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Nach Aktenlage. Die Sanktionen werden nicht mehr verhängt.
© picture alliance/Stephanie Pilick/dpa

Reaktion auf Verfassungsgericht-Urteil zu Hartz-IV: „Die Exzesse in der Sanktionspraxis sind eingegrenzt“

Sozialorganisationen begrüßen das Urteil zu den Hartz-IV-Regeln, hätten aber am liebsten alle Sanktionen abgeschafft.

Fürs Erste ist Frank Steger zufrieden. „Das Urteil ist ein Schritt nach vorn“, sagte der Vorsitzende des Berliner Arbeitslosenzentrums. Den Schritt hatte das Bundesverfassungsgericht gemacht. Die Richter entschieden am Montag, dass ein Teil der bisherigen Sanktionen gegen säumige Hartz-IV-Empfänger nicht mehr verhängt werden darf. Nur noch maximal 30 Prozent des Hartz-IV-Satzes dürfen ab sofort gekürzt werden. Bisher war sogar eine Komplettkürzung möglich, wenn jemand mehrfach pflichtwidrig gehandelt hatte. Zu diesem pflichtwidrigen Verhalten zählt die Weigerung, eine Stelle, eine Aus- oder eine Fortbildung anzutreten.

„Die Exzesse in der Sanktionspraxis sind zumindest eingegrenzt“, sagte Steger dem Tagesspiegel. 60 Prozent Streichung des Regelsatzes bedeuteten, dass jemand in eine existenzielle Notlage geraten und damit auch seine Wohnung verlieren könnte. Allerdings betreffen diese harten Strafen nur relativ wenige Personen in Berlin.

Derzeit sind in der Hauptstadt 108 000 erwerbstätige Menschen registriert, die Hartz IV beziehen. Im vergangenen Jahr erhielten im Schnitt 2134 Personen einen gekürzten Regelsatz, das bedeutet, dass auch weniger Unterkunftskosten als üblich übernommen wurden. Rund 50 Prozent dieser Betroffenen waren jünger als 25 Jahre. 789 Personen hatten sogar die Maximalstufe der Sanktionen erreicht. Sie erhielten gar keine Leistungen mehr.

Steger begrüßte vor allem, dass jetzt die dreimonatigen Sanktionen nicht mehr zwingend vorgeschrieben sind. Bis zum Urteil habe diese starre Regelung auch Personen betroffen, die mit kurzer Verzögerung zur Zusammenarbeit mit dem Jobcenter bereit gewesen seien.

Gleichwohl hat Steger Probleme mit dem Urteil: „Denn wir wollen, dass es überhaupt keine Sanktionen gibt. Mit Sanktionen werden alle Leistungsbezieher unter Generalverdacht gestellt.“ Stattdessen fordert er eine bessere Betreuung durch die Jobcenter. „Die Beratungsleistung ist nicht gut“, sagt er. Betroffene beklagten sich, sie würden nicht auf Augenhöhe behandelt.

Wir brauchen bessere Beratungsangebote

Gabriele Schlimper, die Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin, „begrüßte“ ebenfalls das Urteil. „Wir halten Sanktionen für ungeeignet, Menschen zu motivieren. Wir brauchen bessere Unterstützungs- und Beratungsangebote. Wir werden darauf achten, dass die Empfehlungen des Gerichts in den Berliner Jobcentern umgesetzt werden.“ Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin ist die Dachorganisation der freien Wohlfahrtspflege mit 760 Mitgliedsorganisationen.

Martin Hoyer, der stellvertretende Geschäftsführer des Wohlfahrtsverbands Berlin, ist sehr zufrieden damit, dass die starren Fristen für Sanktionen aufgehoben wurden. „Drei Monate haben wie eine Strafe gewirkt“, sagt er. Wenn ein Betroffener jetzt aktiv mit dem Jobcenter zusammenarbeitet, wird die Sanktion wieder aufgehoben.

Schon die erste Sanktion greife ins Existenzminimum ein

„Hartz IV ist in der Regel so niedrig, dass schon die erste Sanktion ins Existenzminimum eingreift“, sagte Hoyer dem Tagesspiegel. Deshalb gebe es Mitgliedsorganisationen des Verbands, „die Sanktionen grundsätzlich für falsch halten“. Für Hoyer ist ein bedeutsamer Punkt, ob Mitarbeiter des Jobcenters, die Sanktionen verhängen, erkennen, welches Schicksal die jeweils Betroffenen hätten. „Es gibt Menschen, die sind von psychischen Belastungen betroffen oder von Schicksalsschlägen gebeutelt“. Und es gebe Menschen, die nicht in der Lage seien, in der konkreten Situation diese Probleme zu benennen und damit Sanktionen abzuwenden.

Für Helena Steinhaus, die Gründerin des Berliner Vereins „Sanktionsfrei“, ist es „ein großartiges Ergebnis, dass das Bundesverfassungsgericht die bisherige Sanktionsregelung für grundgesetzwidrig hält“. Aber auch sie ist mit dem Urteil nicht vollständig zufrieden. „Weiterhin dürfen Sanktionen bis zu 30 Prozent des Regelsatzes verhängt werden“. Das gesetzlich festgelegte Existenzminimum könne also immer noch erheblich gekürzt werden. „127,20 Euro weniger, das tut verdammt weh, wenn man nur 424 Euro hat.“ Der Verein setzt sich für eine bedingungslose Grundsicherung ein.

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