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Flüchtlinge vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales Lageso in Berlin.
© dpa

Flüchtlinge in Berlin: Die Probleme mit dem Lageso gehen weiter

Um die Arbeit des Lageso und die politische Verantwortung wird weiter gestritten. Innensenator Henkel nennt die Kritik an Sozialsenator Czaja „extrem billig“. Was steckt dahinter?

Noch immer stehen Asylbewerber nachts vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Weiterhin werden Unterkünfte beschlagnahmt. Und wieder gibt es Streit. Um die Arbeit des Lageso, um den politischen Vorgesetzten, Sozialsenator Mario Czaja (CDU), um die Ausrichtung der Berliner Behörden in der Flüchtlingsfrage.

Wie geht es am Lageso weiter?

Zunächst: wie gehabt. Das Amt hat immer noch zu wenige Fachkräfte, um hunderte Flüchtlinge täglich zu registrieren, unterzubringen, zu versorgen. Und personell ändert sich nur wenig. Das Lageso hat, wie berichtet, regulär rund 1000 Mitarbeiter. Dazu kommen 50 Bundeswehrsoldaten und 150 externe Verwaltungsmitarbeiter. Damit stehen dem Amt so viele Kräfte zur Verfügung wie vor zehn Jahren, als pro Monat so viele Asylbewerber nach Berlin kamen wie heute jeden Tag.

Derzeit arbeiten 300 Beschäftigte allein im Asylbereich. In zwei Wochen sollen es 50 Mitarbeiter mehr sein. Allerdings berichten Mitarbeiter immer wieder, dass diejenigen, die aus anderen Verwaltungen kommen, oft keine Hilfe seien. Man brauche nervenstarke, flexible Fachkräfte – keine Kollegen, die in ihren Stammverwaltungen schon fast als entbehrlich galten. Im öffentlichen Dienst reißen sich viele Beschäftigte nicht darum, im Lageso eingesetzt zu werden, das am meisten geforderte Amt des Landes.

Das Lageso soll 2016 in zwei Behörden geteilt werden. Danach soll es ein eigenes Amt für Flüchtlingsfragen geben und eines für die vielen anderen Aufgaben des Lageso. Die Gewerkschaft Verdi warnte in Absprache mit Lageso-Beschäftigten aber vor der übereilten Gründung des ausgegliederten Flüchtlingsamtes. Vorher müssten die „ungeregelten Organisations-, Personal- und Strukturfragen“ gelöst werden. Es droht mehr vom selben – also mehr überforderte Mitarbeiter in ähnlichen Strukturen. So wie beim BER: Der Flughafen wird seit Jahren nicht fertig, obwohl immer wieder Geld zugeschossen wird.

Wird Sozialsenator Mario Czaja (CDU) noch vor der Wahl 2016 zurücktreten?

Berlins Innensenator und CDU- Parteichef Frank Henkel hat Sozialsenator Mario Czaja (CDU) in der Debatte über die Zustände am Lageso in Schutz genommen. „Ich habe Mario Czaja von Anfang an die Unterstützung zuteilwerden lassen, die er braucht. Ich habe ihm zusätzliches Personal zur Verfügung gestellt. Politisch hat der Sozialsenator ohnehin meine Rückendeckung. Ich habe mich öffentlich aus voller Überzeugung vor ihn gestellt“, sagte Henkel dem Tagesspiegel.

Czaja habe „einen der härtesten Jobs“ in Berlin, sagte Henkel. Der Versuch, „ihn jetzt zum Sündenbock für alle Probleme zu machen, ist extrem billig“. Das Thema Flüchtlinge sei nicht nur ein Thema der CDU, sondern gehe den gesamten Senat etwas an. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) habe die Flüchtlinge mehrfach zur Chefsache erklärt. „Deshalb ist auch Müller mitverantwortlich, wenn etwas nicht optimal läuft.“

Henkel sprach sich ausdrücklich nicht gegen einen Wechsel an der Lageso- Spitze aus. „Allerdings hätte ich einen Beamten öffentlich nicht so bloßgestellt“, kritisierte Henkel die Forderung von Müller nach dem Rücktritt des früheren Lageso- Chefs Franz Allert. Zwischen einem Regierenden Bürgermeister und einem Beamten gebe es eine klare Machtasymmetrie. „Aber ich berate Michael Müller nicht in Stilfragen. Das entscheidet er selbst.“

Trotzdem ist ein Rücktritt nicht ausgeschlossen – zumal mit Ex-Lageso-Chef Franz Allert der letzte Rammbock vor dem Senator selbst gehen musste. Doch erstens fällt in der SPD- CDU-Koalition niemandem eine Alternative ein, sonst wäre sie schon mal genannt worden. Zweitens dürfte so kurz vor der Abgeordnetenhauswahl 2016 im Senat kaum jemand eine geplatzte Koalition wollen. Drittens ist Czaja intern nicht als derjenige bekannt, der auf Parteifreunde viel Rücksicht genommen hätte.

