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Genug geredet? Zwischendurch können auf der re:publica virtuelle Realitäten erlebt werden.
© imago/Martin Müller

Digitalkonferenz in Berlin: Die re:publica ist erwachsen geworden

Ab Montag diskutieren 8000 Menschen auf der re:publica über Digitalisierung und das, was sie mit uns macht. So etwas zu planen, ist hoch politisch. Einblicke hinter die Kulissen.

Freitagmittag in Kreuzberg. Noch 70 Stunden. Das W-Lan funktioniert schon mal. Gilt hier als mit das Wichtigste.

Wo jetzt noch Gabelstapler fahren und Techniker Kabel verlegen, soll am Montag Europas größte Digitalkonferenz beginnen. In Halle vier ziehen die Trockenbauer gerade zwei Gipswände mit Dämmwolle ein. „Keine Panik“, sagt Andreas Gebhard, „wir sind im Zeitplan.“ Von der Amateurhaftigkeit der Gründerjahre, als ausgerechnet auf einer Technikkonferenz oft die Technik ausfiel, ist nichts mehr zu sehen. Die re:publica ist erwachsen geworden.

Drei Tage lang werden in der „Station“, einem stillgelegten Postbahnhof am Gleisdreieck, 8000 Menschen über den Einfluss der Digitalisierung auf Gegenwart und Zukunft diskutieren. Es sind Blogger und Forscher, Start-up-Unternehmer und Medienleute, Techies und Tüftler. Andreas Gebhard, 41, hat die re:publica 2007 gemeinsam mit drei Bekannten gegründet. Er sagt: „Wir machen eine Gesellschaftskonferenz.“ Eine, bei der fast alle Themen verhandelt werden können. Weil die Digitalisierung eben inzwischen sämtliche Lebensbereiche durchwirkt, und das in einer Radikalität, dass einem schwindlig werden kann. Bei der es lohnt, innezuhalten und draufzuschauen.

Dieses Jahr steht die Liebe im Fokus. Aus digitaler Perspektive, in allen ihren Facetten. Es soll eine empathische Gegenrede werden zum Hass, der im Netz grassiert und befeuert wird: die Schmähungen und Drohungen der Rechtspopulisten, die Vergiftung des Klimas durch Pegida, AfD und Breitbart. Wie begegnet man Hasskommentaren und Mordaufrufen? Wie hilft man anderen Betroffenen? Zum Auftakt spricht die Autorin Carolin Emcke, die im Herbst zu diesem Thema ihren Essay „Gegen den Hass“ veröffentlichte. Wäre die diesjährige re:publica ein Emoticon, müsste es ein Herz mit ausgestreckten Armen sein.

Was sind das für Menschen, die gegen die Verrohung und den Rechtsruck ankuscheln wollen? Hippies mit Laptops?

Zu Besuch im Hauptquartier der Macher

Der Ort, an dem die Konferenz ein Jahr lang geplant wurde, befindet sich am unteren Ende der Schönhauser Allee. Im Vorderhaus war früher das „White Trash“, jetzt werden dort Turnschuhe verkauft. Provozierend langsam ruckelt ein Fahrstuhl in den fünften Stock. Dort liegen, am Ende eines verwinkelten Ganges, zwei Zimmer. In den Wochen vor der Konferenz arbeiten hier 30 Menschen auf engem Raum. Aktenordner, leere Wasserflaschen, Plastikdinos auf Klapptischen. Im hinteren, kleineren Raum sitzt das Programmteam, acht Frauen, ein Mann. Andreas Gebhard nennt es den „war room“. An Wandtafeln hängen Unmengen bunter Post-its mit den Namen der eingeplanten Redner: Kathrin Passig, Matt Mitchel, Holm Friebe, Garri Kasparow ... Um den Überblick zu behalten, hat jede Farbe eine Bedeutung. Blau steht für Bildungs- oder Gesundheitsthemen, Grün für solche mit Ozeanbezug, Pink für Prominenz, Kartoffelgelb für den Rest. So war es jedenfalls gedacht. Leider reichten bei manchen Farben die Post-its nicht, am Ende mischte das Team dann doch alles durcheinander.

