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Hertha BSC spielt am 30. Oktober 1938 in der Gauliga Berlin-Brandenburg gegen den Berliner SV (3:3), hier stürmt Hanne Sobek (r.).
© Picture-Alliance/dpa

Hertha BSC Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Rote Armee, Hans Sobek und der Fußball in Berlin

Der Fußball hatte einen schweren Start, als Berlin vor 70 Jahren ein neues Leben nach dem Krieg begann. Hertha BSC galt als einstige Nazi-Stütze. Auch Idol Hans Sobek hatte es deshalb schwer.

Bernd Sobeck weiß noch, wie der Vater ihn an die Hand genommen hat, das kurze Stück den Kaiserdamm hinunter bis zum Ringbahnhof. „Ein Auto hatten wir nicht, aber das hätte uns eh nichts geholfen, die Straßen waren ja voller Trümmer.“ Also haben sie sich am Bahnhof Witzleben in die S-Bahn gequetscht und sind aus dem einst feinen Berliner Westen in den immer noch proletarischen Norden gefahren. „Hier sah es noch schlimmer aus als bei uns in der Gegend“, sagt Sobeck. Die Millionenbrücke war in der Mitte eingestürzt, aber es gab noch die alte Treppe runter zum Zauberberg. Wieder hat der Vater den zweijährigen Bernd an die Hand genommen, sie sind über die Betonbrocken geklettert und unten ... war kein Zauberberg mehr!

Der Uhrenberg war auch weg, und wo sich einmal die kleine Tribüne aufgebaut hatte, lagen nur noch verkohlte Holzbohlen. Der Vater stand schweigend da, mit ihm eine Handvoll anderer Männer, alles Freunde und Bekannte vom Vater, und wie Bernd Sobeck ihnen in die Gesichter schaute, „da konnte ich sehen, dass sie alle Tränen in den Augen hatten“.

Der Fußball hatte einen schweren Start, als sich Berlin vor 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg langsam wieder aufrappelte. „Eigentlich hat gar keiner mehr vom Fußball geredet“, sagt Bernd Sobeck, „es gab Wichtigeres: das reine Überleben.“ Hamsterfahrten zu den Bauern im Umland, die zerstörte Wohnung aufbauen, Verwandte und Bekannte suchen. Aber dann hat ihn der Vater doch mal mitgenommen, mit der S-Bahn zum Bahnhof Gesundbrunnen. Dorthin, wo früher Hertha BSC gespielt hatte, eingequetscht zwischen Reichsbahn und Swinemünder Brücke, die jeder nur Millionenbrücke nannte, weil ihr Bau so unfassbar viel Geld verschlungen hatte. Fußballspiele waren in den 20er und 30iger Jahren ein gesellschaftliches Ereignis auf dem immer überfüllten Herthaplatz, dessen Stehtribünen Zauberberg und Uhrenberg hießen.

Hans Sobek: Der "größte Fußballer" Berlins

Auch im proletarischen Wedding kamen die Zuschauer mit Hut und Anzug, und ihr Idol war der elegante Hans Sobek, den alle nur Hanne nannten. Bernds Vater, Kapitän von Herthas Meistermannschaft der Jahre 1930 und 31, zehnmaliger Nationalspieler. Sepp Herberger, der Trainer der Weltmeistermannschaft von 1954, hielt ihn für „den größten Fußballer, den Berlin je besessen hat“.

Bernd Sobeck erzählt gern von seinem Vater, von den schönen wie von den schweren Zeiten, „von denen weiß ich glücklicherweise nicht mehr so viel“. Das „c“ im Nachnamen verdankt er einem schusseligen Standesbeamten. Zum Gespräch in einem Café am Mexikoplatz hat er Bücher mitgebracht. Behutsam streicht er über die alten Fotos. Zauberberg und Uhrenberg. Das alte Vereinscasino an der Behmstraße. Der Vater auf den Schultern seiner Kameraden nach dem Sieg im Meisterschaftsfinale über 1860 München.