Anders als in diesen Tagen kolportiert, hat sich Czaja ab 2013 in der CDU unbeliebt gemacht. Da war zunächst die Entlassung seines Staatssekretärs Michael Büge (CDU), den die Opposition weghaben wollte, weil er in einer umstrittenen Burschenschaft war. Dann musste Czaja wegen der steigenden Flüchtlingszahlen alle Bezirke unter Druck setzen – auch und gerade die CDU-Hochburgen, denn traditionell bekommen die Christdemokraten am Stadtrand mehr Stimmen, und dort war 2013 noch Platz für Flüchtlingsheime.

Wenn Czaja also unter Druck steht, dann eher nicht, weil er Parteifreunde geschont haben soll, sondern weil er inzwischen alles mit Asylbewerbern belegen lässt, was halbwegs bezugsfertig ist. Am Montag teilte der Landeselternausschuss mit Blick auf die Belegung von Sporthallen mit: „Wir erfahren aus den Bezirken, dass ausreichend Alternativen zur Unterbringung der Flüchtlinge angeboten werden und wurden, die kurzfristig nutzbar sind.“ Immer wieder hatten die Bezirke andere Häuser angeboten, damit Turnhallen und Vereinsheime frei bleiben. Doch nicht immer sind diese Gebäude so schnell belegbar wie nötig.

Haben CDU-Politiker Einfluss auf die Standortwahl von Flüchtlingsheimen genommen?

Nach Recherchen des Tagesspiegels und Schilderungen von Lageso-Mitarbeitern haben nicht nur CDU-Mitglieder, sondern Bezirkspolitiker aller Parteien versucht, auf die Standortwahl von Flüchtlingsunterkünften Einfluss zu nehmen. Der ehemalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), der zum Berliner Beirat für Zusammenhalt der Flüchtlingspolitik gehört, ist der Ansicht, dass dies sogar zu den Aufgaben von Politikern gehört. Auch er selbst habe „Hinweise zu notwendigen Abwägungen zu einzelnen Standorten gegeben“. Allerdings habe die Entwicklung der Flüchtlingszahlen inzwischen Entscheidungen, die vor einem Jahr noch möglich, richtig oder falsch waren, überholt.

In einer internen E-Mail an den damaligen Lageso-Chef Allert vom Januar 2013 soll es geheißen haben, CDU-Mitglieder würden Wohneigentum rund um ein als Heim infrage kommendes Hostel haben – und einen Wertverlust ihrer Immobilien befürchten.

Dem widersprach nicht nur Evers. Bereits am Wochenende hatte Diepgen Vorwürfe zurückgewiesen, wonach er sich eingemischt haben soll, als das Lageso 2012/2013 ein Flüchtlingsheim in einem Hostel in Berlin-Wilmersdorf errichten wollte. „Was letztlich am Nikolsburger Platz die Entscheidung des Bezirksamtes vor einigen Jahren bestimmt hat, entzieht sich meiner Kenntnis“, erklärte Diepgen dem Tagesspiegel: „Sicher ist aber wohl, dass heute die Unterbringungsschwierigkeiten das BA (Bezirksamt) zwingen würde, jeden Strohhalm zu nutzen und damit auch das ehemalige Jugendgästehaus.“

Inwieweit waren Einflussnahmen erfolgreich?

Sozialsenator Czaja bestreitet vehement, aus parteipolitischen Gründen Standorte verhindert oder genehmigt zu haben. 2013 sei es ihm einzig um die gerechtere Verteilung der Flüchtlingsunterkünfte auf die Bezirke gegangen. Lageso-Mitarbeiter berichten, dass das stimme, dass Czaja aber bei manchen Objekten auch dem Drängen von Parteifreunden nachgegeben habe.

Auch die grüne Stadträtin für Gesundheit, Soziales und Stadtentwicklung im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Sibyll Klotz, berichtet von einer Liste mit Immobilien, die nicht infrage kamen, weil CDU-Bundestags-Abgeordnete dagegen waren. In ihrem Bezirk habe 2013 der Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak vor einem geplanten Flüchtlingsheim in Lichtenrade verkündet, dass er dagegen sei.

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