Flüchtlinge in Sporthallen: Die Sportler quält Ohnmacht und Hilflosigkeit
In Berlin müssen Flüchtlinge in Turnhallen hausen. Sportler, die deswegen nicht trainieren können, sind frustriert – ein Luxusproblem? Klar ist: Betroffene Vereine haben immer weniger Verständnis. Das behindert auch Integration und Inklusion.
Die Symbole des ganzen Problems sind handlich, Daniela Schliwski trägt sie lässig durch die Halle. Zwei rote Plastik-Hütchen. Schliwski hat jetzt nichts anderes, das muss einfach genügen. Sie setzt die Teile auf den Boden, drei Meter auseinander, parallel zu den Pfosten des Tores. Das Tor ist von hier sechs Meter entfernt. Die Hütchen stellen nun den Handballkreis dar, ein lächerliches Provisorium. Aber was soll die Trainerin Schliwski sonst machen?
Es gibt blaue Linien, sie gehören zum Volleyballfeld. Es gibt schwarze Linien, die gehören zum Basketballfeld. Linien für ein Handballfeld gibt es nicht. Handballtraining ohne Handballfeld? Schwierige Sache.
Acht Männer spielen vor dem imaginären Kreis. Vier im Angriff, vier in der Abwehr. Drei andere schauen zu. Einer von ihnen trägt einen Vollbart und ein rotes T-Shirt. Robert Tesch ist der Kleinste der Trainingsgruppe. Deshalb spielt er auf der Außenposition. Normalerweise. Hier nicht. Die Halle ist so klein, dass er schon die Wand aufbrechen müsste, um auf seine Stammposition zu kommen. Ein Team besteht hier aus Platzmangel auch nur aus vier statt wie üblich aus sechs Spielern. Tesch wird in den Rückraum eingewechselt.
22 Spieler trainieren in der Reha-Halle eines Krankenhauses
Daniela Schliwski ist zwei Köpfe kleiner als die Männer, sie wirkt schmächtig in ihrer knielangen Hose und dem schwarzen T-Shirt mit der Nummer 18 auf dem Rücken. Aber sie hat hier alles im Griff. Die Pässe sind unsauber, die Trainerin unterbricht. „Jungs, ihr wisst alle, wie es geht, wo ist das Problem?“, schnauzt sie. Die 32-Jährige trainiert die Zweite Männermannschaft des SV Pfefferwerk vom Prenzlauer Berg, da geht nichts ohne klare Ansagen. Sie würde gerne Spielzüge üben lassen. Geht hier aber nicht. Also trainieren ihre Männer jetzt viel Kraft und Kondition. Dabei sind zwölf Spieler im Training schon fast wieder Luxus. „Letzte Woche“, sagt Schliwski, „haben wir mit der ersten Männermannschaft trainiert. Da waren 22 Mann in der Halle.“
Die Halle liegt 20 Meter neben einem wuchtigen wilhelminischen Bau, durch dessen Eingangshalle gerade zwei Männer im Bademantel und mit Krücken gehen. Die Handballer des SV Pfefferwerk trainieren jeden Montagabend in der Halle des St. Joseph-Krankenhauses in Weißensee. Dort, wo sonst Patienten Reha-Sport betreiben.
Den Vereinen und Sportlern geht langsam die Puste aus
Willkommen in der Sportwelt Berlin. Willkommen in der Welt der Freizeitathleten und der Leistungsorientierten. Willkommen in einer Zeit, in der Feldbetten für Flüchtlinge in Sporthallen stehen und Vereine verzweifelt versuchen, trotzdem einen einigermaßen normalen Trainingsalltag zu gestalten. Willkommen bei Menschen, die geistig zerrissen sind. Die Verständnis haben für Flüchtlinge, und die gleichzeitig zunehmend stärker das Gefühl beschleicht, dass sie für diese Flüchtlinge einen Preis bezahlen, den sie allmählich nicht mehr bezahlen wollen.
