Berlin-Brandenburg: Die Reform des Rahmenlehrplans wird verschoben
Heftig wurden die neuen Schullehrpläne kritisiert. Nun reagieren die Landesregierungen - und kritisieren ihr eigenes Institut.
Das war dann aber knapp: Drei Stunden, bevor die CDU-Fraktion am Donnerstag ihre Verbesserungsvorschläge zu den umstrittenen neuen Rahmenlehrplänen der Öffentlichkeit präsentieren wollte, lud Bildungssenatorin Sandrea Scheeres (SPD) ihrerseits zum Pressetermin – und konnte der CDU gerade noch einmal zuvorkommen. Denn in den zwei wichtigsten Forderungen liegt Scheeres inzwischen auf einer Linie mit dem Koalitionspartner, nachdem Schulpraktiker und Verbände wochenlang wie die Christdemokraten argumentiert hatten: Erstens wird die Einführung der Rahmenpläne um ein Jahr verschoben; und zweitens ist die Gefahr gebannt, dass Siebt- und Achtklässler in Geschichte statt einer Chronologie nur noch thematische Häppchen vorgesetzt bekommen.
Auch in Brandenburg gab es Gegenwehr
Der Vorstoß ist kein Alleingang von Scheeres, sondern abgestimmt mit ihrem Brandenburger Kollegen Günter Baaske (SPD), denn beide Länder hatten die neuen Rahmenlehrpläne von ihrem gemeinsamen Landesinstitut für Schule und Medien (Lisum) erarbeiten lassen. „Wir wollen den Schulen mehr Zeit zur Vorbereitung geben“, begründete Baaske die Verschiebung von 2016/17 auf 2017/18. Auch er war mit viel Kritik von Lehrerseite konfrontiert gewesen.
Sieben Arbeitsgruppen sollen es jetzt richten
Aber die Einwände kamen nicht nur von Pädagogen und Christdemokraten, vielmehr waren unter den knapp 5000 Kritikern auch viele Eltern und Verbände. Diese Rückmeldungen, die anonymisiert veröffentlicht werden sollen, wurden in einem ersten Schritt intern ausgewertet. Das Ergebnis ist, dass zu den sieben umstrittensten Komplexen jetzt Arbeitsgruppen eingerichtet werden.
Neben dem Methodenstreit in Geschichte wird es auch um das neue Fach Gesellschaftswissenschaften in Klasse 5 und 6 gehen. Denn die Geschichtslehrer befürchten, dass ihr Fach zu kurz kommt, wenn es mit Geografie und Politischer Bildung verschmolzen wird. In Brandenburg gibt es einen analogen Streit um das Fach Naturwissenschaften, das es in Berlin schon gibt.
Auch der Lesben- und Schwulenverband war unzufrieden
Eine weitere Arbeitsgruppe soll sich mit der Sexualerziehung beschäftigen, nachdem insbesondere der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg im Rahmenplan die Themen „sexueller Vielfalt und geschlechtlicher Identität“ vermisst hatte. Auch beim Lehrplan für Geographie gibt es noch Diskussionsbedarf. Eine weitere Arbeitsgruppe wird sich mit den Belangen der lernbehinderten Schüler befassen: Durch die politische Vorgabe, einen gemeinamen Rahmenplan für alle Schüler von Klasse 1 bis 10 zu machen, hatte das Lisum versucht, die Lernziele für die Lernbehinderten in den allgemeinen Rahmenplan zu integrieren – mit der Folge, dass die Lehrer sich für ihre Schüler alles Relevante „zusammensuchen müssen“, wie sich Scheeres ausdrückte. Jetzt soll es eine eigene Handreichung für die vielen Lehrer geben, die mit dieser großen Schülergruppe zu tun haben, die meist an Sekundarschulen integrativ unterrichtet werden.
Kritik am verantwortlichen Landesinstitut
Die siebte und letzte Arbeitsgruppe hat das schwierige Feld der Leistungsbewertung vor sich: Das Lisum hatte dazu in seinem Entwurf keine Aussagen gemacht und stattdessen mit einem verwirrenden „Niveaustufenmodell“ die Lehrerschaft verschreckt: Es suggerierte, dass in allen Klassenstufen auf mehreren Niveaus unterrichtet werden muss. Insbesondere die Gymnasiallehrer fragten sich, wie das zu schaffen ist, wenn sie ihre Schüler doch eigentlich auf das Abitur vorbereiten sollen. Am Donnerstag stellte sich heraus, dass alles nur ein Missverständnis war: „Das Gymnasium muss nur auf einem Niveau unterrichten“, stellte Scheeres klar und schob an die Adresse des Lisum hinterher, „dass man das hätte besser machen können“.
Das gescholtene Institut übte auch Selbstkritik – insbesondere in Bezug auf das Fach Geschichte. „Das war vielleicht nicht so gut“, sagte Direktor Götz Bieber. Das Lisum hat nun die Aufgabe, anhand der Stellungnahmen eine fertige Fassung des neuen Rahmenlehrplans im Herbst vorzulegen. Anschließend soll er von den beiden Bildungsverwaltungen „geprüft und freigegeben werden“, kündigten Baaske und Scheeres an.
Eine "peinliche Verschiebung" sehen die Grünen
Die Reaktionen auf die Verschiebung waren gespalten. „Wir sind erleichtert“, sagten die CDU-Bildungspolitiker Hildegard Bentele und Stefan Schlede. Sie bleiben aber bei ihrer grundsätzlichen Kritik daran, dass es nur einen einzigen Rahmenplan für alle Kinder von Klasse 1 bis 10 geben soll. Die Bildungspolitikerin Stefanie Remlinger von Bündnis 90/ Die Grünen sprach von einer „peinlichen Verschiebung“, die sich aus der schlechten Vorbereitung des Projektes ergeben habe. „Die Verschiebung um ein Jahr ist sinnvoll, weil mehr Zeit zur Verfügung steht, die Kritik zu berücksichtigen“, befand Geschichtslehrer Robert Rauh. Seine Online-Petition gegen den Rahmenplan Geschichte fand inzwischen 6500 Unterstützer.
Susanne Vieth-Entus