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Gemeinschaftsgemüse. Gärten auf dem Tempelhofer Feld an der Oderstraße. Drei Kolonien bauen hier in selbstgezimmerten Hochbeeten an.
© dpa

Tempelhofer Feld: Alles Laubenpieper oder was?

Nach dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld goss sich viel Hohn und Spott über Berlin aus. Aber die Kritiker haben die jungen Urbanisten Berlins nicht verstanden.

Die erste Großladung Zorn auf die Gegner einer Randbebauung des Tempelhofer Feldes gab es schon, bevor sie sich am vergangenen Sonntag beim Volksentscheid durchsetzten. In der „Zeit“ schimpfte Jens Jessen im Vorfeld der Abstimmung über all jene, die die „ungebremste Hässlichkeit und menschenfeindliche Ödnis eines aufgelassenen Nutzgebietes – eine Anti-Stadt mitten in der Stadt“ – für bewahrenswert hielten. Vom „Selbsthass des Großstädters“ und dem „Hass des Großstädters auf die Großstadt“ war die Rede. Und von einer – wenn auch im konkreten Fall äußerlich heruntergekommenen – Idylle, der die Stadtbewohner als „Gegenbild der eigenen Existenz“ huldigten.

Nach dem Volksentscheid schrieb Ulf Poschardt in der „Welt“ unter dem knalligen Online-Titel „Berlin ist doch nur eine Kleingärtner-Metropole“, die Stadt sei „sediert von einem Anspruchsdenken, das in keinerlei Verhältnis zur Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Anspruchsformulierer steht.“ Es seien „die ewigen Studenten, das Projektprekariat und die schmerbäuchigen Apologeten der Biotope für Wenignutzer und rollerbladende Transferempfänger, die denen selbstbewusst Grenzen aufzeigen, die sich zackig ein schnelleres und anstrengenderes Berlin wünschen“. Und der Kollege Rüdiger Schaper schrieb hier im Tagesspiegel: „Es existiert in Berlin eine Mentalität des Provisorischen, wo alternative Lebensformen zum Mainstream tendieren – und der Mainstream ins Beschauliche. Es gibt zugleich eine Ablehnung von Moderne, von Zukunftsprojekten.“ Und : „In Berlin, dem größten Kleingarten der Welt, haben Laubenpieper viel mitzureden.“

Transfergeldempfänger und BionadeSpießer mit Not-in-my-backyard-Syndrom

Die Front ist damit klar aufgemacht. Im Ringen um die Zukunft der Stadt steht auf der einen Seite der basisdemokratische Blockierer. Der ist eine Mischung aus Kleingärtner, verspießertem Alt-Sponti, Transfergeldempfänger und BionadeSpießer mit Not-in-my-backyard-Syndrom. Auf der anderen Seite formieren sich die Wagemutigen, die Großdenker, die Verfechter des Urbanen.

Das Feld bleibt frei! Aktivisten jubeln nach den ersten Prognosen.
Das Feld bleibt frei! Aktivisten jubeln nach den ersten Prognosen.
© dpa

Wer sich diesen Typus näher anschaut, wird indes recht bald merken, dass dessen ewig alte Warnung vor den Blockierern an den Beweggründen für das in der Volksabstimmung manifestierte breite „Nein“ zu einer bestimmten Art von Politik vorbeizielt. Die strikte Unterscheidung von Denkmustern nach Generationen mag problematisch sein, aber diesmal drängt sie sich auf. Vor allem, wenn man als vergleichsweise junger Bebauungsgegner, der sich mit keiner der Positionen zu identifizieren vermag, auf die Diskursdominanten schaut. Lassen sich hier nicht klassische Denkmuster der Babyboomer erkennen, jener Alterskohorte also, die heute die Chef- und Großautorenposten besetzt hält? Spielt womöglich deren Abneigung gegen die Improvisationswut der vorgeborenen Hippies und 68er eine Rolle, die ihnen eben jene Diskursdominanz lange verwehrt haben? Und erklären diese Protagonisten einer letzten Ära uneingeschränkten Wachstumswillens ihre persönliche Prägung nicht zum Maßstab alles Weltmännischen, an dem das sich stetig selbstzerreißende Berlin 2.0 nur scheitern kann?