Robert Tesch ist seit neun Jahren bei den Handballern von Pfefferwerk. Architekt von Beruf, ein besonnener Mann, der jetzt in einer Trainingspause in der Reha-Halle auf einer Bank sitzt und sich durch den Vollbart streicht. „Die Frustkommentare nehmen zu“, sagt er. Auch in seinem Team. Es geht nicht gegen Flüchtlinge, es geht um belegte Hallen, um das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Manchmal fällt das Wort „Scheißpolitiker“.
150 Vereine sind betroffen
62 Sporthallen sind mit Flüchtlingen belegt. Das klingt nicht viel bei 1000 Hallen in der Stadt. Aber darunter sind die größten Hallen, solche, in denen Handballfelder aufgezeichnet sind. Rund 150 Vereine sind in Berlin betroffen, mehrere zehntausend Freizeitsportler müssen sich einschränken. „Exakte Zahlen über die Betroffenen haben wir nicht“, sagt Heiner Brandi, der Direktor des Landessportbunds (LSB), der Dachorganisation von rund 2000 Sportvereinen in Berlin.
Das Problem ist flächendeckend. Betroffen ist zum Beispiel die Handball-Europameisterschaft der Gehörlosen, die findet im Mai in Berlin statt. Die Veranstalter fanden ihren Ersatzstandort nur unter „erschwerten Bedingungen“, wie der LSB klagt. Auch die Tagesspiegel-Redaktion erreichen immer wieder Hilferufe: in dieser Woche etwa aus einer Tanzschule für Irischen Stepptanz in Prenzlauer Berg, die auf eigene Kosten ihren Übungsraum mit einem hochwertigen Parkettboden ausgestattet hat. Jetzt müssen die Tänzer gehen, der Besitzer des Studios, in diesem Fall nicht das Land Berlin, will dort Flüchtlinge einquartieren.
Man kann sie hochrechnen, die Zahl der betroffenen Hobbysportler. Allein beim SV Pfefferwerk, hat die Vereinsführung ausgerechnet, sind exakt 1459 Mitglieder betroffen, ein Drittel der Gesamtmitglieder des Vereins im Prenzlauer Berg.
Deshalb sagt Heiner Brandi vom LSB auch, dass „belegte Hallen ein tiefer Einschnitt in ein soziales Netzwerk“ sind. Allein im Handball seien bis jetzt 500 Spiele ausgefallen.
Belegte Sporthallen waren früher bloß ein Randthema
Die Menschen in den Hallen sind vor Krieg und Terror geflüchtet, ihre Not löste zunächst eine enorme Hilfsbereitschaft aus. Vor diesem Hintergrund wirkten belegte Sporthallen am Anfang wie ein Randthema. Was war schon ein Hockeyteam, das nicht trainieren konnte, gegen die erschütternden Berichte der Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan? Doch Sport hat eine enorme gesellschaftliche Bedeutung, er fördert den Zusammenhalt, für viele ist er ein wichtiger Ausgleich zu den Härten des Alltags. Nach und nach wurden die umgenutzten Hallen vom Randthema zum Gegenstand emotionaler Diskussionen.
Beim LSB bündeln sich der Zorn, die Ratlosigkeit, die drängenden Fragen von Funktionären und Vereinsmitgliedern. Im Dezember hatte der Verband betroffene Klubs eingeladen, Thema: die Situation im Sport angesichts belegter Hallen. 120 Vereinsvertreter kamen, es war, als hätte man ein Ventil geöffnet. Eine Flut wütender, verbitterter Kommentare rollte auf die LSB-Funktionäre an ihrem Vorstandstisch zu. Stichworte der Krise schwirrten durch den Raum: „Kosten“, „Vereinsaustritte“, „arbeitslose Übungsleiter“, „erboste Eltern“, „frustrierte Kinder“, „ratlose Sportler“.
Der LSB sieht sich als Speerspitze dieser Protestbewegung, er übersetzt die heftigen Kommentare in sportpolitisch-diplomatische Sprache. „Keiner möchte, dass Menschen unter Brücken schlafen, wir haben im Einzelfall Verständnis, dass man eine Sporthalle eine Zeit lang in Beschlag nimmt“, sagt Brandi. Aber doch nicht als Dauereinrichtung: „Wir fordern, dass sehr gründlich Alternativstandorte gesucht werden.“ Und zwar schnell, die Unruhe in den Vereinen werde immer größer.