Aber auch das Chaos am Gesundbrunnen, Trümmer und Granattrichter auf dem Fußballplatz. Bis in die letzten Kriegswochen hinein hatte Hertha BSC hier Fußball gespielt, Fußball spielen müssen. Die braunen Machthaber taten alles dafür, der Bevölkerung so etwas wie Normalität vorzugaukeln. Dazu gehörte unbedingt, dass Fußball gespielt wurde. Wenn es die Arbeit beim Reichsrundfunk an der Masurenallee zuließ, fuhr auch Hanne Sobek einmal in der Woche mit der S-Bahn nach Gesundbrunnen und half aus, wenn sein Klub knapp bei Personal war, und das war er eigentlich immer.

Rote Armee bewahrte Hertha vor dem Abstieg

Am Ende rettete die Rote Armee Hertha vor dem Abstieg. Die Mannschaft war Vorletzter in der Gau-Liga, als die Meisterschaft abgebrochen werden musste, weil die Rote Armee zum Sturm auf Berlin blies und auch Gesundbrunnen im Chaos des Häuserkampfes versank. Der Herthaplatz bekam allein 200 Bombentreffer ab. Am 6. Mai, zwei Tage bevor Wilhelm Keitel in Karlshorst die deutsche Kapitulation unterzeichnete, ging die Haupttribüne in Flammen auf. Da, wo mal der Uhrenberg war, türmten sich schließlich Munition, Gewehre und Uniformen, mit denen keiner mehr etwas zu tun haben wollte.

Nach dem Kriegsende kam das Aus für den Fußball

Als Hanne Sobek noch ein Youngster war: 1927 spielte die Hertha im Berliner Poststadion ein Freundschaftsspiel gegen Penarol Montevideo aus Uruguay.
Als Hanne Sobek noch ein Youngster war: 1927 spielte die Hertha im Berliner Poststadion ein Freundschaftsspiel gegen Penarol Montevideo aus Uruguay.
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Langsam nur kam das Leben wieder in Gang. Vor ziemlich genau 70 Jahren, am 20. Mai 1945, wurden die Uhren in Berlin nach Moskauer Zeit gestellt und die sowjetische Militärverwaltung richtete im Lichtenberger Stadion das erste Fußballspiel der Nachkriegszeit aus. Vor 10.000 Zuschauern spielte eine Mannschaft der Roten Armee gegen eine Auswahl gerade befreiter Zwangsarbeiter. Ansonsten aber war es erst einmal vorbei mit dem Fußball, denn er stand unter Generalverdacht.

Im Falle Hertha BSC verfügte das von der KPD dominierte Bezirksamt Wedding: „Der Hertha-Verein ist als nationalsozialistischer Fußballclub im Jahre 1945 nach Kriegsschluss verboten worden. Rechtsnachfolger ist das Bezirksamt Wedding, Abt. Sport.“ Hanne Sobek verlor seinen Arbeitsplatz beim Reichsrundfunk und unterzog sich einem Entnazifizierungsverfahren, es dauerte zwei Jahre und endete mit einem Freispruch erster Klasse (wie ihn ein halbes Jahrhundert später der Verein auch im Allgemeinen bekam).

Für den Fußball galt im Allgemeinen, was für Sobek im Besonderen galt. Die Alliierten sahen in den alten Vereinen Stützen des braunen Systems. Als Ersatz riefen sie den Kommunalsport ins Leben, ein Ligasystem mit 36 Mannschaften, die sich über Stadtteilgrenzen definierten. Die früheren Spieler von Hertha BSC bildeten mit denen des Nachbarn NNW 98 die Sportgemeinschaft Gesundbrunnen. Tennis Borussia kickte als SG Charlottenburg, Blau-Weiß 90 als SG Mariendorf. Die erste Meisterschaft gewann die SG Wilmersdorf (BSV 92) im Finale gegen die SG Prenzlauer Berg-West (Alemannia 90). Die Spielgenehmigung war an den Wohnort geknüpft. Hanne Sobek stand als Charlottenburger nicht für Hertha zur Verfügung, aber mit seinen 45 Jahren war ohnehin langsam Schluss.

