zum Hauptinhalt
 Jungen, die sich gegen HPV impfen lassen, schützen sich selbst vor Krebs – sie tun dies aber auch für die Mädchen.
© Getty Images/iStockphoto

HPV-Impfung auch für Jungen: Die Spritze vor dem ersten Sex

Die HPV-Impfung gegen Krebs wird jetzt auch für Jungen empfohlen. Warum dies längst überfällig war.

Wenn ein Junge zwischen zwölf und 14 zur Jugendlichen-Vorsorgeuntersuchung, der „J1“, in die Schöneberger Praxis von Jakob Maske kommt, spricht der Kinder- und Jugendarzt mit ihm und seinen Eltern seit November letzten Jahres auch über die Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV).

Noch eine Impfung? Wird der Katalog denn immer länger? Ganz so ist es diesmal nicht, denn die Ständige Impfkommission (STIKO), ein beim Robert- Koch-Institut (RKI) angesiedelter Expertenkreis, empfiehlt seit Juni 2018 einen Impfschutz für Jungen, der allerdings den Mädchen schon seit 2007 zusteht. Im November hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) grünes Licht dafür gegeben, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Impfung bezahlen.

Dass das männliche Geschlecht nun nachzieht, ist ein Fall von Gender-Gerechtigkeit, wenn man so will – und ein bedeutsamer: Denn der Schutz vor einer Infektion mit HPV ist zugleich ein Schutz vor Krebs. Der deutsche Krebsforscher Harald zur Hausen wurde für die Erkenntnis, dass sich aus einer Infektion mit diesen Viren nach Jahren im ungünstigsten Fall Krebs entwickeln kann, im Jahr 2008 mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt. Er fordert schon seit Jahren, auch den Jungen die kostenlose Impfung anzubieten, wie das etwa in diversen Nachbarländern seit Jahren geschieht. Jungen sind zugleich Überträger und Opfer der Viren.

Besonders gefährdet sind in dieser Hinsicht zwar die Frauen: Weltweit ist Gebärmutterhalskrebs nach Brustkrebs für sie die zweithäufigste Todesursache bei Krebserkrankungen. Eine halbe Million Fälle werden jedes Jahr neu diagnostiziert, 275 000 Frauen sterben jedes Jahr. Zwar lebten 85 Prozent von ihnen in armen Ländern, wo neben den Möglichkeiten zur Früherkennung auch die zur Behandlung deutlich schlechter sind als in den reicheren Ländern, doch auch in Deutschland fallen diesem Krebsleiden jedes Jahr rund 1600 Frauen zum Opfer.

Kondome bieten nicht ausreichend Schutz

Es gibt aber auch Krebsformen, die zumindest teilweise durch HPV verursacht werden und die beide Geschlechter treffen können: Krebs in der Analregion, Krebs an der Zunge, in Hals und Rachen. Und dann gibt es noch, als Leiden der Männer, den Peniskrebs. „Wenn wir mit den Familien sprechen, stellen wir besonders heraus, dass die Impfung einen Schutz für die Jungen selbst bedeutet“, sagt deshalb Kinderarzt Maske. Beim Zentrum für Krebsregisterdaten des RKI wird geschätzt, dass in jedem Jahr 600 Analkarzinome, 250 Peniskarzinome und 750 Karzinome in der Mundhöhle und im Rachen auf eine HPV-Infektion zurückgehen. Das klingt wenig, doch immerhin ist von Krebs die Rede, dessen Entstehen sich durch eine Impfung verhindern lässt.

Jungen, die sich impfen lassen, tun damit außerdem auch etwas für die Mädchen. Denn wer sich nicht selbst infiziert, kann das Virus auch nicht weitergeben. Das passiert beim Kontakt mit Haut und Schleimhäuten, vor allem während des Geschlechtsverkehrs, und es passiert ohne Impfung häufig. Kondome bieten, wie Studien zeigen, zwar einen gewissen, aber keinen absoluten Schutz. Das ist bei HPV anders als bei HIV. „Als Infektionsquelle können auch Schleimhaut- und Hautbereiche infrage kommen, die nicht durch ein Kondom geschützt sind“, klärt der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg auf. Um die Sache nicht zu dramatisieren: In den allermeisten Fällen bleibt eine Infektion ohne Folgen, alles heilt problemlos wieder aus. Nur dass sie das eben nicht immer tut - und dass die Sache ansteckend ist.