Der SV Pfefferwerk ist einer dieser Vereine, an ihm kann man besonders gut darstellen, wie sehr die Flüchtlingssituation den Alltag eines Sportvereins durcheinanderwirbelt, und wie seine Struktur aus den Fugen gerät.
Der Klub hat seine Geschäftsstelle im vierten Stock eines grauen Betonblocks, gleich neben dem Velodrom und der Schwimmhalle an der Landsberger Allee. An der Eingangstür klebt ein kleiner, grinsender roter Teufel, daneben der Schriftzug: „Willkommen bei Pfeffersport, dem schärfsten Sportverein in dieser Galaxie“. Hier verwalten 19 Mitarbeiter die 4600 Mitglieder und neun Abteilungen des Vereins. Eigentlich heißt der Verein ja SV Pfefferwerk, aber die Mitglieder sagen nur „Pfeffersport“, das klingt besser.
Christoph Pisarz öffnet die Tür, ein Mann mit mächtigem Oberkörper und beeindruckenden Oberarmen. Pisarz sitzt seit frühester Kindheit im Rollstuhl, er hat sich Muskelberge an den Armen antrainiert. Kraftvoll schiebt er sich in ein Büro mit schwarzer Bücherwand. Im Verein nennen sie ihn „Rollstuhlpapst“. Pisarz, Architekt wie sein Vereinskollege Tesch, ist Leiter der Rollstuhl-Sportabteilung mit ihren 90 Mitgliedern, er ist Chef der Rollstuhl-Basketballer und selber Spieler, außerdem koordiniert er die Hallennutzung und den Reha-Sport bei Pfeffersport.
60 Rollstuhlsportler plötzlich ohne Halle
Der Tag, an dem die Flüchtlingsnot den gewohnten Alltag des Vereins jäh beendete, war der 3. November 2015. Am Abend hörte Pisarz, dass die wichtigste Halle des Vereins, in der Malmöer Straße in Prenzlauer Berg, innerhalb von zwei Stunden geräumt werden müsse. Flüchtlinge seien schon unterwegs. Auf einen Schlag hatten 772 seiner Sportler ihren Trainingsort verloren – die Halle wurde ausschließlich von Pfeffersport genutzt. Unter den 772 Betroffenen waren 60 Rollstuhlfahrer. „Rollis“ nennen sie sich selber.
Es ist ja schon schwierig, für Fußgänger Ausweichhallen zu finden. Bei Rollstuhlfahrern wird die Suche ein Job zum Verzweifeln. Die Halle Malmöer Straße ist ideal für Rollis. Sie hat einen barrierefreien Zugang, behindertengerechte Toiletten, einen Aufzug, das Spielfeld ist gut zu erreichen. 15 Kinder und Jugendliche sowie 45 Erwachsene im Rollstuhl, Anfänger und Profis, hatten dort bisher Basketball trainiert. Im Bereich Pankow, dem Einzugsgebiet, das für die Pfefferwerk-Rollis infrage kommt, gibt es sieben andere barrierefreie Hallen. Eine weitere davon ist mit Flüchtlingen belegt. Zwei andere, in Karow, werden von anderen Vereinen genutzt. Zwei weitere, in Französisch Buchholz, darf Pfeffersport nur für Ligaspiele nutzen. Bleiben für den Trainingsbetrieb die Seelenbinder- und die Schmelinghalle. Und nun? Vier Tage nach der schlechten Nachricht sollte Pfeffersport einen großen Pokalwettbewerb für Rollstuhlbasketballer ausrichten. Zweit- und Erstligisten hatten sich angemeldet, aus dem ganzen Bundesgebiet. Aber jetzt lebten 120 Flüchtlinge in der dafür vorgesehenen Halle.
Pisarz drückt sich in die Lehne seines Rollstuhls und lacht bitter. „Da wird man nervös. Am Tag danach stand ich nur noch unter Strom.“ Er legte den Telefonhörer kaum noch weg, innerhalb von 24 Stunden hatte er tatsächlich Ersatz gefunden, eine Halle in Französisch Buchholz.
