Berliner Volksbegehren in der zweiten Phase: Deutsche Wohnen und Co. zu enteignen könnte günstiger sein als vom Senat geschätzt
Knapp 50.000 Unterschriften hat das Volksbegehren bislang gesammelt. Nun liefert Ex-Juso-Chefin Franziska Drohsel der Initiative neue Nahrung.
Aus ihrer Unterstützung für Ziel und Inhalt des Volksbegehrens "Deutsche Wohnen und Co enteignen" hat Franziska Drohsel nie einen Hehl gemacht. Ende Februar, die neue Landeschefin der Berliner SPD Franziska Giffey hatte Enteignungen soeben eine klare Absage erteilt, erklärte die ehemalige Bundeschefin der Jusos in der SPD: „Ich habe auf dem Parteitag für die Unterstützung der Initiative geworben und bin weiterhin sehr stark von deren Anliegen überzeugt." Sie werde "als Einzelgenossin" für die Initiative werben und Unterschriften sammeln, sagte Drohsel und konnte darauf zählen, in der traditionell linken Berliner SPD damit nicht allein zu sein.
Am heutigen Freitag gab Drohsel, selbst Verfassungsrechtlerin und politisch in der SPD Steglitz-Zehlendorf aktiv, den Initiatoren des Volksbegehrens und deren Unterstützern neue Nahrung. Gemeinsam mit dem Professor für Immobilienbewertung an der University of Applied Science in Frankfurt am Main, Fabian Thiel, hat sie ein Thesenpapier zur Diskussion um die Initiative „DW enteignen“ verfasst. Darin kommen beide zu dem Schluss, dass Enteignungen nach Artikel 15 Grundgesetz nicht nur möglich sind, sondern die Kosten eines solchen Vorgehens deutlich geringer sein könnten als bislang vom Senat geschätzt.
Möglich wird das, weil nach Auffassung von Drohsel und Thiel die bisherigen Eigentümer der Immobilien - nach dem Willen der Initiatoren sollen alle Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin enteignet werden - nicht zwingend nach dem Verkehrswert entschädigt werden müssen. „Ein pauschaler Verweis auf eine ‚Verkehrswertentschädigung‘ ist eine unzulässige, systemwidrige Vereinfachung, die weder in der Sache gerechtfertigt noch verfassungsrechtlich gefordert ist“, heißt es in dem Papier der beiden, das dem Tagesspiegel vorliegt.
Weder das Verfassungsrecht noch das Europarecht verlange eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswerts bei gemeinnützigen Enteignungen, schreiben die beiden weiter. Sie kommen zu dem Schluss, "dass es sowohl hinsichtlich des Ausmaßes und der Art der Entschädigung einen erheblichen Spielraum des Gesetzgebers für eine Sozialisierungsentschädigung gibt, die sich in Art und Ausmaß vollständig von der Enteignungsentschädigung emanzipiert."
Derzeit ist unklar, ob es überhaupt zu einem Volksentscheid und damit - im Falle eines Erfolgs für die Initiative - zu Enteignungen in Berlin kommen wird. Diese wären per Grundgesetz zumindest theoretisch möglich. Die Opposition aus CDU, FDP und AfD kämpft entschlossen dagegen, die SPD lehnt sie mehrheitlich ab, Grüne und Linke sind mehr oder minder entschieden dafür. Einer von der CDU in Auftrag gegebenen Umfrage aus dem Februar zufolge lehnt eine knappe Mehrheit von 51 Prozent aller Berliner:innen die Enteignung der größten Wohnungsbauunternehmen ab.
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Klar ist: Mit der Analyse bestätigen Drohsel und Thiel die Rechtsauffassung der Initiatoren des Volksbegehrens. Diese hatten bereits im März 2019 erklärt, die Enteignungen könnten "haushaltsneutral" ausfallen und schätzen die Kosten auf bis zu acht Milliarden Euro.
Aktuell läuft die Unterschriftensammlung der zweiten Phase des Volksbegehrens. Von den rund 175.000 benötigten Unterschriften waren Ende März nach Angaben der Initiative knapp 50.000 gesammelt worden. Die Aktion läuft noch bis zum 25. Juni. Wird das Quorum erfüllt, können die Berliner:innen parallel zur Abgeordnetenhauswahl am 26. September über die Initiative abstimmen.
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