Die zwei Impfstoffe, die derzeit auf dem Markt sind, schützen nicht vor allen Typen des Virus, doch immerhin vor 80 beziehungsweise 85 Prozent der wichtigsten Hochrisikotypen. Wie wirkungsvoll damit Krebs verhindert werden kann, wird erst Jahrzehnte nach der Einführung der Impfung zu erkennen sein. Denn bis aus einer Infektion eine Krebserkrankung wird, vergehen Jahre. Immerhin zeigen Studien aus Australien, wo die Mehrheit der Jugendlichen geimpft ist, dass nicht nur Warzen in der Genitalregion, die ebenfalls durch das Virus verursacht werden können, sondern Vorformen von Gebärmutterhalskrebs deutlich abgenommen haben. „Die Impfung gegen Humane Papillomviren schützt wirksam vor einer HPV-Infektion und daraus resultierenden Krebsvorstufen“, teilte RKI-Präsident Lothar Wieler anlässlich der neuen Impfempfehlung für beide Geschlechter mit. Er kann sich auf die Auswertung der Cochrane-Gruppe stützen, die Anfang 2018 die verfügbaren wissenschaftlichen Studien auswertete.

Zu wenige Jungen gehen zur Vorsorgeuntersuchung

Irritationen gibt es jedoch immer wieder aufgrund von Medienberichten über mögliche Nebenwirkungen und sogar Impfschäden. Tatsächlich haben einige Jugendliche direkt nach dem Piks Schmerzen, die Einstichstelle kann sich röten und anschwellen, einige fühlen sich ein zwei Tage nach der Impfung etwas krank, vereinzelt wird Jugendlichen direkt nach der Impfung sogar schwindelig. „Diese Nebenwirkungen sind selten, halten nur kurzfristig an und heilen komplett aus“, versichert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in ihrem Informationsblatt. Sie kann sich dabei auf die Kommission für Impfstoffsicherheit der Weltgesundheitsorganisation (Global Advisory Commitee on Vaccine Safety, kurz GACVS) stützen, die die HPV-Impfung zuletzt 2017 bewertet hat – nach mehr als 270 Millionen weltweit verimpften Dosen.

Maske, der seit 2007 schon Tausenden von Mädchen und inzwischen auch etlichen Jungen die Vakzine gegen HPV gespritzt hat, hat dabei als einzige negative Folge Beschwerden an der Einstichstelle erlebt. „Der Neunfach-Impfstoff, den wir seit zwei Jahren ausschließlich verwenden, ist aber weniger schmerzhaft“, berichtet der Kinderarzt, der auch Berliner Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) ist.

Zwar spricht er, wenn sich die Gelegenheit ergibt, Heranwachsende aus der „Zielgruppe“ und ihre Eltern auf die Impfung an. Doch die Gelegenheit bietet sich zu seinem Leidwesen zu selten. Zur Jugendlichen-Vorsorgeuntersuchung, die zwölf- bis 14-Jährigen zusteht, kommen nur etwas mehr als ein Drittel der Altersgruppe, wie die KiGGS-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ergab. „Bei denen, die kommen, ist die Resonanz aber sehr gut“, berichtet Maske. Mädchen können zudem bei ihrem ersten Besuch beim Gynäkologen auf das Thema angesprochen und anschließend dort geimpft werden.

Insgesamt sieht die Bilanz des RKI für Deutschland aber derzeit recht mager aus: Im Jahr 2015 haben sich nur 31,3 Prozent der 15-jährigen Mädchen mit den empfohlenen zwei Dosen impfen lassen, in Berlin waren es 32,5 Prozent. Unter den 17-Jährigen waren dann 44,6 Prozent vollständig geimpft. Weil viele Jugendliche zu diesem Zeitpunkt schon sexuelle Erfahrungen gesammelt und sich mit HPV infiziert haben könnten, empfiehlt die STIKO, sich den Impfschutz schon mit neun bis 14 Jahren zu holen.

Maske findet das Alter zwischen zwölf und 14 ideal dafür. In der Regel sind die Jugendlichen, die zu ihm kommen, über die HPV-Impfung recht gut informiert, zum Beispiel über Klassenkameraden. Und bei der J1 ergibt sich oft recht zwanglos ein Gespräch über Sexualität. „Da wir auch bei jugendlichen Patienten eine Schweigepflicht haben, was wir Ihnen immer erklären, kann das Thema häufig recht offen diskutiert werden.“ Selbstverständlich wird dabei über Kondome gesprochen, die nicht nur vor verfrühtem Schwangerwerden, sondern auch vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützen können. Bei HPV ist es, wie erwähnt, etwas komplizierter. Dass Impfungen heute zusätzlich ihr Scherflein zum Schutz beitragen, ist eine gute Nachricht.

Zur Startseite