Serie "Durch Luthers Brandenburg", Folge 2: Frankfurt (Oder): Die Bürger mochten's nicht so protzig
Mächtig war einst die katholische Kirche in der Kaufmannsmetropole Frankfurt (Oder) - bis immer mehr Studenten Luthers Lehren folgten.
Um es gleich vorwegzusagen, in Frankfurt an der Oder ist Martin Luther nie gewesen. Die aufstrebende Kaufmannsmetropole verstand sich zunächst als Bollwerk gegen die Umtriebe des Reformators in Wittenberg. Man sah sich gut gerüstet, denn 1498 hatte die Stadt begonnen, aus eigenem Antrieb eine Universität zu bauen, die 1506 eröffnet wurde.
Frankfurt gehörte zum Bistum Lebus, und der Bischof war gleichzeitig Kanzler der Universität. Damit saßen die Freunde Roms am längeren Hebel. Der erste Rektor der Universität Konrad Wimpina (1460–1531) war ein erklärter Gegner Luthers und nebenbei auch noch langjähriger Dekan der theologischen Fakultät der Universität. Und auch der Dominikanermönch und Ablasshändler Johannes Tetzel (um 1469–1519) wetterte 1518 in der Marienkirche gegen Luthers Lehre. Dass die katholische Kirche in der Stadt der Kaufleute und Gewandschneider mächtig war, fällt dem heutigen Besucher in der vom Zweiten Weltkrieg und sozialistischen Wiederaufbau arg gebeutelten Stadt sofort auf.
Dominant im Zentrum ist die mächtige Marienkirche, die einst zwei zinnengesäumte wehrhafte Türme besaß. Nur einer ist übrig geblieben, der andere stürzte 1826 ein und wurde nie wieder aufgebaut. Sie ist die größte norddeutsche Hallenkirche der Backsteingotik. Der Kurfürst von Brandenburg war ihr Patron. Wie wichtig dieses Gotteshaus war, zeigt heute noch das Nordportal mit seinen drei Wappen. Oben prangt das kaiserliche Wappen, darunter links der aufrecht stehende Löwe für Karl IV. von Böhmen, den späteren Kaiser, und rechts das Brandenburger Wappen. Darunter Stifterfiguren der Frankfurter Bürger. Die Skulpturen lassen Einflüsse aus Breslau und Nürnberg erkennen.
Die Klosterkirche dient heute als Konzertsaal
Bedeutend war auch das Kloster der Franziskaner mit seiner Kirche, die sich an der nördlichen Stadtmauer befand. Heute zeugt nur noch die Klosterkirche mit ihrem hohen steilen Dach – nun als Konzertsaal genutzt – von der Bedeutung und der Macht des Ordens in Frankfurt.
Die größten Schätze aus der Reformationszeit birgt die Gertraudenkirche im gleichnamigen Park, zu der man, vom Bahnhof kommend, als Erstes gelangt. Der Bau aus dem 19. Jahrhundert wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Betritt man ihn, versteht man zunächst die Welt nicht mehr: Hinter der Kirchentür sieht man Büroräume und Gemeindesäle. Man muss erst eine Treppe emporsteigen, um quasi im ersten Stock des Gotteshauses die Schätze der Marienkirche zu sehen. Diese war nach den Kriegsbomben als Ruine ohne Dach stehen geblieben. Die DDR hatte die beiden Gemeinden fusioniert, zum Umbau gezwungen und den Andachtsraum niedriger gestaltet, sodass Platz für andere Zwecke gewonnen wurde.
Mit der Gertraudenkirche betritt man jetzt die erste Station der großen Frankfurter Reformationsausstellung „Bürger, Pfarrer, Professoren – St. Marien in Frankfurt (Oder) und die Reformation in Brandenburg“. Bereits 1368 hatte die Gewandschneiderinnung den Vorgängerbau gestiftet. Ins Auge springt sofort der gewaltige Altar der Marienkirche von 1489 mit seinem kunstvoll geschnitzten Gesprenge, das extra für diese Ausstellung wieder aufwendig restauriert und auf den „Tisch des Herrn“ aufgesetzt wurde.
Der Altar ist nach dem Marienretabel von Veit Stoß in Krakau der zweitgrößte im östlichen Mitteleuropa. Die spektakulären Schnitzereien wurden in Nürnberg angefertigt, der Schrein und das Gesprenge in Brandenburg, erklärt Maria Deiters von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und wissenschaftliche Leiterin und Kuratorin der Ausstellung. Nach Ansicht von Deiters spiegelt dieser monumentale Altar, der aufgeklappt acht Bilder präsentiert, auch das Selbstbewusstsein der Frankfurter Bürger gegenüber dem Kurfürsten wider. Sie verpassen der schlesischen Heiligen Hedwig einfach den Kurfürstenhut und setzen damit ein Zeichen.