Die neuen Mitglieder mussten zwei Monate ohne Halle auskommen
Eine Atempause, mehr nicht. Er stand ja jetzt vor einer Flut anderer Probleme. Wohin mit den Rollis, die neu dazu gestoßen sind? Wohin mit den Routiniers, die im Ligabetrieb spielen? Wo sollen die trainieren, wo ihre Heimspiele austragen?
Für die Einsteiger hatte er erst mal keine Antworten. „Die sind auf offener Strecke stehen geblieben“, sagt Pisarz. Sie blieben zwei Monate lang stehen. Pisarz bemühte sich, die Rollis in der Schmelinghalle in Prenzlauer Berg unterzubringen, dort bietet der Verein schon lange verschiedene Kurse an. Aber so eine Integration dauert. Übungsleiter müssen informiert werden und ihre Zustimmung geben, betroffene Mitglieder müssen von den Änderungen erfahren, außerdem wurden weitere Kurse in andere Hallen ausgelagert.
Pisarz hatte Urlaub im Januar, den hat er dringend gebraucht. In der Geschäftsstelle sitzt er neben Jörg Zwirn, einem der beiden Geschäftsführer von Pfeffersport, zuständig für die Organisation. Zwirn stupst Pisarz an und lacht: „Er sieht schon wieder besser aus, an Weihnachten war es viel schlimmer.“ Bei Zwirn hat der Stress tiefe Furchen ins Gesicht gezogen, ein Dreitagebart liegt unter den müden Augen.
Die Rollis, die im Ligabetrieb spielen, konnte Christoph Pisarz schließlich im Training der Alba-Berlin-Rollis integrieren. Er hat mal für Alba gespielt, die Kontakte halfen. Doch jetzt fahren beim Training bis zu 40 Athleten durch die Halle. „Jeder von uns macht in einer Woche nur noch 100 Korbwürfe“, sagt Pisarz. „Früher waren es 600.“
Rollstühle müssen ständig von Bernau nach Berlin transportiert werden
Dies ist freilich nur ein kleines Problem, verglichen mit den Schwierigkeiten, die der Umzug noch erzeugte. Denn in der Halle Malmöer Straße lagerten 35 Sportrollstühle in einem speziellen Raum. Die Rollis trainieren ja nicht mit ihren Alltagsstühlen. Die Sportstühle kosten zwischen 5000 und 8000 Euro pro Stück, Pfeffersport hat einen Sponsor, der viele von ihnen bezahlt.
Die Rollstühle durften die Mitglieder noch aus der Halle holen, aber jetzt standen sie da. Wohin mit ihnen? In die Schmelinghalle? „Wochenlang“, sagt Pisarz, „haben die Hallenwarte dort nach einer Lösung für uns gesucht. Vergeblich.“ Die fand sich letztlich in Form einer Doppelgarage. Die gehört dem Vater eines Rollis. Sie hat nur ein Problem, diese Garage. Pisarz hebt die Brauen. „Sie liegt in Bernau.“ Seit September 2015 besitzt Pfeffersport den Transporter. „Und der“, sagt Pisarz, „ist ständig im Einsatz.“ Die Rollstühle werden am Mittwoch in Bernau eingeladen und nach Berlin gefahren, dort ausgeladen, nach dem Training im Transporter verstaut, am nächsten Morgen werden die Stühle wieder zur Halle gebracht. So pendelt der Bus bis Sonntag. Dann geht’s wieder mit den Stühlen nach Bernau. 700 Kilometer ist der Bus mit den Rollstühlen inzwischen gefahren.
"50 Prozent der Kinder kommen nicht mehr ins Training"
Damit war das Transportproblem gelöst. Aber nicht jenes der Einzelfallhelfer. Viele der Rollstuhlbasketballer benötigen einen Helfer, der sie zum Sport bringt. Auf die verschobenen Trainingszeiten konnten sich manche nicht einstellen. „Einige Fahrdienste sind sehr unflexibel, wenn es Änderungen gibt“, sagt Pisarz. Und wenn die Helfer nicht bereitstehen, dann fällt der Sport eben aus. „40 bis 50 Prozent aller Kinder und Jugendlichen kommen nicht mehr zum Training“, sagt Zwirn.