Programmleiterin Alexandra Wolf sagt, entscheidend sei die Balance zwischen seriösen und abseitigen Themen, ernsten und unterhaltsamen. Hier „Die Macht der Sprachbilder: Politisches Framing und neurokognitive Kampagnenführung“, dort „Mit den Trollen ums Lagerfeuer tanzen“. Mittwoch ist ein Streitgespräch zwischen zwei Robotik-Expertinnen geplant: Die eine baut welche, um sie in den USA zum Spaß in Arenen gegeneinander antreten zu lassen. Die andere kämpft dafür, dass auch Blechbüchsen Grundrechte erhalten, dass Menschen keine Roboter quälen dürfen.

Weil das Programm auf 20 Bühnen gleichzeitig läuft, passiert es, dass ein brillanter Redner wie der britische Künstler James Bridle vor 15 Leuten spricht, weil nebenan der CEO von Netflix am Mikro steht. Und niemand will parallel zu Sascha Lobo auftreten, weil der sowieso alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.

"Digitaler Tsunami" und seine Folgen

Es ist die Konferenz der Fortschrittsfreunde. Aber auch derer, sagt Andreas Gebhard, die vor der Digitalisierung Angst haben, denn die sei nur natürlich und stecke letztlich in jedem. „Alles ändert sich: die Wirtschaft, die Politik, das Wohnen, die Mobilität, die Kultur, der Genuss. Und keiner weiß, was genau kommen wird.“ Wer anderes behaupte, sei ein Hochstapler. Andreas Gebhard spricht von einem „digitalen Tsunami“. Er behauptet, dass es inzwischen so viele IP-Adressen gebe wie Sandkörner auf der Erde. Dass sich die Rechenkapazität alle 18 Monate verdoppele. „Da kann man es niemandem übelnehmen, wenn er Job- und Identitätsverlust oder komplette Orientierungslosigkeit fürchtet.“ Gebhard bringt gerne das Beispiel der zwölf Männer, die bisher auf dem Mond waren. Die seien mit ihren Eindrücken so überfordert gewesen, dass zehn anschließend verrückt oder wenigstens sehr spirituell wurden.

Im Zentrum der Konferenz sollen aber die Chancen der Digitalisierung stehen. Dieses Jahr werden hunderte kleiner und großer Weltverbesserungsideen vorgestellt. Die britische Studentin Debora Leal berichtet von ihren Versuchen, entlegenen Stämmen im Amazonasgebiet W-Lan zu bringen. Ein Berliner IT-Spezialist erklärt, wie Open-Source-Software Rollstuhlfahrern helfen soll. Ein philippinischer Unternehmer lässt virtuell alle Morde kartieren, die Polizisten auf Befehl ihres Präsidenten Rodrigo Duterte im Kampf gegen den Drogenhandel verüben.

Die erste re:publica fand 2007 in der Kalkscheune neben dem Friedrichstadtpalast statt. Drei Monate zuvor war in San Francisco ein neuartiges Gerät namens iPhone vorgestellt worden. In Deutschland hatte Facebook deutlich weniger Nutzer als StudiVZ, und nicht wenige glaubten, das werde schon wieder vorbeigehen mit diesem Internet. Umso dringlicher, sagt Gebhard, wünschten sich die wenigen deutschen Netzaktivisten, Gleichgesinnte im realen Leben zu treffen. Sich auszutauschen und Fragen zu diskutieren wie „Brauchen wir den Fair-Trade-PC?“ oder „Wie kann mit Weblogs Geld verdient werden?“