Erstaunlicherweise hat dieser üppig dekorierte Altar die Reformation überlebt – einen Bildersturm hat es in Frankfurt nie gegeben. Das monumentale Taufbecken aus Bronze mit seinem reichen Bilderschmuck – einer Art Bibel-Comic – und der ebenfalls bronzene riesige siebenarmige Leuchter aus der Marienkirche zählen zu den eindrucksvollen Zeugnissen sakraler Kunst der Stadt.
Dem Selbstbewusstsein seiner Bürger und Studenten – Thomas Münzer war an der Universität eingeschrieben – verdankt Frankfurt an der Oder seine „Reformation von unten“. Unter den Studenten der Universität fanden die Lehren Luthers immer mehr Anhänger. Zudem stieß das protzige Gebahren der katholischen Kirche viele Bürger ab. Immer öfter fuhren sie in benachbarte Städte wie Guben, Krossen oder Königsberg/Neumark, wo die Lutheraner ihre Abendmahle feierten.
Als Kurfürst Joachim II. zur evangelischen Konfession übertrat, fand im gleichen Jahr der erste evangelische Abendmahlsgottesdienst in der Frankfurter Marienkirche statt. 1542 wurde dann die Frankfurter Hochschule unter Mitwirkung von Melanchthon reformiert. Mit dazu beigetragen hat sicherlich auch die Tatsache, dass Frankfurt schon sehr früh – seit 1502 – eine eigene Buchdruckerei besaß. Mit der Eröffnung der Universität siedelten sich bald mehr Betriebe dieser Art an, Frankfurt wurde zum Zentrum der Buchdruckerkunst.
Viele kunstvolle Beispiele dafür kann man im prächtigen Stadtmuseum Viadrina betrachten, einem vor 300 Jahren umgebauten Herrenhaus, in dem einst die Hohenzollernprinzen und später die Professoren wohnten. Das Museum war das einstige „Schloss“ der Stadt, einer der wenigen historischen Bauten neben dem Backsteinrathaus, die den Krieg heil überstanden haben. Wer im Museum das Modell von Frankfurt im 15. Jahrhundert betrachtet, versteht, warum Frankfurt auf dem Weg zur Freien Reichsstadt war – der Dreißigjährige Krieg hat diese Entwicklung zunichtegemacht.
Tiefe Spuren von Krieg und sozialistischem Wiederaufbau
Der Stolz und die Beharrlichkeit der Frankfurter zeigen sich auch im Kampf um die Rückerstattung ihrer berühmten drei Fenster aus der Marienkirche. Sie waren als Kriegsbeute in die Sowjetunion verschleppt worden. Anfang der 1990er Jahre haben sich die Stadtbewohner dann dafür eingesetzt, dass diese Fenster zurückkehrten – mit Erfolg. Wie die Schmuckstücke im erneuerten Gewölbe wieder zur Geltung kommen, können Besucher der Marienkirche jetzt bestaunen. Es scheint, als versuche Frankfurt an seine bürgerliche Tradition aus dem 16. Jahrhundert anzuknüpfen.
Die Spuren der Reformationszeit muss man sich im Stadtbild suchen, Krieg und sozialistischer Wiederaufbau haben tiefe Spuren hinterlassen. Aber Frankfurt hat sich auf seine Tradition als Universitätsstadt besonnen. Neue Bauten setzen überraschende Akzente, die vielen Studenten prägen das Stadtbild und das Dönhoff-Gebäude mit seiner Mensa ist auch bei Touristen beliebt. Von der Terrasse aus führt ein Steg auf die grüne Insel Ziegenwerder. Beschaulich fließt die Oder drum herum.
Luthers Thesen haben die Welt verändert. Nicht auf einen Schlag, sondern ganz allmählich. Doch wie war das damals, als Pfaffen verjagt wurden, Bürger rebellierten und Mönche nichts mehr zu sagen hatten?
In Brandenburg kann man der Geschichte nachspüren. In sechs Städten haben wir uns umgesehen und gestaunt, wie viel vom Mittelalter geblieben ist. Und was die Gegenwart bietet. Bitte, folgen Sie uns!
Die nächste Folge unserer Ausflugsserie erscheint am Sonnabend, dem 13. Mai im Tagesspiegel. Diesmal: Herzberg an der Schwarzen Elster