Streit über Berliner Migrantenquote: SPD wertet Breitenbachs Vorstoß als „grobes Foul“
Die linke Senatorin will Migranten in der Verwaltung per Quote fördern. Die Opposition nennt das verfassungswidrig – und auch die Koalition ist sich nicht einig.
Über die geplante „Migrantenquote“ der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Elke Breitenbach (Linke), über die der Tagesspiegel am Samstag exklusiv berichtet hatte, regt sich einiger Unmut – und das nicht nur in der Opposition. Nach Informationen des Tagesspiegel wird Breitenbachs Vorstoß vom Koalitionspartner SPD als „grobes Foul“ eingeordnet.
Raed Saleh, Landes- und Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten, sagte dem Tagesspiegel am Samstag zwar, man werde eine solche Gesetzesinitiative in der Fraktion „abgewogen beraten, soweit uns der Senat etwas Abgestimmtes vorlegen sollte“.
Frank Zimmermann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, war allerdings schon am Freitagabend auf Twitter deutlicher geworden: „Ziemlich kühn, dass Elke Breitenbach und die Integrationsbeauftrage im Tagesspiegel verkünden, R2G plane eine 35-Prozent-Quote für Migranten im Öffentlichen Dienst und eine Bevorzugung bei der Einstellung. Die SPD-Fraktion hat das jedenfalls nicht beschlossen.“
Aus den Reihen der Sozialdemokraten hieß es am Samstag, Breitenbach versuche sich mit Maximalforderungen zu profilieren. Dabei wisse sie ganz genau, dass der Senat bei der internen Diskussion über eine Fortschreibung des Partizipations- und Integrationsgesetzes schon „viel weiter“ sei und sich darauf geeinigt habe, dass die Endfassung keine Quote beinhalten werde, sondern lediglich eine „Zielvorgabe“.
Innenverwaltung teilt nur das Ziel, nicht den Weg
Das allerdings will nicht recht passen zur ursprünglichen Aussage der Senatsinnenverwaltung, geführt von SPD-Mann Andreas Geisel, man stehe hinter dem Entwurf. Geisels Sprecher Martin Pallgen wies diese Darstellung des Tagesspiegels am Samstag zurück: Damit sei gemeint gewesen, die Innenverwaltung stehe hinter dem Ziel, nicht aber hinter der nun bekannt gewordenen Fassung des Gesetzentwurfs.
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„Der Gedanke, Vielfalt im öffentlichen Dienst abzubilden, trifft absolut unsere Zustimmung. Aber der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Fassung ist kein geeigneter Weg, um dieses Ziel zu erreichen“, sagte Pallgen. Es handele sich dabei um eine senatsinterne Arbeitsvorlage, bei der für das Haus nicht nur Details, sondern grundsätzliche Fragen noch zu klären seien. Von einer Mitzeichnung sei man weit entfernt.
Grünen-Kandidatin Jarasch stichelt gegen die SPD
Ganz andere Töne kommen von den Grünen: Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sagte dem Tagesspiegel: „Der Ansatz des Entwurfs, wie eine angemessene Berücksichtigung bei Bewerbungsgesprächen, ist richtig und wohldosiert.“ Und stichelte in Richtung SPD: „Wer schon weiche Zielvorgaben wie in diesem Entwurf ablehnt, dessen Gesellschaftsbild ist modernisierungsbedürftig und nicht auf der Höhe der Zeit.“
Breitenbach begegnete den Vorwürfen aus der SPD am Sonnabend mit einem Verweis auf den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag: In diesem sei „die Reformierung dieses Gesetzes ein klarer Auftrag, und den erfüllen wir. Es gibt dazu auch einen Parteitagsbeschluss der SPD, in dem diese Inhalte stehen“. Doch wie so oft gebe es bei der SPD dazu unterschiedliche Positionen.