Die Angst der Spitzenpolitiker vor überkritischen Hackern

Inzwischen treten auf der re:publica auch Politiker und Wirtschaftschefs auf. Die zierten sich erst, weil viele von ihnen seltsame Bilder im Kopf hatten von dem Publikum, das sie erwarten würde: überkritische Hacker, die nur auf eine Gelegenheit warten, das Establishment bloßzustellen. Regierungssprecher Steffen Seibert hat 2012 den Anfang gemacht, überraschend nervös, wie er hinterher zugab. Auf der Bühne sprach er über seinen neu angelegten Twitter-Account und wie er dafür kritisiert wurde, dass er Regierungspolitik nun auf 140 Zeichen erkläre. Seibert verwies damals darauf, dass auch der Vatikan Twitter nutze: „Hinter den sollte man in Sachen Modernität nicht allzu weit zurückfallen.“ Er denke, er müsste sich eher dafür rechtfertigen, wenn er aus Traditionsgründen auf die Möglichkeiten des neuen Mediums verzichte. Das gab Beifall. Seitdem trauen sich auch Regierungsmitglieder her. Dieses Jahr treten drei Bundesminister auf.

Je größer die re:publica wurde, desto mehr fürchteten die Macher, den alten Charme zu verlieren. Sie diskutierten Regeln, wer auf der Konferenz willkommen sei und wer nicht. Ein Spielehersteller wollte für seinen Stand mit einem echten Panzer und Go-go-Tänzerinnen anrücken. Die Planer haben ihn ausgelacht und Nein gesagt.

Darf die Bundeswehr auf die Netzkonferenz?

Beim Planungstreffen des re:publica-Teams. Rechts im hellroten Shirt: Mitgründer Andreas Gebhard.
Beim Planungstreffen des re:publica-Teams. Rechts im hellroten Shirt: Mitgründer Andreas Gebhard.
© Doris Spiekermann-Klaas

Vor der diesjährigen Konferenz hat sich die Bundeswehr gemeldet. Sie wollte einen Stand aufbauen. Einerseits wollte man dem Militär keine Werbefläche bieten. Andererseits sahen die re:publica-Planer ein, dass auch die Bundeswehr fähige IT-Kräfte braucht. Zum Beispiel, um im Ernstfall Hackerangriffe gegen Atomkraftwerke abzuwehren. Außerdem soll die Konferenz doch ein Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sein, keine Selbstvergewisserung Gleichgesinnter. Am Ende stellte sich heraus: Die interne Diskussion war überflüssig, sämtliche Standflächen bereits ausgebucht. Vielleicht wird nächstes Jahr weitergestritten.

Zu den Klischees, die über die re:publica, ihre Macher und Besucher existieren, gehört die Vorstellung, es handele sich um einen elitären Zirkel von Besserwissern, die sich selbst als Avantgarde begreifen. Die sich in ihrer eigenen Filterblase als Nerds feiern und als Digitale Boheme. Weil nur sie das Internet verstünden.

Dienstagabend im Prassnik, einer rustikal eingerichteten Kneipe an der Torstraße. Um einen massiven Holztisch drängen sich die re:publica-Mitarbeiter zum geselligen Abend. Es sind deutlich mehr Frauen als Männer. Sie sind zwischen 20 und 50 Jahre, keine „Digital Natives“, alle hier sind mit Fernsehen und Zeitschriften aufgewachsen und mussten sich den Umgang mit dem Netz erst erarbeiten. Kleine nicht repräsentative Umfrage: Wer in der Runde twittert privat? 13 von 22 heben die Hand. 18 haben einen G-Mail-Account, 16 Netflix abonniert, 15 bedienen sich bei Kinox.to. 15 haben früher Tetris gespielt, sieben Monkey Island, nur einer Candy Crush. Sieben waren schon mal im Darknet. Bloß drei haben in ihrem Leben getindert. Wirklich nur drei, sonst keiner? Na gut, acht.

Wer das Team der re:publica in den Wochen vor der Konferenz bei der Planung begleitet, der merkt: Das sind keine Computerfreaks. Sondern Menschen, die verzweifeln und die Technik verfluchen, wenn bei der Server-Umstellung zwei Wochen vor Konferenzbeginn ihre Mails und persönlichen Einstellungen verschwinden. Die elitäres Gehabe affig finden. Die es bedauern, wie wenig Ahnung sie vom Netzverhalten heutiger Kinder und Jugendlicher haben. Im Vorjahr haben sie einen 16-Jährigen zu einem Vortrag eingeladen. Er sollte den re:publica-Besuchern erklären, was seine Altersgenossen an Programmen wie Snapchat schätzen. Der Junge stellte kurz vor dem Termin etwas an, seine Eltern verpassten ihm Hausarrest. Er wurde per Video zugeschaltet.