Der alte Hertha-Platz blieb Treffpunkt der Herthaner

Und doch fuhr er immer mal wieder zum alten Hertha-Platz, um sich dort mit den alten Weggefährten zu treffen. Mit Fredy Stahr, dem Mitspieler aus der Meistermannschaft. Oder Wilhelm Wernicke, Herthas Vorsitzendem zu Weimarer Zeiten, der hinter den Kulissen für eine Neuzulassung des Klubs warb. Die Jüngeren räumten den Platz, bauten eine provisorische Umkleidebaracke und zogen einen Zaun um das Gelände. Die Älteren debattierten im Vereinslokal an der Bellermannstraße und planten die Zukunft des Vereins. „Der Hertha-Platz war für sie auch so eine Art Nachrichtenbörse“, sagt Bernd Sobeck, und vor allem ging es dabei um die ganz elementare Frage: Wer hat den Krieg überlebt und wer nicht? Am Gesundbrunnen erfuhr Hanne Sobek vom Tod seines alten Freundes und Sturmpartners Hanne Ruch.

Ein Jahr nach Kriegsende genehmigten die Alliierten ein erstes Städtespiel, es fand am Karfreitag auf dem notdürftig wiederhergerichteten Hertha-Platz statt. Berlin siegte 2:1 gegen Dessau. Langsam normalisierten sich die Dinge. Hanne Sobek trat eine Trainerstelle beim Berliner Verband in Wannsee an, sein Sohn Bernd streunte mit seinen Freunden durch Charlottenburg. Sie klettern durch die Ruine der zerbombten Deutschlandhalle und spielten Fußball auf der Straße, „Platz war ja genug auf den vielen Brachen, nur Bälle hatten wir nicht“. Zur Not musste es eben ein ausgestopfter Strumpf tun.

Und die Sportgemeinschaft Gesundbrunnen? Mühte sich durch die Ebene des Nachkriegsalltags. Bei Gastspielreisen durch die Provinz kündigten Plakate den zweimaligen Deutschen Meister an, aber in der neu gegründeten Stadtliga half der Ruhm der alten Zeiten wenig, es reichte nur zu hinteren Plätzen. Das Verfahren um Wiederzulassung als eingetragener Verein zog sich bis 1949 hin.

1. August 1949: Der Club aus Gesundbrunnen heißt wieder Hertha

Fast alle Berliner Klubs durften schon wieder ihren alten Namen tragen, als dann am 1. August auch in Gesundbrunnen der lang ersehnte Bescheid eintraf, unterschrieben von der für den Sport zuständigen Bürgermeisterin Louise Schroeder. Noch am selben Abend trafen sich die Mitglieder, um über den neuen Vereinsnamen zu entscheiden. Es gab 113 Stimmen für Hertha BSC und nur sieben für Hertha/NNW.

Das Hertha-Idol Hanne Sobek arbeitete zu dieser Zeit als Trainer für Union Oberschöneweide, den Vorläufer des heutigen 1. FC Union. Später gab er auch noch mal am Gesundbrunnen die Kommandos und gewann 1963 die Berliner Meisterschaft, sie war entscheidend für die Aufnahme in die neue Bundesliga. Als Hertha 1965 wegen illegaler Handgeldzahlungen zum Zwangsabstieg verurteilt wurde, stellte er sich noch einmal als Notvorstand zur Verfügung. Den Abriss des alten Herthaplatzes 1974 hat er noch miterlebt, den Umzug des Vereins von Gesundbrunnen nach Charlottenburg nicht mehr. Hanne Sobek starb im Februar 1989.

17 Jahre später hat der Bezirk den Platz vorm Bahnhof Gesundbrunnen nach ihm benannt, eine öde Brache, auf der inzwischen Bahnhofsgebäude in den Himmel wachsen. Bernd Sobeck machte seinen Weg in Charlottenburg, er spielte mit Tennis Borussia mehrfach um den Aufstieg in die Bundesliga, arbeitete später als Lehrer am Dreilinden-Gymnasium. Mit dem Herz aber blieb er beim Verein seines Vaters. Heute ist Bernd Sobeck 72 Jahre alt und sitzt im Ältestenrat von Hertha BSC.

Stürmische Vergangenheit: Eine Hertha-BSC-Fahne auf dem Vereinsgelände.
Stürmische Vergangenheit: Eine Hertha-BSC-Fahne auf dem Vereinsgelände.
© dpa

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