Man befinde sich in einem „ganz normalen Verfahren“, sagte Breitenbach: „Als zuständige Senatorin habe ich Vorschläge gemacht, diese haben wir innerhalb der fachpolitischen Ebene mit den Fraktionen der Koalition diskutiert.“ Nun werde gemeinsam eine Senatsvorlage erarbeitet. „Und am Ende stimmt das Abgeordnetenhaus als Gesetzgeber darüber ab.“
CDU: „Ein weiteres verfassungswidriges Gesetz“
Die Opposition protestierte geschlossen gegen Breitenbachs Gesetzesinitiative. Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Sebastian Czaja, sagte dem Tagesspiegel: „Nur weil das Ziel ehrenwert ist, ist nicht jeder Weg dorthin auch gerecht. Eine Quote, die über Bevorteilung einzelner Gruppen geregelt wird, bekämpft immer nur das Symptom, nicht die Ursache.“
CDU-Chef Kai Wegner nannte eine Quote ebenfalls „den falschen Weg“ und verwies darauf, dass auch Franziska Giffey Migrantenquoten im öffentlichen Dienst abgelehnt habe. „Als SPD-Vorsitzende und Bewerberin um das Rote Rathaus wäre es konsequent, wenn sie jetzt in der rot-rot-grünen Koalition ihren Einfluss geltend macht und die Quotenpläne stoppt“, sagte Wegner.
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Der rechtspolitische Sprecher der Union, Sven Rissmann, wetterte: „Sehenden Auges ein weiteres verfassungswidriges Gesetz. Allein Leistung, Eignung und Befähigung dürfen eine Rolle spielen. Hier wird zudem noch unter dem Denkmantel der Antidiskriminierung tatsächlich jeder diskriminiert, dessen Vorfahren hier etwas länger leben.“
Auch die AfD hält eine Migrantenquote von 35 Prozent für „eindeutig verfassungswidrig“. Der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Marc Vallendar, sagte: „Jeder Deutsche muss bei gleicher Qualifikation die gleiche Chance auf einen Job im öffentlichen Dienst haben. Die ursprüngliche Ethnie darf dabei keine Rolle spielen.“ „Geborene Deutsche“ dürften nicht ausgegrenzt werden.
Verfassungsrechtler: „Brauchen sie gar nicht erst zu versuchen“
Auch in SPD-Kreisen werden verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht gegen eine Quote, wie sie in dem Gesetzentwurf beschrieben wird. Die Sozialdemokraten fürchten eine Panne vor dem Landesverfassungsgericht – genau wie beim Paritätsgesetz, das die Koalition eigentlich noch diese Legislaturperiode verabschieden will.
Nach der Einschätzung von Experten besteht die Sorge zu Recht. „Das ist grob verfassungswidrig, das brauchen sie gar nicht erst zu versuchen“, sagte etwa Arnd Diringer am Samstag dem Tagesspiegel. Diringer ist Arbeitsrechts-Experte und promovierter Verfassungsrechtler. Er zitiert Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes: „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“
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Abweichungen von diesem Prinzip zur Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Menschen mit Behinderungen, seien zwar „ausnahmsweise“ möglich, erklärt Diringer: „Das ist in einem Sozialstaat wichtig und nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben zulässig.“ Bevorzugung aufgrund von Herkunft oder Ethnie sei aber „ausdrücklich verboten“ – genau wie Benachteiligung. „Das Grundgesetz“, so Diringer, „kennt nur Deutsche und Menschen ‚allgemein‘, keine andere Kategorie.“
Polizei-Berufsverband: „Berliner Polizei hat keinen Bedarf“
Berufsverbände des öffentlichen Diensts meldeten ebenfalls rechtliche Bedenken an. „Die Verfassung schreibt im Beamtenbereich den Grundsatz der Bestenauslese vor“, sagte Jörn Badendick, Sprecher des Polizei-Berufsverbands „Unabhängige“. Eine Quotierung wäre mit diesem Grundsatz unvereinbar.
Einen Bedarf für die Berliner Polizei könne er auch nicht erkennen, so Badendick: „Führungskräfte mit Migrationsgeschichte sind bei uns keine Seltenheit mehr. Die Quotierung birgt eher die Gefahr, dass Kollegen im öffentlichen Bild mit dem Nimbus versehen werden, es nicht aus eigenem Antrieb geschafft zu haben.“
Beamtenbund weist „intendierten Vorwurf“ zurück
Auch Frank Becker, Vorsitzender des Dbb Beamtenbund und Tarifunion Berlin (dbb berlin) hält eine „Migrantenquote“ für unvereinbar mit dem Grundgesetz.
Für seinen Verband, sagte Becker außerdem, könne er feststellen, dass die Mitglieder stets darauf achteten, dass Einstellungen rechtssicher und diskriminierungsfrei durchgeführt würden – „andernfalls hätte eine Vielzahl von Klageverfahren längst etwaige Missstände aufgezeigt.“ „Den mit dem Vorschlag der Senatorin Breitenbach intendierten Vorwurf der Diskriminierung bei Einstellungen weisen wir zurück“, sagte Becker.