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Romantisches Entree. Das Dammtor der teils noch gut erhaltenen Stadtbefestigung von Jüterbog.
© LAIF

Serie "Durch Luthers Brandenburg", Folge 1: Jüterbog: Frommer Aufruhr gegen den "teuflischen Unfug"

Die Bürger Jüterbogs schlugen sich schon früh auf die Seite der Reformation. Hinter den Stadttoren tobte der Glaubensstreit. Mönche schickten Spitzel in die Kirche. Geschichten und Eindrücke aus der Flämingstadt.

Die Mönche des Franziskanerklosters in Jüterbog waren aufs Äußerste empört. Was der Magister der Theologie, Franz Günther, im Frühjahr 1519 bei seinen Predigten in der altehrwürdigen St. Nikolaikirche der Flämingstadt unters Volk brachte, grenzte an blanken Aufruhr. Einen Spitzel hatten die Mönche ins Gotteshaus entsandt. Der sollte all die „verderblichen Irrlehren“ protokollieren, die dieser Lutheraner von sich gab. Die Ablassbriefe taugten nur als Einwickelpapier, rief der in Wittenberg ausgebildete Pfarrer von der Kanzel herab. Hochmut und Habgier warf er dem katholischen Klerus vor.

Luthers Schüler bestanden in Jüterbog ihre erste Bewährungsprobe

Eineinhalb Jahre nachdem Martin Luther am 31. Oktober 1517 in Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlicht hatte, avancierte Jüterbog zum Hauptschauplatz des Glaubenskampfes. Luthers Schüler bestanden in der nur 40 Kilometer entfernten Stadt am Rande des Hohen Fläming ihre erste Bewährungsprobe. Doch Jüterbog hatte schon zuvor eine wichtige Rolle: Es gilt als „Stadt des Anstoßes zur Reformation“. Erst als der Dominikaner Johann Tetzel dort seine Ablässe 1517 mit extremen Parolen verkaufte, geriet Luther derart in Rage, dass er sich zum Handeln entschloss.

Von allen Sünden befreit. Ein Original-Ablassbrief, ausgestellt im Museum Mönchenkloster.
Von allen Sünden befreit. Ein Original-Ablassbrief, ausgestellt im Museum Mönchenkloster.
© TMB Potsdamm

Heute profitiert Jüterbog von Tetzels Versprechungen und Luthers Kreuzzug gegen den „teuflischen Unfug“. Anlässlich des Reformationsjubiläums ist die Stadt ein wichtiges Ziel für alle, die auf den Spuren des Glaubensstreits durch Brandenburg reisen. Doch eine Entdeckungstour nach Jüterbog lohnt in vielerlei Hinsicht. Kabarettisten haben sich einen Reim auf die Stadt gemacht. „Mein Herz flammt wie ein Blütenstock für Jüterbog, für Jüterbog ...“, dichtete der Berliner Komiker Hellmuth Krüger 1941. Vertont wurde das Chanson vom späteren Gründer des West-Berliner Nachkriegskabaretts „Die Insulaner“, Günther Neumann. Und Varietéstar Loni Heuser brachte es auf die Bühne. Das Chanson war als Satire auf die Provinz gedacht, es spießte Jüterbog wegen seines ulkigen Namens auf, dessen Herkunft im Dunkeln liegt.

Wie kam die Stadt zu ihrem kuriosen Namen?

Fragt man danach, so erzählen die Jüterboger eine Legende aus dem 12. Jahrhundert. Damals, heißt es, gelobten die Ratsherren, ihre Stadt solle nach dem benannt werden, der am nächsten Morgen als Erster vom Land in den Ort käme. Es war ein Mütterchen – „Frau Jutte“ mit ihrem Ziegenbock am Strick. So kam der Bock aufs Stadtwappen. Und die Touristenwerber spielen heute gerne mit der Geschichte. „Bock auf Jüterbog?“ Um sich der Stadt zu nähern, spaziert man am besten vom Bahnhof durch die Wiesen am Kanal entlang zur Liebfrauenkirche und zum Dammtor. Es sind die ersten sichtbaren Zeugnisse des Mittelalters und der gesellschaftlichen Erschütterungen, die Luther hier auslöste. Überhaupt, wer in Jüterbog auf Entdeckungstour geht, sollte die besondere Silhouette des Städtchens auch vom grünen Stadtrand aus betrachten, aus verschiedenen Perspektiven. Die schönen Rundwege sind wie geschaffen dafür.

