeln bisher weitgehend verschont - noch.
Bad Freienwalde/Vetschau - Mit den ersten warmen Sonnenstrahlen kehren auch die ersten Störche aus ihren Winterquartieren zurück. In manchen Orten erwartet sie jedoch eine böse Überraschung: Ihre Horste sind bereits besetzt. Und zwar nicht wie früher durch andere Störche, die ein wenig schneller waren, sondern durch Nilgänse.
Die kommen allerdings nicht direkt aus Afrika, sondern wurden in den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen gezüchtet, sagt Bernd Ludwig. Er leitet seit vielen Jahren die Arbeitsgruppe „Weißstorchschutz“ beim Naturschutzbund (Nabu) Brandenburg: „Irgendwann wurden die Gänse ausgesetzt oder sind ausgebüxt und haben sich seither stark vermehrt. In manchen Gegenden sind sie ein großes Problem, da sie die ankommenden Störche aggressiv attackieren und so von ihren angestammten Nistplätzen vertreiben.“
Nilgänse sind etwas kleiner als Graugänse und fallen durch ihre hellgraue Körperfärbung sowie rost- oder braunrote Flügelfedern, vor allem aber durch ihre braunen Augenflecken auf. In Brandenburg habe es bisher nur vereinzelt – etwa in der Prignitz und in Großbeeren – Kämpfe zwischen Nilgänsen und Störchen gegeben, sagt Ludwig. Im benachbarten Sachsen schlagen allerdings sogar die Mitarbeiter des Naturschutzinstituts Dresden Alarm.
In Brandenburg fehlen eher Störche als Horste
„Ich habe davon gelesen“, sagt Winfried Böhmer, der einst das Weißstorchzentrum Vetschau mit der berühmten Internetkamera über dem Horst aufgebaut hat: „Aber in Brandenburg haben wir leider seit Jahren zurückgehende Zahlen von brütenden Störchen. Und ein sehr großes Angebot an Nistplätzen. Da sollte sich trotz der Nilgänse für jedes Paar noch ein Horst finden.“
Allerdings wir die Mehrzahl der Brandenburger Störche erst in einigen Wochen zurückkommen, meint Böhmer: „Sie sind Ostzieher, das heißt, sie fliegen über den Balkan, die Türkei und den Bosporus vor allem nach Nord- und Ostafrika, während viele Störche aus West- und Mitteldeutschland über die Straße von Gibraltar nach Westafrika ziehen oder sogar in Spanien überwintern.“
Einer von Letzteren ist Brandenburgs berühmtester Storch „Kurtchen Rotschnabel“. „Er wurde bereits vor etwa zwei Wochen wieder in seinem angestammten Nest in Bad Freienwalde gesichtet“, sagt Gisela Ziehm vom Naturschutzbund Oberbarnim: „Es ist schon ein wenig seltsam, dass wir hier fast jedes Jahr den ersten Storch von Brandenburg begrüßen können.“ Dass es tatsächlich seit Jahren immer derselbe Kurtchen Rotschnabel ist, bezweifelt Gisela Ziehm allerdings. Gleiches gilt für seine Gefährtin „Erna Schwanzfeder“.
„Wir haben unserem ersten Storchenpaar vor Jahren einmal diese Namen gegeben, um an Kurt und Erna Kretschmann zu erinnern, zwei Freienhufener, die sich sehr um den Naturschutz und die Störche verdient gemacht haben“, sagt Ziehm: „Erna Kretschmann hat sogar die gelbe Naturschutz-Eule erfunden und sich gemeinsam mit ihrem Mann schon zu DDR-Zeiten um Pflanzen- und Tierwelt gekümmert.“
Fakt ist, dass Kurtchen Rotschnabel Nummer eins, zwei oder drei in diesen Tagen bereits sein Nest für Erna richtet. Und sich auch darauf vorbereitet, es zu verteidigen. Nicht nur gegen Nilgänse, sondern vor allem gegen seine Artgenossen. Auch zwischen den männlichen Störchen gibt es oft Kämpfe um den Nistplatz und das Weibchen.
2017 gab es tödliche Unwetter, 2018 folgte Dürre
Im vergangenen Jahr mussten die Störche wegen des trockenen Frühjahrs und Sommers große Verluste bei der Aufzucht hinnehmen, sagt Winfried Böhmer. „Sie haben nichts zu fressen gefunden und deshalb ihre Jungen aus den Nestern geworfen.“ Laut Bernd Ludwig kostete das 260 kleine Störche das Leben. Im Jahr 2017 kamen allerdings fast doppelt so viele, nämlich 444, durch die zahlreichen Unwetter mit Starkregen um.
Hinzu kommt, dass die intensive Landwirtschaft in Brandenburg mit ihrer Monokultur und den Pestiziden nicht nur Insekten, Heuschrecken, Frösche, Eidechsen und andere Reptilien und Amphibien vernichtet, sondern damit auch den Störchen die Nahrungsgrundlage entzieht, beklagen Tierfreunde. Zudem sterben zahlreiche Störche immer noch durch Stromschläge, weil die Masten, auf denen sie sich niederlassen, nicht ausreichend gesichert sind.
„Die Nilgänse sind also wirklich das kleinste Problem“, sagt Winfried Böhmer. „Die kann zur Not jeder ausgewachsene Storch aus dem Nest jagen.“
Sandra Dassler