Freddy Mercury statt Biz Stone

Vor sieben Jahren, da waren sie noch in der Kalkscheune, sollte es eine Überraschung geben. Johnny Haeusler, einer der Gründer, hatte eine Live-Schaltung nach San Francisco geplant, zu Biz Stone, dem Mitgründer von Twitter. Die Technik versagte, die Leitung kam nicht zustande. Um die Pause zu überbrücken, schlug Haeusler eine Runde Karaoke vor: „Bohemian Rhapsody“ von Queen. Es klang eher schrecklich, wurde aber Tradition. Jede re:publica endet seitdem mit „Nothing really matters, nothing really matters to me ...“

Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass die Konferenz ausgerechnet in Berlin ins Leben gerufen wurde und dann so rasant gewachsen ist. Menschen, die seit dem ersten Mal dabei sind, sagen: Geburtsfaktoren waren das Überangebot Kreativer, niedrige Lebenshaltungskosten und die daraus resultierende Freiheit, bei Ideen nicht ausschließlich auf wirtschaftliche Verwertbarkeit achten zu müssen, Spielraum für idealistische Projekte zu haben. Zu den Stammrednern der Konferenz gehört der Berliner Blogger Felix Schwenzel. Auf seiner Seite „wirres.net“ schreibt er über digitale Phänomene und Popkultur. Er nennt sie „Fachblog für Irrelevanz“.

Schwenzel sagt, er durchschaue die Programmmacher der re:publica nicht. Er habe Bekannte, die sich mit wirklich fundierten Vorträgen beworben hätten. Über Prinzipien des Modebloggens zum Beispiel oder Herausforderungen politischer Aufklärungsarbeit im Netz. „Die wurden alle abgelehnt, während ich seltsamerweise jedes Mal genommen werde.“ Dieses Jahr wird er über den deutsch-US-amerikanischen Psychoanalytiker Erich Fromm sprechen. Will prüfen, ob sich mit mit dessen humanistischem Menschenbild gegen Populismus angehen lässt. Er sagt, im Grunde spreche er jedes Jahr über das gleiche Thema: wie man die Welt doch noch retten könne. Bloß dass er seine Anregungen sonst immer aus dem Internet hole – „und diesmal eben aus alten Büchern“. Obwohl, auch die habe er sich natürlich als E-Book runtergeladen.

Echte Verpeiltheit oder Understatement?

Manche Redner drängen bei den Programmplanern darauf, vormittags oder spätestens am frühen Nachmittag auftreten zu dürfen. Dann ist nämlich die Chance am größten, dass es Fernsehteams mitbekommen und darüber berichten. Bei Felix Schwenzel ist das genau anders: Er will immer am letzten Tag auftreten und möglichst ganz zum Schluss. Er sagt, er kriege einfach seine Vorträge nie rechtzeitig fertig und arbeite noch während der re:publica daran. Deswegen kenne er die Konferenz eigentlich nur als permanente Drucksituation. Bei Felix Schwenzel weiß man nie, wie viel des Gesagten auf echte Verpeiltheit hindeutet und wie viel bloß Understatement ist. Das passiert einem auf dieser Konferenz öfter.

Es gibt früh Dabeigewesene, die sagen: Die re:publica ist zu groß geworden, zu teuer, zu öde. Sie habe sich verkauft, lasse Sponsoren ans Mikro, anstatt echten Netzmenschen das Wort zu geben. Wer mit Daimler und IBM paktiere, sei unglaubwürdig. Vielleicht ist es wie mit Musikkritikern, die bei Erfolgsbands immer nur das erste Album richtig gut fanden und alle folgenden als Anbiederung an den Massengeschmack verdammen. Ich war schon auf der re:publica, da hast du noch Analogfernsehen geguckt.

