Berliner Kinos: Die Spur der Filme
Der Start des „International“ war eine Katastrophe. Ein Buch zeichnet die Geschichte des Kinos nach.
Der Genosse Staatsratsvorsitzende und Erste Sekretär des ZK der SED war sichtlich aufgebracht. Wütend verließ Walter Ulbricht das Kino „International“, das als repräsentatives Premierentheater und architektonische Perle im II. Bauabschnitt des Großprojekts Stalinallee gedacht war, doch dann das: eine technisch schauderhafte Premierenvorführung, der Film schien sich einfach nicht durchs Labyrinth des Projektors schlängeln zu wollen, mehrmals sah es aus, als sei er gerissen. „Und das soll nun die neue Technik sein?“, grollte der erste Mann der DDR, schnappte sich den Mantel samt seiner Lotte, stapfte vondannen.
Nein, die Premiere des „International“ in der heutigen Karl-Marx-Allee am 15. November 1963 war alles andere als ein glanzvoller Erfolg, da konnten auch die im Projektionsraum postierten Stasi-Leute nichts ändern. Die Kopie des synchronisierten Debütfilms, des sowjetischen Bürgerkriegsepos „Optimistische Tragödie“, war zu spät fertig geworden, das Material noch feucht und schwer – das rächte sich.
Die Episode findet sich in dem Buch „Das Kino ,International’ in Berlin“ des Autors Dietrich Worbs, das am Montag an naheliegendem Ort, im „International“ eben, vorgestellt wurde – praktischerweise im Vorfeld der Berlinale, zu deren Spielstätten der Kinobau seit den ersten Gesamtberliner Filmfestspielen 1990 gehört. Worbs ist Architekt und Bauhistoriker, hat lange Zeit in der Behörde des Berliner Landeskonservators gearbeitet – sein erstes Interesse galt daher dem architektonischen Aspekt des Themas, der wiederum eingebettet ist in den stadtplanerischen Rahmen, die Anstrengungen der DDR in den frühen sechziger Jahren, aus dem Trümmerhaufen des Krieges wieder eine funktionierende Hauptstadt zu zimmern.
Das mag anfangs auf Laien im Baugeschäft etwas betontrocken wirken, das Buch ist ja auch deutlich als Standardwerk über das heute zur Yorck-Gruppe gehörende „International“ angelegt, nicht als schnell wegzulesendes und -zulegendes Unterhaltungswerk. Doch schon bei der Biografie des Architekten Josef Kaiser wird es spannend.
Offenbar ein Mann von vielen Facetten: Zur Zeit der k.u.k. Monarchie im heutigen Slowenien geboren, danach Tschechoslowakei, Studium in Prag, Übersiedlung nach Deutschland. Im Krieg Architekt in Staatsdiensten, unter anderem in einem Außenlager des KZ Auschwitz, nach Kriegsende Sänger in Berlin, so als Erster Tenor im Theater am Nollendorfplatz. 1950 kehrte Kaiser zur Architektur zurück, wurde ins Büro des Ost-Berliner Chefarchitekten Hermann Henselmann aufgenommen, machte Karriere.
Worbs hat sich sehr gründlich in die Baugeschichte des Kinos hineingegraben, das in der Planungsphase durchaus auch auf Widerstand bei konservativ gesonnenen Parteigrößen stieß und sich erst auf höhere Weisung durchsetzte. Er widmet sich aber ebenso ausführlich und kenntnisreich der wechselvollen Geschichte des Hauses nach dem unwirschen Ulbricht-Auftritt. Es war nicht nur als Premierenkino gedacht, sondern bot als Kulturzentrum für sein Viertel auch einer Bibliothek und einem Club Raum bot. Es ist eine alles in allem spannende Geschichte, denn nach der vergeigten Hauspremiere ging es nicht weniger dramatisch weiter: Frank Beyers „Spur der Steine“ hatte hier am 30. Juni 1966 seine Premiere samt der von oben inszenierten Krawalle, die den Anlass gaben für die Absetzung des Films nach wenigen Tagen. Und selbstverständlich fehlt auch die Premiere von Heiner Carows „Coming out“ nicht, am Abend des 9. November 1989. Während der Film lief, ging die Mauer auf.
Dietrich Worbs: Das Kino „International“ in Berlin. Gebr. Mann Verlag, Berlin. 160 Seiten, 19,95 Euro