Tech-Gründer aus der DDR: Die Gewinner der Wendejahre
Rainer Erdmann und Matthias Gerhardt vertreten eine Generation erfolgreicher Tech-Gründer mit DDR-Biografien, die schnell nach neuen Regeln gespielt haben.
Wer in diesen Tagen die Debatten über die Wendejahre verfolgt, könnte auf den Gedanken kommen, dass die Geschichte des Ostens nach dem Mauerfall nur eine Seite hat: die des wirtschaftlichen Niedergangs.
Vom Zusammenbruch der Industrie in Ostdeutschland ist oft die Rede, von tatsächlichen und vermeintlichen Treuhandskandalen oder von Löhnen, die auch 30 Jahre nach Mauerfall noch unter West-Niveau liegen. Dabei ist die Geschichte vielschichtig.
Beispiel Technologiepark Adlershof, den „klügsten Kiez Berlins“. Über 1100 Unternehmen der Tech- und Medienbranche sind hier zu finden, zehn außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und dazu noch sechs Institute der Humboldt-Universität. Täglich machen sich rund 25.000 Menschen auf den Weg in das gut vier Kilometer große Gebiet im südöstlichen Bezirk Treptow-Köpenick, um Wissen zu schaffen. Besonders stark sind die Bereiche Photonik und Optik, Mikrosysteme und Materialien, Informationstechnik sowie Biotechnologie.
Adlershof kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Was heute blüht, wurde von der damaligen Staatsführung schon zu DDR-Zeiten gesät: Die Akademie der Wissenschaften des gescheiterten sozialistischen Staates hatte hier einen ihrer wichtigsten Standorte.
In dieser Zeit war auch Rainer Erdmann schon in Adlershof, damals machte der Quantenphysiker gerade sein Diplom. Sein Thema: Die Sichtbarmachung von Substanzen. Erdmann tüftelte aus, wie man radioaktive Markierungsmethoden im Bereich der DNA-Forschung durch optische Methoden ersetzen konnte.
„Erst mal ging hier alles den Bach runter“
Dass er mal Chef und Eigentümer eines Unternehmens mit fast 100 Mitarbeitern sein würde, das deutlich mehr als zehn Millionen Euro Umsatz machen würde, hätte er sich damals nicht träumen lassen. Seine Firma PicoQuant zählt mittlerweile zu den Stars im Technologiepark Adlershof.
Das war nicht immer so: „Erst mal ging hier alles den Bach runter“, erinnert er sich. Nach dem Mauerfall geschah zunächst ein gutes halbes Jahr lang gar nichts. Dann, erinnert sich Erdmann, seien mit dem Einigungsvertrag Ende des Jahres 1991 „die Lichter ausgegangen“.
An dieser Stelle wäre der normale Lauf der Dinge so gewesen, dass der Forscher seine Arbeit in etablierten Strukturen des Westens fortgesetzt hätte. Genügend Angebote aus München, Stuttgart und Heidelberg lagen ihm vor. „Ich hatte aber die Hoffnung, dass hier noch etwas passiert.“ Erdmann wollte sich gegen die Entwicklung in Adlershof stemmen. „Man plante, die Wissenschaft des Ostens plattzumachen, und das wollten wir verhindern.“
Mit seinem damaligen Professor und ein paar Dutzend Leuten machte Erdmann in Adlershof einfach weiter. 1996 gründeten sie dann das heutige Unternehmen. Vier Gründer brachten ihr eigenes Geld ein, um PicoQuant ins Leben zu rufen. Die Firma produziert seitdem „Einzelphotonenzählanwendungen“. Das sind hochkomplexe Apparaturen, mit denen Wissenschaftler in den Bereichen Medizin, Physik, Chemie und Biologie als High-End-Forscher arbeiten.
„Wir ermöglichen Nobelpreise“, bringt Erdmann es auf den Punkt. Seine gepulsten Diodenlaser, LEDs, Fluoreszenz-Lebensdauerspektrometer und anderen Gerätschaften sind schlicht Weltspitze.
„Wir ermöglichen Nobelpreise“
Das klappte, weil er auch etwas von Gesetzen des Marktes verstand und sich schnell den neuen Zeiten und Gegebenheiten anpasste: „Wir sind aus der Asche der Akademie gestartet, glaubten an unsere Idee und haben den forschenden Wissenschaftlern genau zugehört und mit ihnen die Geräte entwickelt, die sie brauchen, um erfolgreich arbeiten und publizieren zu können“, erklärt Erdmann.
Dass er sich darüber zu einem Dienstleister der Forscher, der selbst nicht mehr forscht, entwickelt hat, machte ihn anfangs traurig: „Jetzt habe ich aber eine andere Lebenseinstellung“ – und eine Verantwortung gegenüber seinen Kunden, den Wissenschaftlern: Für manches PicoQuant-Gerät muss er bis zu einer halben Million Euro verlangen.
Ganz ähnlich verlief die Geschichte von Matthias Gerhardt. Auch er entstammt der Akademie der Wissenschaften. Mit ihrem damaligen Professor gründeten ein gutes Dutzend Forscher Biopract. Heute hat die Firma 20 Mitarbeiter und ist weltweit aktiv. Auch hier kann sich der einfache Verbraucher nicht sofort etwas vorstellen, wenn Biotechnologe Gerhardt erzählt, was seine Firma so macht: Enzymanalytik, Tierernährung und Biogas seien die Hauptaktivitäten, erklärt er.
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Anfangs kümmerte sich die 1992 gegründete Firma um Umweltverunreinigungen und Bodensanierungen; die heutige landwirtschaftliche Ausrichtung kam erst etwas später hinzu. Seit Gerhardt 2000 die Firma als Geschäftsführer übernahm, konzentriert sich Biopract auf das Feld und die Landwirtschaft.
Alles dreht sich bei Biopract um Enzyme. „Das sind Katalysatoren, die in lebenden Systemen vorkommen“, erklärt Gerhardt. Seine Firma bietet der Landwirtschaft zum Beispiel Futtermittelzusatzstoffe an, die den Tieren bei der Verdauung des Futters helfen. So braucht der Bauer pro Kilogramm Schlachtgewicht am Ende weniger Futter. Bei den knappen Margen ist das für viele Landwirte eine entscheidende Größe.
Dass der ein oder andere Angehörige der Biobewegung aus dem Prenzlauer Berg die Nase rümpft, wenn es um die Produktpalette von Biopract geht, ficht Gerhardt nicht an: „Die haben Luxusprobleme. Solange Menschen hungern, müssen wir auf eine moderne und hochleistungsfähige Landwirtschaft setzen.“
Großer Kunde Gerhardts ist der niederländische Chemiekonzern DSM. Weltweit beauftragt DSM bei Biopract sogenannte Enzymanalysen. Mitte der 2000er beteiligten sich die Niederländer sogar an Biopract. Doch mittlerweile ist Gerhardt wieder Herr im eigenen Hause. 2012 gab es einen Management-Buyout – seitdem gehört die Adlershofer Firma ihm und einem weiteren Mitgesellschafter, der nun zusammen mit Gerhardt die Firma leitet. Auf Fremdkapital sind die beiden nicht angewiesen.
„Viel“, so meint Gerhardt, „wurde in Berlin ja nicht richtig gemacht.“ Beim Technologiepark Adlershof sei es ausnahmsweise mal anders.
Jan-Philipp Hein