Am 30. November 2015 war dann auch noch die zweite Halle weg, die Pfeffersport genutzt hatte. Auch hier zogen Flüchtlinge ein. In der Halle hatten Rolli-Kids trainiert, nun musste auch für 14 Kinder und Jugendliche eine Alternative gefunden werden. Schließlich brachte der Abteilungsleiter die Talente in der Seelenbinder-Halle unter. Auch ihre Rollstühle lagern nun in Bernau.
Pisarz, der muskulöse Typ, sackt bei der Erinnerung an diese Zeiten einen Moment lang regelrecht zusammen. „Man kann es nicht in Worte fassen, was es für einen Aufwand bedeutet, diese Probleme zu lösen. Als wir dachten, wir hätten eine Ausweichhalle für einen Teil der Rollis gefunden, da war plötzlich diese Halle auch belegt.“ Eine Halle, die nun Unterkunft für 180 Flüchtlinge ist. Und jetzt, sagt Pisarz, jetzt „hat man immer Angst, dass so etwas noch mal passiert“.
Räumung der Hallen sollte im Sommer erfolgen
Diese Angst kann ihm keiner nehmen. Die Politik verspricht nur, möglichst viele Alternativen zu Sporthallen zu suchen. Dieter Glietsch, der Berliner Staatssekretär für Flüchtlingsfragen, sagt, dass „mehrere hundert Menschen täglich sofort untergebracht werden mussten, um Obdachlosigkeit zu vermeiden“. Das sei nur durch die Belegung von Sporthallen möglich gewesen. Allein zwischen 1. und 18. Februar kamen 2868 neue Flüchtlinge nach Berlin, das sind im Schnitt rund 200 pro Tag. Sie brauchen ein Dach über dem Kopf. Selbst wenn Alternativstandorte gefunden werden, können sich die Sporthallen also erst einmal nicht leeren.
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) sagt, Notunterkünfte in Sporthallen seien stets „die letzte Option“. Die Hallen seien die ersten Gebäude, die frei würden, wenn es eine Alternative gebe. Und wann gibt es die? Gute Frage. Niemand kann, niemand will sie beantworten. Mitte Januar hatte Glietsch erklärt, er wolle im Sommer mit der Räumung der Hallen beginnen. Inzwischen redet er nur noch von einem „überschaubaren Zeitraum“.
An der Basis, beim SV Pfefferwerk, haben sie natürlich Verständnis für die Notlage der Flüchtlinge. „Wir wollen keine Obdachlosigkeit“, sagt Janine Rosenheinrich. Sie ist in der Geschäftsführung für Finanzen zuständig. Aber die 38-Jährige sieht auch den Alltag in den mit Flüchtlingen belegten Sporthallen. „Menschenunwürdig“ nennt sie die Bedingungen. „Alles ist beengt, den Flüchtlingen fällt die Decke auf den Kopf. Schon deshalb sind Sporthallen ungeeignet.“
„Da fliegen die Bälle durch die Luft wie die Rosinenbomber bei der Berliner Blockade.“
Vereinsmitglieder sind in die Hallen gegangen, um diesen tristen Alltag ein wenig aufzuhellen. Sie machten Sport mit den Bewohnern, hörten zu. Pfefferwerk hatte schon im Herbst 2015 eine Spendenaktion für Flüchtlinge eingerichtet, 2000 Euro kamen zusammen. Inzwischen aber benötigt der Verein seine Ressourcen für andere Themen.
