Merkel-Nachfolge: Die Qual der Wahl: Berliner Delegierte vor dem CDU-Parteitag
1001 Delegierte entscheiden über die Nachfolge von Angela Merkel als CDU-Vorsitzende. Viele sind noch unentschieden.
Reichen 100 Minuten Zugfahrt aus, um die „schwierigste Wahl des politischen Lebens“ zu treffen? Vor dieser Frage steht am Donnerstag der Berliner Bundestagsabgeordnete Frank Steffel, und nicht nur er. Während der Fahrt von Berlin nach Hamburg dürften die allermeisten der 30 Hauptstadt-Delegierten für den CDU-Parteitag am Freitag noch einmal tief in sich gehen. Für wen der drei Kandidaten auf den Parteivorsitz sie sich entscheiden, halten sich die allermeisten vollkommen offen.
Einsame Ausnahme: Thomas Heilmann. Als einer der wenigen hat der Chef des CDU Kreisverbands Steglitz-Zehlendorf seine Entscheidung nicht nur getroffen, sondern kommuniziert diese auch offensiv nach außen. „Annegret Kramp-Karrenbauer, da bin ich sehr klar“, sagt Heilmann und liefert die Gründe dafür gleich mit. Die amtierende Generalsekretärin der Christdemokraten stehe gleichermaßen für Wandel und Korrektur sowie Kontinuität gleichermaßen, beides braucht die CDU. Außerdem drohe unter Friedrich Merz als CDU-Vorsitzendem ein strategisches Übergewicht von Rot-rot-grün. Die Vergangenheit hätte gezeigt, dass Parteien eine drastische Distanzierung von ehemaligen Vorsitzenden immer geschadet hätte, ergänzt Heilmann und kommt zu dem Schluss: „Sich von Angela Merkel nicht nur in der Flüchtlingspolitik, sondern auch in allen anderen Punkten zu distanzieren, halte ich für falsch, schließlich war die CDU unter ihr jahrelang sehr erfolgreich.“
Lob für Jens Spahn
Und während zumindest Jan-Marco Luczak, Vorsitzender der Landesgruppe und Chef des CDU-Kreisverbands Tempelhof-Schöneberg, zumindest auf Twitter zuletzt Sympathien für die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer erkennen ließ, halten sich alle anderen Mitglieder der von Luczak geleiteten Landesgruppe im Bundestag bedeckt.
Frank Steffel sieht für jeden der drei Kandidaten auf die Merkel-Nachfolge „sehr sehr gute Argumente“, Kai Wegner lobte insbesondere Jens Spahn für seinen engagierten Auftritt bei der letzten von acht Regionalkonferenzen der CDU in Berlin. „Wenn die CDU wieder erfolgreich sein will, muss sie breit aufgestellt sein und den sozialen und konservativen Flügel stärken“, erklärte Wegner und ließ erkennen, dass seine Entscheidung zwischen den Kandidaten Merz und Spahn fallen werde. Monika Grütters wiederum, Landesvorsitzende der CDU in Berlin, ließ sich auch wenige Tage vor dem „historischen Bundesparteitag“ nicht in die Karten gucken. Wiederholt lobte sie den „diszipliniert und fair verlaufenden Wettbewerb“ der Kandidaten. Dass Grütters, die zuletzt die Last-Minute-Wahl von Hildegard Bentele zur Spitzenkandidatin für die Europawahl mit dem Satz „Die Hauptstadt ist weiblich“ feierte, einem Sieg Kramp-Karrenbauers zumindest nicht abgeneigt gegenüberstehen dürfte, gilt als unstrittig.
Auftakt statt Abschluss
Unabhängig davon, wie die Entscheidung am Ende ausfällt, einen Sieger haben alle Delegierten der Berliner Landesgruppe bereits lange vor der eigentlichen Wahl ausgemacht: die CDU. „Der ganze Prozess bringt eine unglaubliche Belebung der Partei mit sich, das hat einen sehr sehr positiven Effekt auf die CDU“, erklärte Luczak, der gar eine „Elektrisierung der Mitgliedschaft“ erkannt haben will. Kai Wegner ergänzte: „Die CDU hat schon jetzt gewonnen, weil sie gezeigt hat, dass man einen solchen Prozess vernünftig fahren und auf Augenhöhe ringen kann.“ Gleichzeitig mahnte er, die Wahl am Freitag dürfe nicht das Ende eines „Neustarts“, sondern dessen Beginn sein. „Die Diskussion darf nicht zum Abschluss kommen, sie muss ein Auftakt sein“, so Wegner.
Und auch auf der mittleren Funktionärsebene der Partei herrscht Aufbruchsstimmung: Von „einer Art Wiederbelegung“ spricht Timur Husein, Kreisvorsitzender der CDU in Friedrichshain-Kreuzberg und einer von 17 Berliner Delegierten ohne Mandat in Bundestag oder Abgeordnetenhaus, die am Donnerstag nach Hamburg reisen. Die aktuelle Debatte zeige, dass die CDU „eine Partei voller Überraschungen“ sei, so Husein, der mit seiner Wahl eine Stärkung des konservativen Flügels erreichen möchte. „Ich tendiere zu Friedrich Merz, der steht für einen Neuanfang“, sagt er und kann sich anders als die allermeisten Berliner Delegierten während der Fahrt nach Hamburg entspannt zurücklehnen.