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Die Exoten der Charlottenburger Kolonie "Gute Hoffnung": Frieda, Chris und Daniel (v.li.) vor ihrer efeuberankten Laube. Gemeinsam mit einer weiteren Freundin bewirtschaften sie die Parzelle seit einigen Monaten - auf ihre ganz eigene Weise. Tagesspiegel-Fotografin Kitty Kleist-Heinrich hat die Nachwuchsgärtner in ihrer wilden Stadtoase besucht.
© Kitty Kleist-Heinrich

Kleingarten-Kolonien in Berlin: Die jungen Wilden von der Laube

Unkraut zupfen, Rasen mähen? Lasst die Brennnesseln doch wachsen! Ein Besuch bei den neuen Kleingärtnern, die nach Maya-Methoden Bohnen anbauen.

In der Kolonie "Gute Hoffnung" ist die Welt in Ordnung: Rasiermesserscharfe Rasenkanten, tellergroße Blüten, Planschbecken für die Enkel, obligatorische Gartenzwerge, sogar ein paar Briefkästen hängen am Maschendrahtzaun. An Sommerabenden ruhen sich ihre Besitzer nach getaner Gartenarbeit auf der Terrasse aus. Die Vierer-Sitzgarnituren sind mit dicken Polstern belegt. Das Sudoku ist schnell gelöst.

Nur in Parzelle 60, direkt am Heckerdamm, stimmt etwas nicht: Der Rasen reicht über die Knöchel und ist durchzogen von Unkraut, an der Pforte gibt es statt einer Klinke nur zwei Fahrradschlösser. Die mickrige, efeuberankte Laube kann kaum als Hütte bezeichnet werden. Der Putz bröckelt ab, die Fenster müssten dringend erneuert werden. Daniel geht vorsichtig zwischen den Pflanzen entlang. "Frieda, bist du sicher, dass das hier eine Melone und kein Kürbis wird?" Die 27-Jährige wirft einen Blick auf die golfballgroße grüne Kugel. Eindeutig eine Wassermelone.

Studenten und kinderlos - nicht die typischen Kleingärtner

Für Daniel, Frieda und ihre zwei Mitstreiter Chris und Uta ist die Scholle im Kleingartenbezirk Charlottenburg-Nord noch immer eine Wundertüte. Es ist ihr erster eigener Garten, endlich mehr als ein paar Tomaten auf dem Balkon. Vor allem auch mehr Arbeit. "Ich habe mir das etwas leichter vorgestellt", gibt Frieda zu und lacht.

Sie studiert Öko-Landbau an der Eberswalder Hochschule für nachhaltige Entwicklung, genau wie der 34-jährige Chris. Daniel und Uta, beide 28, arbeiten im sozialen Bereich. Jung, kinderlos – die typischen Kleingärtner sind sie nicht. Beim Berliner Landesverband der Gartenfreunde hat man zwar bemerkt, dass sich auch verstärkt junge Familien für Schrebergärten interessieren; Menschen, die sogar noch studieren, sind aber die Ausnahme. Wie sich der Altersschnitt in den Kolonien entwickelt, wird nicht erfasst.

Es braucht jedoch keine Statistik, um zu erkennen, dass die vier von Parzelle 60 die Exoten der Kolonie sind. "Das ist hier schon eher eine andere Generation", sagt Frieda. Und trotzdem ist sie nun auch Kleingärtnerin. Ehrlich gerührt erzählt sie, wie sie die Pflanzen erst vorgezogen und dann eingesetzt haben. "Das ist ja wie eine Kinderstube, du weißt nicht, was daraus wird." An diesem Tag zieht sie den ersten Kohlrabi aus der Erde.

Der Wunsch nach mehr Platz zum Anbauen, einem richtigen Stück Land, hatten Frieda und Daniel schon länger. Als sich die Gelegenheit im vergangenen Winter ergab, fragte Frieda ihren Kommilitonen Chris – und Daniel holte Uta dazu. "Zu zweit ginge es nicht, aber so können wir es ausgleichen, wenn jemand mal Prüfungsstress hat oder viel arbeiten muss", erzählt Frieda. Und gerade zu Beginn machte der verwilderte Garten viel Arbeit. "Der erste Eindruck war entsprechend überwältigend, um es diplomatisch auszudrücken", sagt Daniel. Doch dann packte sie der Enthusiasmus.

