Konferenz zu islamistischem Extremismus in Berlin: Die größte Gefahr sind die unauffälligen Einzelgänger
Die islamistische Terrorgefahr durch Einzeltäter, die sich radikalisieren, ist unverändert groß. Experten diskutieren in Berlin, wie man dagegen vorgeht.
Michael Fischer nennt sie „lone actors“, Einzelgänger. Menschen, die sich unbemerkt radikalisieren, die allein an tödlichen Plänen tüfteln, die niemanden einweihen in ihre Absicht, einen islamistischen Terroranschlag zu verüben. Für den Leiter des Berliner Verfassungsschutzes sind solche Einzelgänger der Grund, weshalb „Anschläge so schwierig vorherzusagen sind“. Diese unauffälligen Attentäter stehen für die „andere Dynamik in den vergangenen Jahren“, die Fischer und seine Mitarbeiter mit Sorge registrieren.
Der Verfassungsschützer erzählte das alles vor einem fachkundigen Publikum. Er saß mit anderen Experten auf einem Podium der Friedrich-Ebert-Stiftung, sie alle waren zur zweitägigen „Sicherheitspolitischen Metropolenkonferenz“ gekommen, organisiert auch von der Berliner Innenverwaltung. Wie werden Städte weltweit sicherer? Wie sieht gemeinsames Handeln gegen Radikalisierung und islamistischen Extremismus aus? Wie geht man mit Rückkehrern um? Diese Fragen beschäftigen die Experten.
Wie wichtig dieses Thema ist, erklärte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) mit einem schlichten, bekannten, aber unverändert aktuellen Satz: „Fachleute sagen, dass die abstrakte Gefahr eines Anschlags weiter existiert.“ Einer dieser Fachleute, Michael Fischer, sagte es eine Spur eindrücklicher: „Die Bedrohungslage ist leider unverändert groß. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass jederzeit Anschläge passieren können.“
Derzeit sind nach Geisels Angaben sind Berlin 1100 Anhänger des Salafismus, der besonders strengen Form des Islam, registriert, die Hälfte davon werden als gewaltbereit eingestuft. „Der islamistische Terror stellt uns weiter vor große Herausforderungen.“ Deshalb sei ein „strategischer Austausch mit internationalen Partnern“ so wichtig.
40 islamistische Anschläge hat es in Europa in den vergangenen fünf Jahren gegeben. „In diesem Netzwerk beraten wir neue Schritte gegen diesen Trend“, sagte Geisel. Er meinte vor allem die Einzelgänger. „Das setzt den Willen voraus, dass wir voneinander lernen. Denn man muss die eigenen Ansätze auch selbstkritisch beobachten.“
Gefahr durch Einzelgänger
Radikalisierung, sagte Verfassungsschutz-Chef Fischer, sei nie monokausal entstanden. Oft sei der Weg zur Radikalität auch vom Zufall abhängig. Wenn jemand persönliche Probleme habe und Anschluss suche, könne er genauso gut in eine salafistische Gruppe geraten wie in einen Sportverein. Im einen Fall ist dieses Andocken hochgefährlich, im anderen Fall „passiert gar nichts“.
Wie schnell der Weg zur Radikalisierung geschehen kann, erzählte er am Beispiel eines Jugendlichen. Der hatte starke Akne, litt darunter extrem, fühlte sich ausgegrenzt und landete dann in einer Salafistengruppe. Dort interessierte sich niemand für die Akne, aber sehr dafür, dass das neue Mitglied möglichst schnell eine radikale Einstellung erhält. Dass gerade in Großstädten der Zulauf zu radikalen Gruppen besonders groß ist, liegt nach Fischers Ansicht schlicht daran, dass in diesen Städten das salafistische Angebot größer ist als in kleineren Kommunen.
Auch Matthew Levitt sieht in diesen Einzelgängern die größte Bedrohung, nicht bloß für die USA, „sondern für die ganze Welt“. Dass er die USA erwähnte, hatte einen guten Grund. Er kommt vom Washington Institut für Near East Policy, er erklärte, wie die Vereinigten Staaten mit der Bedrohung durch islamistische Terroranschläge umgehen. Auch er kennt ein Beispiel einer ungewöhnlichen Radikalisierung. Ein muslimischer junger Mann in den USA wurde von einer Frau abgewiesen, benahm sich dann hochfrustriert auf seinem College sehr ungebührlich, flog vom College, machte dann das westliche System für seinen Frust verantwortlich und radikalisierte sich.
Lehrer müssten geschult werden
Levitt sagt, man habe nur eine Chance, solche Leute zu identifizieren, wenn man direkt an die Basis gehe, dort wo der klassische Alltag stattfindet. „Diese Leute reisen nicht viel, sie erhalten kein Geld aus dem Ausland, man kann sie nicht aufgrund verdächtiger Reisen oder ungewöhnlicher Zuwendungen identifizieren.“ Deshalb sei es nötig, dass etwa Lehrer geschult würden, Signale einer beginnenden Radikalisierung zu erkennen.
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Sofia Koller von der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik weist ebenfalls auf die Zufälle hin, die Menschen dazu bringen, sich zu radikalisieren. Es gebe Städte mit sozialen Problemen, in denen es eine besonders radikale Szene gebe und andere mit den gleichen schwierigen Situationen, in denen gar nichts passiere. Wenn in einem Viertel ein besonders charismatischer, radikaler Iman predigt, dann bekommt die gewaltbereite Szene natürlich Zulauf.
Koller ist Expertin für Deradikalisierung, sie warnt davor, zu glauben, dass man von außen eine Abkehr von radikalen Ansichten erreichen könne. Die Denkweise müsse jeder selber ändern, man könne ihn dabei nur begleiten. Oft hätten diese Menschen aber gar keinen Bezug zu radikalen islamistischen Ideologien, sondern man müsste mit ihnen ein Trauma aufarbeiten. Repression allein, da waren sich alle Experten einig, bringt nichts. Prävention und der Umgang mit individuellen Problemen sei genauso wichtig.
Aber ohne Repression geht es natürlich auch nicht. Das machte Michael Fischer, der Verfassungsschutz-Präsident, sehr deutlich: „Wenn die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung angegriffen werden, müssen wir eine rote Linie ziehen.“
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