Blick auf die Altstadt. Im Vordergrund das historische Rathaus, dahinter die St. Nikolaikirche mit den mächtigen Zwillingstürmen.
Blick auf die Altstadt. Im Vordergrund das historische Rathaus, dahinter die St. Nikolaikirche mit den mächtigen Zwillingstürmen.
© TMB Potsdam

Mitten im historischen Zentrum erheben sich die mächtigen Zwillingstürme der St. Nikolaikirche, verbunden mit einem Brückchen. Sie prägen die Stadtkulisse, gemeinsam mit den Türmen der drei Tore von Brandenburgs ältester, teils erhaltener Stadtbefestigung. Wer den Markt betritt, spürt noch den Hauch des Mittelalters. Jüterbog war stark befestigt. Bis heute hängt an jedem Stadttor eine Keule. Seit dem 14. Jahrhundert symbolisierten diese das Recht der Stadt, die Gerichtsbarkeit auszuüben. Etwas später kam zu jeder Keule noch ein Spruch: „Wer seinen Kinder gibt das Brodt und leidet nachmals selber Noth, den schlage man mit der Keule todt.“

Die rivalisierenden Bastionen der Reformation sind nur ein paar Schritte voneinander entfernt

Jüterbog war zur Zeit der Reformation eine reiche Handelsstadt mit sieben Kirchen und zwei Klöstern. In der Altstadt trennen nur wenige Schritte die einst rivalisierenden Bastionen des Reformationsstreits: das frühere Franziskanerkloster, heute das „Kulturquartier Mönchenkloster“. Und die St. Nikolaikirche, deren reiche Kunstschätze aus vorreformatorischer Zeit vom Mittelalter erzählen, während gleich daneben typisch protestantische Altäre die neuen lutherischen Ideen verdeutlichen. Nah beieinander wie in einem Bilderbuch kann man hier den religiösen Umbruch erleben sowie die Auswirkungen der Reformation auf den städtischen und kirchlichen Alltag.

Der Tetzelkasten ist nur ein Symbol für die Raffgier des Klerus

Vorbei war dank Luther die Furcht vorm Fegefeuer, die Tetzel geschürt hatte. Selbst wenn einer die Jungfrau Maria vergewaltigt hätte, so könne er’s vergeben, wenn das Geld im Kasten klinge, tönte der Ablassprediger. Der berühmte Tetzelkasten steht heute in St. Nikolai. Allerdings ist das drei Meter lange Objekt aus Eichenholz kein Original, sondern eine frühere Geldtruhe, die man als Symbol für die Raffgier des Klerus aufgestellt hat. Vom Geschäftsmodell Tetzels profitierten damals der Papst und das Erzstift Magdeburg. Der eine brauchte Geld zum Bau des Petersdoms, das Erzstift wollte Schulden tilgen. Dessen Herrschaftsbereich, zu dem Jüterbog bis 1635 gehörte, schob sich im Fläming wie ein Keil ins Land der märkischen Kurfürsten hinein.

Mystisches Mittelalter. Heiligenfiguren eines katholischen Altars in der St. Nikolaikirche.
Mystisches Mittelalter. Heiligenfiguren eines katholischen Altars in der St. Nikolaikirche.
© Bernhard Gutsche

Der Reformator hielt sich zwar so gut wie nie auf dem Gebiet des heutigen Landes Brandenburg auf, doch seine Schüler und Anhänger erschütterten auch dort die mittelalterliche Kirchenhierarchie langsam, aber gewaltig. In allen Einzelheiten überliefert ist vor allem der Kanzelstreit zwischen den Mönchen des Franziskanerklosters und den Lutherschülern. Beide Seiten zogen heftig übereinander her. Die lutherischen Pastoren waren in St.Nikolai als Stadtpfarrer angestellt, denn Jüterbogs Bürger und Ratsherren unterstützten schon sehr bald die Reformation. Dem Protestantismus flogen damals fast überall in der Region die Herzen zu, dennoch dauerte es noch über zwanzig Jahre, bis das Machtgefüge der Katholiken 1539 endgültig einstürzte. Damals führte der märkische Herrscher Joachim II. in seinem Land den evangelischen Glauben ein. Jüterbog war zu dieser Zeit zwar noch eine Enklave des streng katholischen Bistums Magdeburg, doch die Bewegung ließ sich auch dort nicht mehr aufhalten. Die Franziskaner stritten vergeblich: 1564 wurde ihr Kloster aufgelöst.

Heute macht die Stadt Furore mit dem Flämingskate

Kaum war der Religionszwist ausgetragen, da litt Jüterbog unter dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648). Pest, Überfälle und Feuersbrünste verwüsteten den Ort, 108 Jahre später brachte der Siebenjährige Krieg erneut Elend. Danach berappelte sich die Stadt, kam 1815 zu Preußen und entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einer der größten Garnisonsstädte Deutschlands. Noch zu DDR-Zeiten galt der Fläming als ödes Manövergebiet für die Sowjetsoldaten. Erst nach dem Mauerfall gelang die Wende. Jüterbog wurde liebevoll restauriert, nennt sich heute „Kulturhauptstadt des Fläming“ und macht Furore mit dem „Fläming-Skate“, einer mehr als hundert Kilometer langen schmalen Asphaltpiste, auf der man durch die Region radeln und skaten kann. Sport und Reformationsstudien lassen sich an einem Jüterbog-Wochenende bestens miteinander verbinden. Wie sang Loni Heuser 1941? „Jüterbog, das macht was her, den Ort mach’ ich noch populär!“

Die nächste Folge unserer Serie erscheint am Mittwoch, 10. Mai, im Tagesspiegel.

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