TXL-Volksentscheid: Die vergessenen Anwohner von SXF
Viele vom Lärm am BER betroffene Berliner stimmten für die Offenhaltung von Tegel. Auch weil sie weitaus mehr aushalten müssen.
Drei Wochen ungefähr dauert es, bis sich der Körper an die Ruhe gewöhnt hat. An die ununterbrochene Stille bei der Arbeit im Garten oder am Schreibtisch bei geöffnetem Fenster. „Seitdem wissen wir, welche Lebensqualität wir hier hätten, wenn die Politik nicht so eine verhängnisvolle Fehlentscheidung getroffen hätte“, sagt die Vorsitzende des Bürgervereins Brandenburg-Berlin (BVBB), Christine Dorn.
Sie steht vor dem Wahllokal in ihrem Wohnort Bohnsdorf, wo sie gerade auch über die Zukunft von Tegel abgestimmt hat. Bohnsdorf ist ein Ortsteil von Treptow-Köpenick, der an den Flughafen Schönefeld grenzt. „Schreiben Sie lieber Berliner Ortsteil“, sagt Christine Dorn: „Viele denken, dass vom BER-Lärm und dem Dreck nur das Brandenburger Umland betroffen ist.“
Sie habe sich auch deshalb beim BVBB engagiert, weil der damalige Leiter des Referats Immissionsschutz einmal gesagt habe, er bekäme auch Post aus Schmöckwitz. Dabei liege das doch in Brandenburg.
Die „Zentralberliner Sicht“
Gerade auch wegen der endlosen Debatten um Tegel fällt das Wort „Zentralberliner Sicht“ an diesem Wahlsonntag öfter in Bohnsdorf, das direkt an den Flughafen Schönefeld grenzt. Zehn Millionen Menschen starten oder landen hier, deshalb sind die Bohnsdorfer daran gewöhnt, Gespräche im Freien ständig unterbrechen zu müssen.
Seit Mitte Juli wird am Flughafen Schönefeld gebaut und deshalb nutzen die Maschinen schon mal die Südbahn des künftigen Großflughafens BER, die zwei Kilometer südlich liegt. Seither fühlen sich die Bohnsdorfer fast wie im Paradies. „Wir können endlich mal nachts bei offenem Fenster schlafen“, schwärmt Ingrid Franke, die mit ihrem Mann Bernd 120 Meter von der nördlichen Landebahn entfernt wohnt. Aber Ende Oktober sind die Bauarbeiten beendet und der gewohnte Zustand kehrt zurück.
Wenn Tegel geschlossen wird, kommen weitere 20 Millionen Passagiere hinzu, laut Masterplan sollen es sogar bis zu 58 Millionen werden. Die Belastung für die Bohnsdorfer wird dann noch viel, viel größer sein als heute und nicht nur Christine Dorn fragt sich, warum.
Solidarisch mit Tegel
„Als der Planfeststellungsbeschluss des BER gefasst wurde, ging es darum dass er schon 2007 geöffnet werden, für maximal 30 Millionen Passagiere geplant sein und nur wenig mehr als zwei Milliarden Euro kosten sollte. Alle diese Ziele wurden grandios verfehlt. Und dafür sollen wir mit unserer Gesundheit zahlen?“
Viele Bohnsdorfer stimmten wahrscheinlich schon deshalb für die Offenhaltung, weil sie sich sagen, dass jede Maschine, die über Tegel fliegt, nicht gleichzeitig über Bohnsdorf dröhnen kann. Und auch aus Protest. „Ich bin so enttäuscht von der Politik“, sagt Eberhard Jauch, über dessen Haus die Flugzeuge in 200 Meter Höhe fliegen: „Drei Staatssekretäre habe ich im Haus gehabt, aber nichts hat sich getan.“
Was Dorn am meisten kritisiert, ist die ungerechte und ungleiche Behandlung der Betroffenen in Tegel und Schönefeld. „Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass den Anwohnern in Schönefeld deutlich größere Opfer zugemutet werden als denen in Tegel“, sagt sie. „Sollen wir jetzt tatsächlich nachweisen, dass wir nicht gesundheitlich robuster sind?“
Der BER wird nicht fertig
Beate und Ralf Drange machen heute schon den Fluglärm für ihren Bluthochdruck verantwortlich. Sie haben wie wohl wie die meisten Bohnsdorfer für die Offenhaltung von Tegel gestimmt. „Wenn die 20 Millionen Passagiere, die Tegel vergangenes Jahr hatte, zu uns noch dazu kommen, fliegen die Maschinen dreimal so dicht wie jetzt“, sagt Christine Dorn, die den Tegeler Bürgerinitiativen die Zusammenarbeit angeboten hat. Denn eigentlich sind beide Flughäfen innerstädtisch und den Anwohnern unzumutbar, findet sie. Ein völlig neuer Standort wäre die einzige gerechte Alternative.
So steht es auch auf den Plakaten, die von den BVBB-Aktivisten in den vergangenen Wochen verteilt wurden, auch im besonders betroffenen Blankenfelde- Mahlow. Das liegt in Brandenburg und deshalb können die Einwohner hier nicht über Tegel abstimmen.
Bürgermeister Ortwin Baier (SPD) hält die Debatte ohnehin für sinnlos. „In den nächsten Jahren muss Tegel sowieso offen gehalten werden, weil der BER nicht fertig wird“, sagt er. „Und grundsätzlich sind sowohl Tegel als auch Schönefeld innerstädtische Standorte, was eine viel zu hohe Belastung der Bevölkerung bedeutet. Man kann nur hoffen, dass endlich mal ein Politiker den Arsch in der Hose hat, das zuzugeben und einen völligen Neustart in Angriff zu nehmen.“ Sandra Dassler