Problemfall Günther Oettinger und ein Hausverbot

Die Zettelwand im Hauptquartier, an der die Vorträge und Diskussionsrunden auf insgesamt 20 Bühnen verteilt werden.
Die Zettelwand im Hauptquartier, an der die Vorträge und Diskussionsrunden auf insgesamt 20 Bühnen verteilt werden.
© Doris Spiekermann-Klaas

Zur Professionalisierung zählt auch, dass parallel zur re:publica seit drei Jahren im selben Gebäude die „Media Convention“ stattfindet. Das Medienboard Berlin-Brandenburg organisiert sie, lädt große Namen wie Pussy Riot oder den YouTuber LeFloid in die Station – und sorgte vergangenes Jahr für eine heikle Situation. Da hatte sich Günther Oettinger angemeldet, der damals amtierende EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Oettinger hatte praktisch keine digitalen Vorkenntnisse, war nur dank Brüsseler Geschacher zu seinem Posten gekommen – und in seinen ersten Amtsmonaten in ein Fettnäpfchen nach dem anderen getreten. Er hatte Netzaktivisten mit den Taliban verglichen, kryptische Twitter-Nachrichten verschickt („Of course is Fall of Berlin wall!“) und Menschen, denen Kriminelle Nacktfotos geklaut hatten, als „blöd“ bezeichnet – die seien selbst schuld, wenn sie solche Bilder von sich machten. Dieser Günther Oettinger also sollte in der Station vor der Netzgemeinde sprechen. Würde es Zwischenrufe geben? Torte ins Gesicht? Der Mann wurde höflich empfangen und angehört.

Abgesehen von dem Skateboard-Aktivisten, der mehr Platz für sich wollte und die Fluchtwege der Station mit Möbeln und Kunst vollstellte, musste in zehn Jahren kein Teilnehmer des Hauses verwiesen werden. Allerdings investieren die Organisatoren nach jeder Konferenz eine vierstellige Summe, um die zahllosen Aufkleber von Wänden, Spiegeln und Toiletten kratzen zu lassen. Besucher der re:publica sind friedlich, aber sehr mitteilungsbedürftig, heißt es.

Der Mann, an dem sich die Netzgemeinde in diesem Jahr inhaltlich abarbeiten wird, ist Donald Trump. Seine Attacken auf Twitter, die von ihm verbreiteten Falschinformationen, seine Ausfälle gegenüber Frauen und Minderheiten machen ihn in Kombination mit der Machtfülle seines Amts zum Feind Nummer eins. Ein Aussteller möchte dieses Bild umdrehen und gemäß dem diesjährigen Liebesmotto einen anderen Trump inszenieren. Er hat eine zwei Meter große Plüschversion des Präsidenten anfertigen lassen, die wird im Innenhof der Station auf ein rotes Sofa platziert. Wer sich dazusetzt und die Puppe umarmt, bringt den falschen Trump zum Sprechen. Von den Umarmungen werden Bilder gemacht, die der Aussteller über Twitter an den realen Präsidenten schickt.

Eine verhinderte Kunstaktion

Das Berliner Start-up Amorelie, ein Anbieter von Sexspielzeug, hatte eine riesige Kunstinstallation geplant, bei der hunderte Dildos von der Decke hängen sollten. Der Plan scheiterte an den Materialkosten. Eigentlich wollte Amorelie fehlerhafte Produkte benutzen, die wurden aber leider – firmeninternes Kommunikationsproblem – im Müll entsorgt. Nun wird das Unternehmen zumindest seinen 3-D-Drucker vorführen, mit dem Gussvorlagen für Liebeskugeln erstellt werden. Außerdem gibt es das zweiteilige Set des Herstellers Teledildonic zu bestaunen. Es besteht aus einem Vibrator und einem Masturbator. Die Teile sind für Fernbeziehungen gedacht. Bewegungen, die der Sensor des einen Geräts aufzeichnet, werden in Echtzeit auf das andere übertragen.

