Bonn-Berlin-Beschluss vor 25 Jahren: Die Hauptstadt explodiert, der Berliner meckert
Lothar Heinke wundert sich bis heute, dass Berlin als Hauptstadt mal infrage stand. Ein Kommentar.
Der Berliner zweifelt bekanntlich immer, aber dass sich „die da oben“ in die Haare kriegen, als Berlin richtige Hauptstadt werden sollte, hätte kaum einer gedacht. „Na endlich!“, sagten viele, „wird aber auch Zeit.“
Im Westen hatte man es sich mit allerlei Vorteilen auf der Insel im roten Meer bequem gemacht. Der Ostteil der Stadt war seit 1949 schon Hauptstadt, auch eine Metropole von Handel und Versorgung, von Wohnungsbau und Regierungsstellen, in denen das Berlinern peu à peu vom sächsischen Idiom aber verdrängt worden war. Daher errichtete olle Kutte aus’m Osten eine eigene Mauer um sich und seine Gedanken; dennoch war er stolz auf seine Hauptstadt, auch so eine Art in Insel in der DDR-See.
Und als es dann endlich so weit war, dass der Insulaner erlebt, dass seine Insel wieder’n schönet Festland wird – da wollten einige am Regierungssitz Bonn festhalten. Sahen die denn vor lauter Idylle, reichlich D-Mark, Wasser und Wein am schönen Rhein nicht, dass da nach den Einheits-Freudenfeuern aus der glühenden Asche etwas ganz Neues kommt, groß und mächtig, europäisch und so frei, dass jeder alle bis dahin geltenden Grenzen zu überwinden vermochte? Der Ossi jedenfalls konnte es überhaupt nicht fassen, dass viele, die immer von der Einheit des Vaterlandes getönt hatten, nun, da der Tag X da war, Berlin nur als Hauptstadt ohne Regierung haben wollten.
Nur 18 Stimmen mehr
Denkbar knapp war die Abstimmung, gerade mal 18 Stimmen mehr votierten pro Berlin. Der Spree-Athener fühlte sich endlich für voll genommen. Wer am 29. Juni 1990 die Ansprache von Bundespräsident Richard von Weizsäcker anlässlich seiner Ehrenbürgerwürde in der Nikolaikirche gehört hatte, würde sie nie vergessen. „Ritchie“, der als Kind im zweiten Schuljahr in diese Stadt gekommen war, liebte Berlin. „Nur hier kommen wir wirklich aus beiden Teilen und sind doch eins“, sagte er und schilderte, wie er gelernt hat, sich „der unnachahmlichen Wohllaute der hiesigen Sprache“ zu bedienen. Ihre trockene Kraft, in guten und schweren Zeiten Ausdruck des unerschütterlichen Berliner Gemüts, hätte auch seinen Selbstbehauptungswillen gestärkt.
„Mein Herz, das ich auf der Zunge trug, hatte gelernt, berlinerisch zu schlagen.“ Schon am 3. November 1949 beschloss der Bundestag, dass die leitenden Organe ihren Sitz in die Hauptstadt Deutschlands Berlin verlegen, sobald allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen überall durchgeführt sind. „Nun, wo die Einheit Wirklichkeit wird, soll nicht mehr stimmen, was alle Deutschen in der DDR ständig von uns gehört und worauf sie vertraut haben?“ fragte „Ritchie“: „Mit Berlin handelt es sich um etwas vom Wertvollsten, was auch die DDR in die Vereinigung einzubringen hat.“
Die Ministerien breiten sich aus
Heute, 26 Jahre später, ist die Regierung immer noch nicht ganz da. Tausende Mitarbeiter sind ja noch in Bonn. „Dort drüben in der Waschmaschine sitzt die Kanzlerin und regiert“, sagen sie immerhin auf den Touristenschiffen. Früher genügte die Wilhelmstraße als Regierungssitz, jetzt breiten sich die Ministerien an jeder Ecke aus.
Die Leute rennen sich um, das Nachtleben blüht, jeden Tag legen Demos den Verkehr lahm. Die Hauptstadt explodiert, die Regierung baut an. Aber der Berliner meckert: „Schauderhafte Architektur.“ Oder: „Schon wieda so eena, der Kohle haben will“ brummt er, wenn der Konvoi mit Blaulichtern seine Weiterfahrt behindert. „Det is Freiheitsberaubung“. Aber stolz ist er doch.
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