Janine Rosenheinrich verzieht den Mund. Für sie hat es einen zynischen Beiklang, dass man ausgerechnet die Hallen ihres Vereins belegt. Denn Pfeffersport bietet nicht nur seinen Mitgliedern umfassende Angebote, sondern im gleichen Maß auch Flüchtlingen. „Viele dieser Angebote werden von denen angenommen“, sagt sie. „Und dann nimmt man uns einen Teil dieser Angebote weg.“
Und zugleich pfercht man die Hobbyathleten zusammen. Bei den Handballern, sagt Geschäftsführer Jörg Zwirn, trainierten teilweise vier Teams gleichzeitig in einer Doppelsporthalle. „Da fliegen die Bälle durch die Luft wie die Rosinenbomber bei der Berliner Blockade.“
Der Verein profitiert nicht vom EM-Triumph der Handballer
In der Reha-Sporthalle, beim Training der zweiten Männermannschaft, können sie sich solche Szenen lebhaft vorstellen. „Viele haben unter diesen Umständen keine Lust mehr zu trainieren“, sagt Robert Tesch, der Außenspieler. „Auch in unserer Mannschaft nicht.“ Das Training ist zu Ende, Tesch und einige aus der Gruppe sitzen noch auf einer Bank. Neben Tesch hat sich Marcel Rönnebeck gehockt, ein stämmiger Typ, dem das verschwitzte T-Shirt am Oberkörper klebt. Er hat Anfang Februar den Sieg der deutschen Handballer bei der Europameisterschaft geeiert, wie die anderen in seinem Team. Aber jetzt, in der kleinen Krankenhaus-Halle, verbindet er denn Triumph mit Frust. „Es gibt einen EM-Hype bei den Kids“, sagt Rönnebeck. „Aber wir als Verein können die Euphorie gar nicht nutzen bei diesen miserablen Bedingungen. Was wollen wir denn den Kindern bieten?“
2000 Euro Verlust wegen fehlender Kletterwand
Janine Rosenheinrich würde darauf gern eine befriedigende Antwort geben. Sie hat bloß keine. Soll sie etwa als Erfolgsmeldung verkünden, „dass wir gerade die Beiträge aussetzen“? Weil sie dazu gezwungen sind? Auf ihrem Schreibtisch steht ein Foto von ihr und zwei Vereins-Mitarbeitern, alle drei als rote Teufel verkleidet, das Maskottchen des Vereins. Das Bild entstand bei einem Vereinsfest, sie lachen in die Kamera. Das war im Sommer 2015. Die Halle Malmöer Straße war noch frei.
Aber jetzt ist Winter, in der Halle leben 120 Menschen, und Janine Rosenheinrich, die studierte Betriebswirtin, hat auch damit zu tun, 20 frustrierte erwachsene Mitglieder der Pfeffersport-Klettergruppe bei Laune zu halten. In der Malmöer Straße konnten die sich an einer Kletterwand hochziehen. Aber in Berlin sind öffentliche Hallen mit solchen Wänden selten. Also ist die Geschäftsführerin auf eine private Kletterhalle in Pankow ausgewichen. Aber in der wollen nur die 20 Kinder und Jugendlichen der Gruppe klettern, der Verein zahlt ihnen den Eintritt. Die Erwachsenen lehnten diese Lösung ab. Eine andere Alternative kann Janine Rosenheinrich derzeit aber nicht bieten. Also sind die Betroffenen erst mal beitragsfrei. „Allein durchs Klettern haben wir bisher 2000 Euro Verlust“, sagt die 38-Jährige. Insgesamt, wenn man alles zusammenrechnet, sind es bisher 5000 Euro.
Der Verein muss Ausweichhallen anmieten
Und der Verein muss ja nicht bloß den Eintritt fürs Klettern bezahlen, er muss auch Ausweichhallen für andere Sportler anmieten. Das St. Joseph-Krankenhaus gibt seine Sporthalle auch nicht gratis an Pfeffersport ab. Der Verein hat auch für sein Eltern-Kind-Turnen eine Halle angemietet. Sonst hätten 300 Bambini keine organisierten Spielstunden mehr. „Gut, alle geben uns die Hallen für einen schmalen Taler“, sagt Rosenheinrich. Sie blättert durch einen Aktenordner. Bei den Tankrechnungen für den Transporter bleibt sie hängen. „Ganz schön heftig“, sagt sie. Rund 1000 Euro sind bis jetzt zusammengekommen. Aber der größte Posten sind die Materialkosten. Pfeffersport musste vieles neu kaufen, Rollbretter, Bälle, Tücher, alles, was fürs Training nötig ist. In der Malmöer Straße war zwar alles da, sie haben die Sachen auch ausgeräumt. Aber jetzt benötigen sie Material an mehreren Ausweichstandorten zugleich. Mehrere tausend Euro hat der Verein bisher dafür bezahlt.