Als Feindbild der re:publica-Gänger gilt die Cebit in Hannover. Sie verkörpert alles, was die Berliner Konferenz nicht sein soll: seelenlose Massenveranstaltung, Schaufenster für Konsumgüter, rein profitorientiert. Umso überraschter waren die re:publica-Macher, als vor fünf Wochen auf der diesjährigen Cebit verkündet wurde, man wolle sich neu aufstellen. Weg vom traditionellen Messekonzept, hin zu einem „New-Tech-Festival“ mit Diskussionsforen und Vorträgen zu gesellschaftlich relevanten Digitalthemen. Im re:publica-Hauptquartier in der Schönhauser Allee klang das wie eine versteckte Kampfansage, das Berliner Konzept zu kopieren. Andreas Gebhard versucht, seine Mitarbeiter zu beruhigen. Die von der Cebit stehen doch ganz am Anfang, sagt er. „Und na ja, es ist eben Hannover.“

Die re:publica gründet unterdessen Satelliten. Vergangenen Herbst haben die Macher eine Konferenz in Dublin organisiert, wo Facebook seine Europa-Filiale hat. Dieses Jahr kehren sie nach Dublin zurück und halten außerdem eine re:publica in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki ab. Andreas Gebhard sagt, es sei auch ein Zeichen der Solidarität mit den Griechen. Und es werde interessant, herauszufinden, ob ein so krisengeschütteltes Land ganz andere Bedürfnisse und Ansprüche an digitale Veränderung hat.

Die Digitalexperten im Marzahner Exil

Ein kleiner Teilbereich der re:publica hat schon vergangene Woche begonnen. 17 Kilometer Luftlinie von der Kreuzberger Station entfernt, auf dem Gelände der Internationalen Gartenausstellung in Marzahn, laden die Konferenzmacher zu einem Vortragsabend. Sie nennen es „Digitalisierung im Grünen“, insgesamt fünfmal sollen hier Projekte vorgestellt werden, die beweisen, dass die digitale Revolution kein rein städtisches Phänomen ist. Heute berichtet Anne-Kathrin Kuhlemann über ihr Lichtenberger Projekt TopFarmers: Mit viel Technikeinsatz züchtet sie in einer Halle gleichzeitig Pflanzen und Fische, wobei die Exkremente der Tiere den Pflanzen als Dünger dienen. Die wiederum reinigen das Wasser der Fische. Ein geschlossener Nährstoffkreislauf. Danach präsentiert ein anderer Tüftler sein Projekt „IP-Garten“: Auf dem IGA-Gelände hat er am Hang neben der Seilbahn ein Beet aufgebaut. Das steht stellvertretend für viele weitere, die er mit Kollegen auf einem Grundstück in Brandenburg, eine halbe Autostunde südlich von Berlin, angelegt hat. Es sind insgesamt 50 Parzellen mit je 16 Quadratmetern Fläche, die an Berliner ohne eigenen Garten vermietet werden. Im Internet können die Kunden ihr Beet bestellen. Auswählen, welcher Abschnitt mit welchem Gemüse bepflanzt wird. Über eine bewegliche Kamera, die an einem Mast fixiert ist, können sie das Wachstum der Pflanzen überwachen. Per Tastendruck die Bewässerungsanlage in Gang setzen. Und entscheiden, wann geerntet wird. Das Testjahr 2016 verlief positiv, sagt der Gründer. In drei Jahren sollen es schon 500 Parzellen sein.

Wenn die Chefplaner der re:publica belegen wollen, dass heute eigentlich alles digital ist und somit als Thema auf ihrer Konferenz verhandelt werden kann, bringen sie das Beispiel vom Workshop aus dem Jahr 2014. Damals hat ein Netzaktivist gezeigt, wie man eine Schweinehälfte zerlegt, und erklärt, wie Zulieferer-, Schlachtungs- und Verarbeitungsprozesse digital vernetzt sind. Der Mann hat Fleischbrocken mitgebracht. Es war drastisch, sagt Andreas Gebhard. Aber insgesamt sehr einleuchtend.

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