Streit um Berliner Migrantenquote: „Die Grünen und Linken sind auf Alles-oder-Nichts-Kurs“
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hält eine Migrantenquote im Öffentlichen Dienst für verfassungswidrig – und nutzlos. Im Interview erklärt er, warum.
Herr Geisel, die Grünen werfen der SPD vor, vom „gemeinsamen Ziel, Migranten zu stärken“ abzurücken, die Linke prangert Ideenlosigkeit ihrer Partei an. Der Ton ist scharf, weil sie die geplante Migrantenquote ablehnen. Sie stehen da wie jemand, der einen Rückzieher macht, sobald wirklich etwas für mehr Vielfalt zu tun ist...
Das ist Pfeifen im Walde. Wenn jemand in Berlin divers aufgestellt ist in der Parteiführung, in der Fraktionsführung, im Senat, bei den Staatssekretären, wenn sich jemand für die Öffnung im Öffentlichen Dienst eingesetzt hat, dann ist das die SPD. Die Vorwürfe kommen jetzt ausgerechnet von Parteien, die in ihrer Führung rein weiß aufgestellt sind. Die wollen uns jetzt erzählen, dass es bei den Gärtnern im öffentlichen Dienst eine 35-Prozent-Quote braucht.
Ist doch gut, wenn auch unter Gärtnern Vielfalt herrscht?
Das ist natürlich schön. Ich will mit dem Beispiel deutlich machen, dass mit einer Quote – auch unabhängig von der Verfassungsfrage – die qualitative Veränderung, die wir brauchen, nicht erreicht wird. 42 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund in Berlin, die über 25 Jahre alt sind, sind hochgebildet. Deshalb wäre es ein riesiger Gewinn, diese Menschen für die Verwaltung zu gewinnen. Wir müssen vor allem in den Führungspositionen besser werden. Da liegt ein großes Potenzial in unserer Stadt und das müssen wir erschließen.
Geht das durch eine Quote nicht schneller?
Wenn Sie von der 35-Prozent-Quote sprechen, ist das eine rein formale Vorgabe, die nichts über Leitungsfunktionen und deren Besetzung aussagt. Eine wirkliche interkulturelle Öffnung kann es nur geben, wenn sie auch Führungspositionen mit Menschen mit Migrationshintergrund besetzen. Ich verstehe, dass wir vor dem Wahlkampf stehen, deshalb gibt es diese Angriffe gegen mich und die SPD. Das strategische Kalkül dahinter verstehe ich dagegen nicht: Rot-Rot-Grün muss gemeinsam Erfolg haben.
Stattdessen ist das Gesetz nun Thema im Koalitionsausschuss.
Warum hat ein so wichtiges Gesetz so lange geruht? Jetzt kommt die Linke mit einer Maximalforderung, von der sie weiß, dass sie nicht verfassungskonform ist. Das setzt die Koalition unnötig unter Druck. Wir brauchen in dieser Legislaturperiode ein gemeinsames Partizipations- und Integrationsgesetz. Deshalb fordere ich die Integrationsverwaltung auf, eine Gesetzesvorlage einzubringen, die verfassungskonform ist und die wir noch in dieser Legislaturperiode beschließen können.
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Warum ist das Gesetz aus Ihrer Sicht nicht verfassungskonform?
Unser Grundgesetz sagt, niemand darf bevorteilt oder benachteiligt werden aufgrund seiner Herkunft, seines Geschlechts, seiner Ethnie oder Sexualität. Wir haben das bei Frauen und Menschen mit Behinderungen über Gesetze ergänzt. Das sind aber harte Kriterien!
Der Migrationshintergrund ist eine freiwillige Angabe – wir kommen da über eine Orientierungsgröße nicht hinaus. Das geht nicht, und gut gemeint ist nicht gut gemacht. Die Verfassungsrechtler bei mir im Haus sind fest davon überzeugt, dass wir mit dieser Quote vor jedem Arbeitsgericht scheitern werden. Das wissen Linke und Grüne. Sie führen ihren Alles-oder-Nichts-Kurs trotzdem weiter. Das ist Denken bis zum Wahltag, mehr nicht.
„Ich habe mir für das LADG der Grünen eine blutige Nase geholt“
In Ihrem Zuständigkeitsbereich sieht es mit der Vielfalt gar nicht schlecht aus, sogar Integrationssenatorin Elke Breitenbach hat die Polizei als positives Beispiel hervorgehoben. Was haben Sie dafür getan?
Hier im Haus habe ich in meinem direkten Umfeld Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund eingestellt, um meine Positionen gegenchecken zu lassen. Mit meinem Hintergrund, als weißer Deutscher, sehe ich gewisse Sachen durch andere Augen – ich lasse mich von meinen Mitarbeitern beraten. In der Polizei haben wir den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund durch Zielvorgaben erhöht. Wir haben gezielte – und verpflichtende! – Weiterbildungen für interkulturelle Öffnung.
Wir haben spezielle Anwerbeverfahren in die migrantischen Communities hinein aufgelegt. Die Polizei wirbt auch mit migrantischen Mitarbeitern. Sie müssen die Menschen überzeugen – die in der Verwaltung und die potenziellen Bewerber. Für Überzeugung braucht es mehr als ein Gesetz. Es gibt durchaus Rassismus in der Verwaltung – auch das ist...Ach, ich beruhige mich wieder.