Die Frage ist, ob Urbanität tatsächlich allein daran gemessen werden kann, wie viele möglichst hohe und möglichst spektakuläre Gebäude errichtet werden. Und ob eine weltstädtische Haltung mit dem Erstreben von Wachstum und Veränderung identisch ist, einem Wachstum auf Biegen und Brechen. Denn nur mit einem solchen Verständnis von Urbanität lässt sich die Entscheidung gegen eine Randbebauung von Tempelhof als kleinliche Wahrung von Eigeninteressen oder als Sehnsucht nach provinzieller Idylle kritisieren.

Die Kritik am Volksentscheid: Eine Selbstherapie für altersbedingt Abgehängte?

Gemeinschaftsgemüse. Gärten auf dem Tempelhofer Feld an der Oderstraße. Drei Kolonien bauen hier in selbstgezimmerten Hochbeeten an.
Gemeinschaftsgemüse. Gärten auf dem Tempelhofer Feld an der Oderstraße. Drei Kolonien bauen hier in selbstgezimmerten Hochbeeten an.
© Kitty Kleist-Heinrich

Man braucht nun gar nicht allzu viel Krawallwillen, um dieses linear-vertikale 20.Jahrhundert-Denken seinerseits ins geistig Provinzielle zu verweisen. Allein die Bezugnahme auf andere Großstädte (New York, London), in denen sich die transatlantisch orientierten Babyboomer wohl besser fühlen als im chronisch unfertigen Berlin, stimmt einen misstrauisch. Und diese ewigen Heldengeschichten der Alpha-Journalisten: Ausgerechnet die, die so gern von den wilden Berliner Nachwende-Jahren erzählen, wollen das Unfertige jetzt endlich mal fertig sehen. Das wirkt im Ganzen eher wie eine Selbsttherapie für altersbedingt Abgehängte, nicht aber wie eine überlegt-überlegene Position.

Nicht jedes Urban-Gardening-Projekt ist pseudodörflicher Wohlstandskinderkitsch

Die Piratenpartei mag sich selbst erledigt haben. Aber ihre Ideen, die weit über ein bisschen Transparenz-, Basisdemokratie- und Netzklimbim hinausgehen, leben fort. Das grundlegende Hinterfragen sozialer und politischer Zusammenhänge, der Zukunft der Lohnarbeit und des Wachstums treiben die jungen Urbanisten in Berlin weiter um. Eben das hindert sie daran, zu allem, was ihnen vorgesetzt wird, Ja und Amen zu sagen. Sie nun zu Anti-Städtern zu erklären und ihnen damit die intellektuelle Legitimation im urbanen Diskurs abzusprechen, ist eine brillante Selbstverteidigung, aber auch nicht mehr.

Übrigens ist nicht jedes Urban-Gardening-Projekt pseudodörflicher Wohlstandskinderkitsch. Und nicht jeder, der intransparente Großentwürfe ablehnt, signalisiert damit, die Stadt nicht entwickeln zu wollen. Nein, es geht nur darum, dass manch einer seine Zukunftsenergien lieber in kleinteiliges, hyperlokales Handeln investiert als in den Bau einer Stadt von gestern.

Ein Feld, das funktioniert wie eine Open-Source-Software, an der jeder mitwerkeln kann und keiner muss, das nie zur Marktreife gelangt, immer ein „Beta-Typ“ bleibt, aber sich stetig fortentwickelt, ist das perfekte Identifikationsangebot für diese junge Generation. Deren Haltung wird Entscheidungsprozesse demokratischer und notgedrungen auch schwerfälliger machen. Großprojekte zu realisieren, dürfte künftig komplizierter werden.

Man kann das durchaus kritisch sehen: Wenn „nur“ noch basisdemokratische Baugruppen mit dezidiert sozialem Anspruch von der Gemeinschaft das Placet bekommen, die Stadtentwicklung kleinteilig voranzutreiben, könnte der gesellschaftliche Wohlstand darunter zu leiden bekommen. Zumal in einer Stadt, die ihre Identität zwischen der umbauten Leere des Potsdamer Platzes und der erfüllten Freiheit des Tempelhofer Feldes sucht. Wer jedoch alle, die auf diesen politisch-sozialen Anspruch beharren, einfach einer Blockierergang aus vermuteten Kleingärtnern und linken Dagegenisten zuschlägt, der verhindert erst recht eine produktive Lösung des Wohnungsproblems. Aus solcher Kritik spricht jene Arroganz, für die die Babyboomer Klaus Wowereit und Michael Müller vor einer Woche abgestraft worden sind.

Mehr zum Tempelhofer Feld unter www.tagesspiegel.de/themen/tempelhofer-feld/

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