Flüchtlinge in Berlin: Die Bürger helfen, die Politik versagt
Der Berliner Senat ist dabei an der Flüchtlingspolitik zu scheitern. Das ist auch ein Ergebnis der unvollendeten Sparpolitik. Ein Kommentar.
Flüchtlingspolitik macht man in Berlin nach dem Modell Oranienplatz. Zur Erinnerung: Auf dem Kreuzberger Oranienplatz ließen sich im Herbst 2012 Frauen und Männer ungeklärter Herkunft nieder, um dort, eingeladen vom Bezirksbürgermeister, ein Zeltlager aufzubauen und gegen die deutsche und europäische Asylpolitik zu demonstrieren. Die Zustände waren bald so, wie sie sich jetzt vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) entwickeln: Man übernachtet in Behausungen, die von Radiatoren beheizt werden, man lebt von Spenden und Zuwendungen, man prallte auf eine Wirklichkeit, die nicht viel besser ist als das, was man in Ungarn oder anderen Hardcore-Abschnitten der Reise in ein besseres Leben mitbekommen hat. Deutschland mag bei vielen Flüchtlingen den Status eines idealen Zufluchtsorts bekommen haben – Berlin kann damit nicht gemeint sein.
Bürger mit großen Herzen mildern die schlimmsten Auswirkungen
Genau wie die grüne Bezirksregierung der Freizeitmetropole Friedrichshain- Kreuzberg ist auch der Berliner Senat dabei, an der Flüchtlingspolitik zu scheitern. Genau wie in dem kalten Wintercamp auf dem O-Platz mit seinen bald ins Kriminelle driftenden Begleiterscheinungen sind es Bürger, Leute mit großen Herzen, die die allerschlimmsten Auswirkungen eines Unterbringungsnotstands mildern. Doch wenn das „Refugeecamp auf dem O-Platz“ so etwas wie ein von den Flüchtlingen gewolltes, politisch geduldetes Symbol des Kreuzberger Politprotests gegen die europäische Asylpolitik gewesen ist, wirken die Zustände vor dem Lageso wie ein Ausdruck eines Verwaltungsversagens.
Bevor in der gesamten Berliner Politik nun das kollektive Greinen über die schlimmen Auswirkungen der gnadenlosen Sparpolitik des kaltherzigen und misanthropischen Ex-Finanzsenators Thilo Sarrazin losgeht, ist an zwei Faktoren zu erinnern. Erstens hat Sarrazin dem Berliner Politikbetrieb, bevor es ans Sparen ging, schlicht vorgerechnet, dass auch andere Städte regiert und verwaltet werden – allerdings mit erheblich weniger Personal. Sarrazins Vergleichstabellen steigerten die Sparbereitschaft der damals rot- roten Koalition aufs Äußerste.
Dann aber geschah – zweitens – etwas, das weder Sarrazin noch sein Vormann Klaus Wowereit zu verhindern wussten: Gespart wurde bei den Bezirken, kaum auf der Ebene der Senatsbürokratie. Eine Frage des Machtgefälles: Jede Senatorin, jeder Senator schützt die Hauptverwaltung und leitet Sparzwänge eher an die zweite Ebene weiter. Verwaltungsreformen hätten folgen müssen, kamen aber nicht.
Die Ergebnisse der unvollendeten Sparpolitik zeigen sich heute in den verschiedensten Behörden und am Lageso. Doch auch in Anbetracht dieses Berliner Behördenelends offenbart ein Blick über die Stadtgrenze Interessantes. Voll sind die Flüchtlingsunterkünfte überall – aber das Elend hat dort, wo die Leute zu Tausenden ankommen, in Bayern, längst nicht so bedrückende Ausmaße angenommen. An hilfsbereiten Bürgern kann es nicht liegen – die tun in Bayern wie in Berlin, was sie können.
Anders verhält es sich mit der Politik. Man kann den Senatoren unterschiedlicher Couleur, von Mario Czaja bis Dilek Kolat, durchaus abnehmen, dass sie mit der Verwaltung des Flüchtlingsnotstands enorm viel Zeit verbringen. Man muss ihnen auch zubilligen, dass Personalnotstände nicht von jetzt auf gleich zu beheben sind. Aber das Tempo, mit dem der Senat insgesamt reagiert (von agieren möchte man nicht sprechen), sagt einiges über die Willkommenskultur, auf die man sich hier so viel zugute hält. Die Suche nach einer zweiten Anlaufstelle zog sich über Wochen hin. Erst an diesem Dienstag, passend zum Bodenfrost, erklärt die Finanzverwaltung, man habe sich mit den Bezirken auf einen personellen „Sofortbedarf für den Themenkomplex Flüchtlinge im Umfang von 145 Stellen“ geeinigt. Wenn die Bezirksbürgermeister dies am Donnerstag abnicken, können die „Ausschreibungen“ beginnen. Wie man improvisiert, wie man den Betrieb beschleunigt, wird nicht wirklich diskutiert. Warme Decken gibt es genug.