Was bringt Sie so auf?
Wissen Sie, ich habe vergangenen Sommer das grüne Projekt eines Landesantidiskriminierungsgesetzes verteidigt, das LADG. Ich habe mir dafür an vielen Stellen eine blutige Nase geholt. Mir persönlich war manches am LADG fremd, aber ich hatte Mitarbeiter in der Verwaltung, die mir gesagt haben: Andreas, diese Diskriminierung ist unser Alltag.
Deshalb habe ich mich dafür eingesetzt – gegen starke Vorbehalte in der Polizei, wo das als Generalverdacht angesehen wurde. Diejenigen, die mir jetzt vorwerfen, ich wäre gegen Vielfalt und gegen das neue Migrationsgesetz, die haben damals vornehm am Spielfeldrand gestanden und interessiert zugeschaut wie ich für das LADG gekämpft habe. Es wäre jetzt also verdammt nochmal klug, einen Gesetzentwurf vorzulegen, den wir gemeinsam verabschieden können.
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Der bisherige Entwurf beinhaltet auch, den Begriff „Integration“ komplett zu streichen. Was bedeutet das Wort für Sie?
Ich halte den Vorschlag, auf das Wort „Integration“ zu verzichten, für falsch. der Begriff Migrationsgesellschaft sagt ja, wir stellen die verschiedenen Gesellschaftsentwürfe einfach nebeneinander und akzeptieren uns mit unseren Werten. Ich spreche lieber von Vielfaltsgesellschaft. Dafür brauchen wir gemeinsame Werte, auf die wir uns verständigen.
Viele Menschen, die gerade in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, wurden in ihren Herkunftsländern nicht mit unseren Werten sozialisiert – Gleichstellung von Mann und Frau, Akzeptanz von Homosexualität, Kampf gegen Antisemitismus. Wenn wir Teilhabe fördern wollen, müssen wir aber Integration verlangen und anbieten, um Teilhabe zu ermöglichen. Integration ist die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.
„Wenn die Kollegen bei der Polizei gemeinsam auf Streife gehen, werden Ressentiments abgebaut“
Im Koalitionsvertrag sind „verbindliche Maßnahmen“ vereinbart, um den Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Haben Sie eine Idee dazu?
Ja, ich kann nur nochmal betonen, wie wir's bei der Polizei geschafft haben. Man kann Zielvereinbarungen mit leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schließen, die sie verpflichten, interkulturelle Öffnung und Einstellungen von Menschen mit Migrationsgeschichte im öffentlichen Dienst gezielt zu fördern.
Sie haben es bei der Polizei ja erlebt: Glauben Sie, man kann die Ressentiments der weißen Mehrheitsgesellschaft gegen solche Veränderungen irgendwie abfangen?
Schwer, sehr schwer. Es braucht vor allem Zeit. Sie müssen die Entscheidungen treffen, die Kritik aushalten. Und das Beste, was man bei den Kritikern erreichen kann, ist, dass sie hinterher sagen: Ist ja doch nicht so schlimm gekommen wie befürchtet. Veränderungsprozesse treten Stück für Stück ein. Wenn die Kollegen bei der Polizei mit Menschen mit Migrationshintergrund gemeinsam auf Streife gehen, sich kennenlernen, dann werden Ressentiments abgebaut.
Die Linke in Neukölln hat gerade Ihren Rücktritt gefordert, weil die beiden Verdächtigen in der rechtsextremen Brandanschlagsserie aus der U-Haft entlassen wurden.
Das ignoriere ich nicht einmal. Ich glaube, die haben das Prinzip der Gewaltenteilung nicht verstanden. Ein Innensenator entscheidet nicht über Haftbefehle. Ich habe den Eindruck, der Landesebene der Linken ist das selbst peinlich.
Was ist eigentlich gerade los in der Koalition? Der Ton ist rau. Sie wollen doch noch zusammen weiterregieren, oder nicht?
Wenn ich das wüsste. Wobei ich für den Senat sagen muss: Ich empfinde die Zusammenarbeit gerade in dieser Pandemie so eng und vertrauensvoll wie nie zuvor. Wenn ich da an die Zeit mit der CDU in der vergangenen Legislaturperiode denke, ist das Vertrauensverhältnis jetzt deutlich besser. Und trotzdem gibt's dieses Treten unter dem Tisch.
Ich halte das für einen wirklichen Fehler. Wenn wir einer konservativen Entwicklung in Deutschland etwas entgegensetzen wollen, werden wir das bei der derzeitigen Zersplitterung des Parteiensystems nur schaffen, wenn Rot-Rot-Grün regiert. Da haben wir eine Verantwortung, die über Berlin hinausgeht.
Wie gehen Sie damit um, dass ein Bericht aus ihrem Landesamt für Verfassungsschutz an die AfD geleakt wurde?
Wir haben Strafanzeige erstattet. Die Behauptungen, ich hätte versucht, den Bericht zu beeinflussen, sind frei erfunden, glatt gelogen. Es gab innerhalb des Hauses methodische Kritik an dem Entwurf, und womöglich war darüber jemand so sauer, dass er Geheimnisverrat begangen hat. Oder es gab eine andere Motivation. Das wissen wir im Augenblick noch nicht. So was ist immer Mist. Ich bedauere das zutiefst, weil das jetzt wieder die ganzen redlichen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in ein Licht rückt, das sie einfach nicht verdient haben.