Wegen fehlerhafter Ausschreibung: Die Einführung der elektronischen Akte der Berliner Verwaltung verzögert sich
Der Zeitplan für die Einführung der elektronischen Akte der Berliner Verwaltung ist geplatzt. In der rot-rot-grünen Koalition macht sich Resignation breit.
Die Einführung der elektronischen Akte (E-Akte) und damit der digitalen Datenverarbeitung für mehr als 100.000 Mitarbeiter der Berliner Verwaltung ist vorerst gescheitert. Weil die Ausschreibung des dem Vernehmen nach rund 200 Millionen Euro teuren Projekts fehlerhaft war, verzögert sich die Einführung der E-Akte, die zum 1. Januar 2023 geplant war, um ein Jahr – mindestens. Zuvor hatte die Innenverwaltung auf einen Einspruch gegen das Veto der Vergabekammer verzichtet. Die Ausschreibung beginnt damit nahezu bei null.
Schlicht "Nein" lautet die Antwort von Staatssekretärin Smentek
Während Sabine Smentek (SPD), Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik, das Abgeordnetenhaus ursprünglich Mitte März über den Stand der Dinge hatte informieren sollen, der Termin dann aber coronabedingt ausfiel, zwang sie nun eine Schriftliche Anfrage des FDP-Abgeordneten Bernd Schlömer zur Klarstellung.
Schlicht „Nein“ lautet ihre dem Tagesspiegel exklusiv vorliegende Antwort auf die Frage, ob die flächendeckende Einführung der E-Akte zum 1. Januar 2023 realistisch sei. Festgehalten ist der Termin im E-Government-Gesetz des Landes Berlin. Dieses wird aktuell evaluiert und muss dementsprechend geändert werden. Die Einführung der E-Akte galt von Beginn an als zentraler Meilenstein des Gesetzes. Viele weitere Schritte zur dringend erforderlichen Digitalisierung der Verwaltung bauen darauf auf.
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Während zum Beschluss der Vergabekammer noch immer wenig bekannt ist – ein neuer Erläuterungstermin ist für den 25. Mai vorgesehen –, beschreiben Fachpolitiker aller Parteien die Situation als Debakel. Der oppositionelle Schlömer sieht „ein Herzstück der rot-rot-grünen Verwaltungsdigitalisierung endgültig gescheitert“ und fordert eine „gründliche Sanierung des Berliner E-Government-Gesetzes“.
Mit Blick auf die den eigenen Ansprüchen meilenweit hinterherhinkenden Homeoffice-Kapazitäten der Berliner Verwaltung schließt Schlömer sein Statement zur digitalen Verwaltung mit den Worten „Armes Berlin!“.
Stephan Lenz (CDU) ergänzt: „Das ist vor allem deshalb ein Riesen-Problem, weil vielen die Bedeutung digitaler Angebote in der aktuellen Krise erst richtig bewusst wird.“ Weil wohl vor allem Formfehler zum Platzen der Ausschreibung führten, erklärt Lenz: „Das ist eine Sache, die so nicht passieren darf. Da bahnt sich ein Problem an für Frau Smentek.“
"Hochgradig ärgerlich" nennt das die SPD-Fraktion
Auch in den Reihen der Koalition wächst die Frustration, Fachpolitiker von SPD, Grünen und Linke äußern sich jedoch offiziell nur zur Sache. Stefan Ziller, Digitalisierungsexperte der Grünen-Fraktion, spricht von einem „herben Rückschlag“ und fordert „eine schnelle Entscheidung über das weitere Vorgehen“. Sven Kohlmeier, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, nennt die kaum absehbare Verzögerung „hochgradig ärgerlich“ und gibt zu bedenken: Selbst wenn die vorerst gescheiterte Ausschreibung erfolgreich durchgeführt werden kann, droht nach Vergabe eine Klage des unterlegenen Bewerbers. Damit drohten weiter Verzögerungen.
Eine Einführung der E-Akte vor 2025 sei kaum noch realistisch. Angesichts des ausreichend beurkundeten Umsetzungsdefizits in der Verwaltung beim Thema Digitalisierung zweifelt Kohlmeier grundsätzlich am Sinn, einen neuen Termin für die Einführung der E-Akte im Gesetz festzulegen.
Sympathien dafür zeigt auch Tobias Schulze (Linke). „Extrem misslich“ nennt er die nun unvermeidbare Verschiebung des Projekts, fürchtet anders als Kohlmeier aber nicht, dass für die Digitalisierung vorgesehene Gelder nun in die Bekämpfung der Corona-Schäden fließen könnten. „Die Erfahrungen dieser Tage zeigen, dass Digitalisierung wichtig ist“, erklärt Schulze. Der Arbeitsalltag vieler Mitarbeiter in Berliner Behörden wiederum dürfte noch auf Jahre von analogen Provisorien bestimmt sein.