50 Euro Pacht für 360 Quadratmeter Gartenfreude

360 Quadratmeter Natur, knorrige Obstbäume, eine Wiese mit Büschen – sie hatten gleich dutzende Ideen: welche Pflanzen sie anbauen würden, was zu reparieren sei, wie alles mal aussehen könnte. Und ein Insektenhotel, das wäre schön. Die Bedenken – der lange Fahrtweg aus Neukölln, der Aufwand – waren schnell vom Tisch. Auch der Preis war wegen des Zustandes von Scholle und Laube kein Problem: 150 Euro Ablöse mussten sie bezahlen, dazu eine einmalige Anmeldegebühr von 400 Euro und fortan eine monatliche Pacht von 50 Euro.

Als sie den Garten im Dezember übernommen haben, waren Nutzpflanzen und Unkraut kaum voneinander zu unterscheiden. Der Vorpächter hat sich aus Altersgründen bereits längere Zeit kaum noch um den Garten kümmern können. Aus Angst, das Falsche herauszureißen, ließen die neuen Nutzer vieles im Boden. Auch aus Prinzip: Wie ein klassischer Kleingarten sollte ihre kleine Oase ohnehin nicht aussehen.

Das große Gemüsebeet sieht heute aus, als wäre darüber ein Beutel Samen explodiert. "Der Mais ist eine Rankhilfe für die Bohnen, die großen Kürbisblätter am Boden wiederum verhindern, dass die Erde austrocknet und zu viel Unkraut wächst", erklärt Frieda. Milpa heißt das System, eine Anbautradition der südamerikanischen Maya-Kultur. Frieda hatte davon in einem Uni-Seminar gehört. "Hier lernt jeder von uns dazu, weil jeder etwas anderes weiß und sich alle einbringen", sagt Chris.

Im restlichen Garten wuchern Brennnesseln neben Johannisbeeren, wilde Erdbeeren neben Wein. Die Vögel bedienen sich freimütig an den Pfirsichen und Kirschen. "Wir lesen vom Bienensterben, aber zerstören die natürlichen Lebensräume, damit alles geschniegelt und gestriegelt aussieht – das ist doch paradox", sagt Daniel. Trotzdem ist er in der vergangenen Woche stundenlang mit einer Gartenschere über den Boden gerobbt.

Freiwillig hat er das nicht gemacht, aber es hatte den gewünschten Effekt: Die anderen Kleingärtner haben im Vorbeigehen die Schönheitsarbeiten gelobt. "'Ne Scheißarbeit, wa", kommentierte einer komplizenhaft. "Die Nachbarn müssen zufriedengestellt werden. Das ist manchmal nervig, aber ich verstehe auch, dass sie es ordentlich haben wollen", sagt Daniel.

Der Frühschoppen ist ausgestorben

Von Ordnung auf Parzelle 60 würde Gerhard Vollmer noch längst nicht sprechen. Er sitzt ein paar Parzellen weiter auf der Terrasse seiner Laube. 80 Jahre, "bei Siemens geboren", ein Urgestein der Kolonie. Auf seiner Scholle regiert der rechte Winkel; Unkraut, Schmutz und Rost haben hier keinen Platz. Das Gemüse wächst gebändigt in großen Hochbeeten. "Weil es mit dem Bücken nicht mehr so geht." Gerhard Vollmer ist der einzige, den die Neugärtner von Parzelle 60 schon etwas näher kennengelernt haben. Er war es auch auch, der ihnen vor einiger Zeit sagte, dass es mit dem ganzen Unkraut und dem hohen Rasen so nicht weitergehen könne. "Die müssen da mehr machen, sonst reden alle über sie."

Warum die jungen Leute – immerhin zu viert – so einen verwucherten Garten haben, versteht er nicht. Trotzdem ist er froh, dass sie da sind. "Sonst hätte die Bezirksverwaltung da vielleicht einen Müllplatz hingesetzt." Und schlimmer ginge es ja wohl nicht. Schade findet Gerhard Vollmer, dass sich Frieda und die anderen in der Kolonie nicht einbringen. Aber so sei das mit vielen Neuen, klagt er. "Der Kontakt untereinander ist nicht mehr so wie früher, die Koloniefeste und der Frühschoppen sind ganz eingeschlafen."

Sich endlich mal bei allen vorstellen, das haben die Nutzer von Parzelle 60 eigentlich schon lange vor, aber so richtig ergeben hat es sich bisher noch nicht. Mehr Austausch, ein paar Gespräche könnten sich aber positiv auf den Garten auswirken, hofft Chris. "Vielleicht sind dann auch die Blicke über den Zaun etwas weniger streng."

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