Ob er dieses Geld komplett zurückbekommt, ist unklar. Die Senatsverwaltung für Sport und Inneres hat zwar einen Sondertopf eingerichtet, aber aus dieser Quelle werden bis jetzt bloß Mieten für Ausweichquartiere und Fahrtkosten bezahlt. Die Vereine erhalten Abschlagszahlungen, die Endabrechnung erledigt die Senatsverwaltung für Finanzen. „Wir müssen unsere Ausgaben erst mal vorstrecken“, sagt Rosenheinrich.
Zehn Übungsleiter haben den Verein verlassen
Bei einem Jahresumsatz des Vereins von 800.000 Euro sind solche Vorleistungen nicht existenzgefährdend. Dennoch wird die Geschäftsführerin auf offenen Rechnungen sitzen bleiben. Denn Pfeffersport bietet in Schulen und Kitas Sport-AGs an. „Die sind total begehrt“, sagt Rosenheinrich. 90 Euro bezahlen Eltern im Schuljahr für ihr Kind.
„Im Gegenzug“, sagt sie und liest aus einem Vertrag des Vereins mit einer Schule, „verpflichten wir uns, die AGs zu gewährleisten.“ Dummerweise sollten einige dieser AGs in den Hallen stattfinden, die nun mit Flüchtlingen belegt sind. Fünf Gruppen sind schon ersatzlos gestrichen. „Die Eltern haben aber bereits bezahlt“, sagt Rosenheinrich. „Da kommt man ins Rödeln.“ Der Verein muss das Geld zurücküberweisen – und letztlich auf die Einnahmen verzichten.
„Das Schlimmste ist die Ungewissheit“
Das nächste Problem sind die Übungsleiter. Oft Studenten, die mit dem Vereins-Honorar ihre Kasse aufbessern. Aber die geänderten Trainingszeiten kollidieren häufig mit ihren Semesterplänen. Entweder wechseln sie deshalb zu einen anderen Klub oder sie trainieren gar nicht mehr. „Zehn Übungsleiter sind schon weg“, sagt Rosenheinrich. 50 bis 60 Trainer sind von der Flüchtlingssituation betroffen. Damit die nicht auch noch gehen, werden sie mit anderen Aufgaben im Verein beschäftigt. „Wir müssen sie halten und bezahlen“, sagt Rosenheinrich. „Sonst haben wir keine Trainer mehr, wenn die Hallen wieder offen sind.“
Wie viele Mitglieder werden aus Frust austreten? Das ist so eine Frage, die keiner beantworten kann. 15 bis 20 hat der Verein seit Beginn der Hallenbelegung verloren. „Allerdings wollten die sowieso gehen“, sagt Rosenheinrich. „Mit dem Hinweis auf die belegten Hallen ist noch keiner weg.“ Bis jetzt wirkt noch der Appell der Geschäftsführung. In einem offenen Brief an alle Mitglieder hatten Zwirn und Rosenheinrich gebeten, man möge den Verantwortlichen „Zeit geben“.
Aber wie lange? Je länger Hallen belegt sind, umso geringer wird die Bereitschaft der Vereinsmitglieder, zugunsten von Flüchtlingen auf den gewohnten Sport zu verzichten. „Das Schlimmste ist die Ungewissheit“, sagt Janine Rosenheinrich. „Niemand weiß, wie es weitergeht.“
Auch LSB-Direktor Brandi nicht. Trotzdem hat er einen Fahrplan vor Augen. „Bis zum Frühsommer müssen die ersten Hallen freigegeben werden“, fordert er. Und wenn nicht? Tja, wenn nicht. Da wird Brandi auf einmal ganz still. Dann sagt er, erheblich leiser, erheblich weicher: „Dann bin ich, ehrlich gesagt, ratlos.“
Dieser Text erschien in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.