Snowden Dokumentation Citizenfour: Die absurde Realität
Laura Poitras und Glenn Greenwald trafen im vergangenen Sommer in Hongkong auf einen jungen Mann, der sein Leben riskiert, um die Überwachungspraktiken der NSA öffentlich zu machen. Die Dokumentation über die ersten Tage mit Edward Snowden läuft nun im Kino.
Zwei Männer in einem Hotelzimmer in Hongkong. Der eine sitzt auf dem Bett, schwarzes T-Shirt, Dreitagebart, Brille. Gegenüber sitzt der andere in einem Sessel. Er stellt Fragen. Der Mann auf dem Bett hat einen konzentrierten Blick, er beantwortet die Fragen wie ein USB-Stick, der lange gespeicherte Daten abruft.
Der Mann im Sessel heißt Glenn Greenwald, er arbeitet für die britische Tageszeitung „The Guardian“. Der auf dem Bett ist Edward Snowden, ehemaliger Mitarbeiter Nationalen Sicherheitsbehörde der USA (NSA). Präzise und klar antwortet er auf Greenwalds Fragen. Anfang 2013 hatte er unter dem Decknamen Citizenfour (Staatsbürger Nummer vier) mit der Journalistin und Dokumentarfilmerin Laura Poitras Kontakt aufgenommen. Nun ist es Juni 2013. Snowden kann Beweise für die weltweite, massive Überwachung der NSA liefern.
Plötzlich klingelt das Zimmertelefon. Es ist nur die Rezeption, die sich nach dem Wohlbefinden des Gastes erkundigen wollte. Nach dem Telefonat zieht Snowden den Stecker. Er leidet nicht unter Paranoia, er weiß nur, dass solch ein Telefon problemlos abgehört werden kann. Snowden wollte, dass die ganze Welt von der Spionageaktion erfährt. Das hat er geschafft.
Der Dokumentarflilm zeigt Snowdens erste Begegnungen mit Greenwald und Poitras. In dem Hotelzimmer erzählt er alles, was Greenwald wissen will. Der Journalist soll entscheiden, was an die Presse kommt. Snowdens einzige Bedingung ist, dass weder seine Freundin, noch der Rest seiner Familie durch ihn in Gefahr gebracht wird. Die wissen zu dem Zeitpunkt weder, wo Snowden ist, noch, was er macht. Zu groß wäre das Risiko, dass ihnen etwas passiert. Er selbst hat keine Angst vor der NSA, das erwähnt er mehrmals. Poitras lässt die Kamera vom ersten Drehtag an fast durchgehend laufen.
Von Tag zu Tag wächst die Anspannung im Hotelzimmer. Snowdens Freundin berichtet, die NSA sei bei ihm zu Hause gewesen. Baufahrzeuge seien in seiner Straße aufgetaucht. Mit der Zeit wird man auch beim Zuschauen angespannt. Man muss genau aufpassen, um alles, was gesagt wird, mitzubekommen. Alle Szenen im Film sind original, nichts ist nachgestellt. Das hat eine unglaublich packende Wirkung. Es ist, als sei man mit den drei Personen in dem gleichen Zimmer.
Acht Tage dauert der Dreh im Hotelzimmer, ab dem dritten beginnt Greenwald, nach und nach Informationen zu veröffentlichen. In Snowdens Zimmer klingelt das Telefon bald ununterbrochen, sie ziehen in Lauras Zimmer um. Als die Presse Snowdens Aufenthaltsort ausfindig macht, muss er untertauchen. Wenn er in die USA zurückkehrt, droht ihm eine lange Gefängnisstrafe. Snowden rasiert sich, kämmt sich die Haare nach hinten und übt vor dem Spiegel, sein Gesicht hinter einem Schirm zu verbergen. Bald muss er abtauchen.
Beim Abspann kommt es mir vor, als sei die ganze Geschichte nur ausgedacht, so absurd und unvorstellbar wirkt sie an einigen Stellen. Edward Snowden lebt heute mit seiner Freundin in Russland. Er hofft, dass sich auch andere outen.
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David Friedeberg