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Die Teststelle im Virchowklinikum der Charité.
©  Jörg Carstensen/dpa

Kapazitäten für Coronavirus-Tests fehlen: Die Berliner Labore sind überlastet

Experten raten dazu, möglichst viele Menschen auf das Coronavirus zu testen. Doch die Labore geraten bei der Auswertung an ihre Grenzen.

Irgendwann überwiegen bei Rebecca Blome die Zweifel. Am Vortag hat sie ihre Eltern noch getroffen, jetzt zeigt sie Symptome. Hals- und Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Schlappheit. Coronavirus? Die App der Charité rät ihr zur ärztlichen Kontrolle, doch telefonisch erreicht sie – auch nach Dutzenden Versuchen – weder die Hotline der Gesundheitsverwaltung, noch den ärztlichen Dienst. Ihre Sorge wird immer größer. Auch nach Tagen in der Quarantäne geht es ihr nicht besser. Schließlich entscheidet sie sich, zu einer der Teststellen in der Stadt zu fahren.

Nur zehn Minuten nach Öffnung stehen dort bereits 70 Personen in einer langen Schlange, erzählt sie. „Ich hätte nicht mit so einem Andrang gerechnet“, sagt Blome. Einige Menschen hätten sich gar Klappstühle mitgebracht, sie sollen schon Stunden vor der Eröffnung gekommen sein. Szenen wie bei der Präsentation eines neuen Smartphones seien es gewesen, beschreibt die Ethnologin, die an der Freien Universität arbeitet. „Es waren kranke Menschen. Ich war schockiert, wie viel gehustet wurde.“ Die 34-Jährige stellt sich in die Schlange. Und wartet. Und friert. Stundenlang. Atemmasken und Infoblätter werden verteilt, doch sie reichen nur für ein paar der Wartenden.

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„Es waren nur zwei behandelnde Ärzte zu sehen“, sagt Blome. Nach vier Stunden habe sie eine Wartenummer ziehen und in ein beheiztes Zelt gehen dürfen. Aus Angst habe sie aber draußen weiter gewartet. Nach zwei weiteren Stunden sei sie schließlich an der Reihe gewesen – und nach einem kurzen Gespräch mit einem Arzt nach Hause geschickt worden. Ohne Test. Nach sechs Stunden. Sauer ist sie nicht. „Das ist ein strukturelles Problem, an den Krankenhäusern wurde ja jahrelang gespart.“

Die Kapazitäten reichen nicht aus

Was Rebecca Blome berichtet, erleben wohl viele Berliner in diesen Tagen. Beim Tagesspiegel häufen sich Berichte wie ihrer – und decken sich mit den Einschätzungen der Krankenhäuser: „Nicht immer, aber oft müssen wir leider auch Menschen nach Hause schicken, weil die Kapazitäten nicht ausreichen“, sagt eine Vivantes-Sprecherin. Wegen der hohen Nachfrage hatte der Krankenhausbetreiber am 19. März eine dritte Teststelle eröffnet. Wie viele Tests täglich durchgeführt und ins Labor geschickt würden, wolle man in Absprache mit der Gesundheitsverwaltung nicht öffentlich machen.

Anders bei der Charité, wo am 3. März auf dem Gelände des Virchow-Klinikums die erste Teststelle eröffnet worden war. „In der Charité-Untersuchungsstelle werden täglich rund 100 Abstriche genommen“, sagt ein Sprecher.

Bis zu fünf Tage, bis der Befund da ist

Im Spandauer Klinikum Havelhöhe steigt die Nachfrage nach Coronavirus-Tests. In der vergangenen Woche seien die Anfragen von 1844 auf 2360 gestiegen. “Die Corona-Ambulanz kann bis zu 250 Abstriche pro Tag vornehmen, sofern diese indiziert sind. Die Testkapazität ist jedoch in Berlin weiterhin stark limitiert, sodass es Befundverzögerungen durch die Labore von bis zu fünf Tagen gibt“, sagt der Klinik-Sprecher. Lesen Sie mehr zur Corona-Ambulanz in Berlin-Kladow (Bezirk Spandau) hier im Spandau-Newsletter, mit Grafik und Anfahrtsweg.

Hintergrund über das Coronavirus:

Tatsächlich scheinen die Labore das Nadelöhr zu sein. Vor zwei Wochen wurden in Berlins Laboren täglich 1850 Coronavirus-Tests ausgewertet – jedoch nicht nur aus Berlin. Das Maximum lag damals bei 2000 Tests pro Tag. „Hier arbeiten wir mit den Laboren an einer Ausweitung der Kapazitäten“, teilte die Gesundheitsverwaltung dem Tagesspiegel vor zwei Wochen mit. Seitdem scheinen nicht nur Labor- und Testkapazitäten an ihre Grenzen zu kommen. Die Gesundheitsverwaltung konnte auch nach drei Tagen keine aktuelleren Zahlen zu Tests und Laborkapazitäten liefern.

Experten raten: Testen, testen, testen

Dabei raten führende Experten, möglichst viele Menschen zu testen. Die Weltgesundheitsorganisation riet bereits vor Tagen: „Testen, testen, testen“. Denn je mehr Menschen getestet werden, desto weniger Infizierte bleiben unentdeckt und können damit unabsichtlich weitere Menschen anstecken. In Island, wo nur rund 350 000 Menschen leben, wurden bereits mehr als 10 000 Menschen getestet – gemessen an der Bevölkerungszahl die weltweit höchste Quote. Das Ergebnis: Jeder zweite Infizierte hatte keine Symptome gezeigt.

In Deutschland soll laut Robert-Koch-Institut hingegen nur getestet werden, wer Symptome hat (trockener Husten und Fieber zum Beispiel) und direkten Kontakt zu einem bestätigten Fall hatte, oder wer in den vergangenen 14 Tagen in einem vermeintlichen Risikogebiet war. Einen Test soll zudem erhalten, wer Symptome und eine Vorerkrankung hat oder wer mit Menschen arbeitet, die besonders anfällig sind.

FDP schlägt Drive-in-Schalter für Tests vor

Experten kritisieren das als unzureichend. Der Epidemiologe Stefan Willich sagte kürzlich im Tagesspiegel-Interview, dass in Deutschland nicht genug getestet werde. „Es wäre eine prioritäre Aufgabe aller Beteiligten, hier Kapazitäten zu schaffen. Ein gutes Monitoring ist die Grundvoraussetzung, um sukzessive wieder zu einer Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens zu kommen.“

Der Gesundheitsexperte der FDP, Florian Kluckert, fordert derweil eine Ausweitung der Test-Möglichkeiten. „Berlin braucht dazu unverzüglich – in Verbindung mit den Krankenhäusern und ambulanten Ärzten – sogenannte Drive-in-Schalter für Autos“. In Südkorea haben die Behörden gute Erfahrungen damit gemacht, inzwischen bieten auch Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Brandenburg entsprechende Teststellen an. Der Vorteil: Der Kontakt zu anderen Menschen wird minimiert. Drive-in-Schalter seien aber nur Ergänzungen, sagt Kluckert. „Wenn es nach mir ginge, würde jeder zu Hause getestet werden.“

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