Demonstrationen am 1. Mai: Der Wonnemonat begann friedlich
Die Polizei zieht eine positive Bilanz des 1. Mai – die Autonomen tun es auch. 72 Demonstranten wurden festgenommen, 32 Beamte leicht verletzt.
Nur Sieger nach dem 1. Mai. Polizei und Innensenator sind zufrieden, und die Autonomen sind es offenbar auch. „Berlin hat gefeiert und demonstriert, so wie ich es mir wünsche. Zahlreich, gelassen und friedlich. Die Menschen haben keine Lust mehr auf Steineschmeißer und dumpfe Gewalt“, sagte Andreas Geisel (SPD), der erstmals einen 1. Mai als Innensenator bewältigen musste. Das Revolutionsbündnis twitterte: „Die Demo war ein Ausdruck von #selbermachen. Nehmt die Energie von heute mit in die Alltagskämpfe.“
72 Demonstranten nahmen eine Strafanzeige in den Alltag mit, sie verbrachten die Nacht in der Gefangenensammelstelle. 72 Festnahmen sind deutlich mehr als in den beiden Vorjahren, dies ist kein Zeichen besonderer Militanz, sondern der Stärke der Polizei: Die Beamten hatten trotz der heiklen Gemengelage genügend Kräfte, erkannte Straftäter aus der Menge zu holen und abzuführen. Zum Vergleich: 1989, als es die „schwersten Ausschreitungen seit dem Krieg“ (Tagesspiegel am 3.5.1989) gab, waren 16 Randalierer festgenommen worden.
Über 10.000 Demonstranten zogen durchs Myfest
Mit mehr als 10.000 Menschen zog die „Revolutionäre Demo“ am Montag ab 18.30 Uhr hochaggressiv durchs Myfest und dann durch Neukölln; vielfach wurden Böller und Pyrotechnik gezündet. Der in der Szene unbeliebte SPD-Politiker Tom Schreiber wurde von einigen Demonstranten attackiert, er blieb aber unverletzt. Die Demo war wie berichtet nicht bei der Polizei angemeldet. Und obwohl nach internen Polizeizahlen 300 „rote“ Autonome (zur Gewalt entschlossen) und 800 „gelbe“ (gewaltgeneigt) vermummt an der Spitze liefen, gab es – anders als in den Vorjahren – keine koordinierten Aktionen, hier flog eine Flasche, da mal ein Stein. Als der Aufzug seinen Endplatz am Spreewaldplatz erreichte – passierte nichts.
Im bereits sehr friedlichen Jahr 2016 hatte es zum Abschluss der 18-Uhr-Demo noch einen mehrminütigen Flaschen- und Steinhagel auf Polizisten gegeben. In diesem Jahr fiel auch dieser aus, die vielen leer getrunkenen Bierflaschen blieben auf dem Boden liegen. Die Demonstranten versickerten regelrecht in der Masse der Feiernden. 32 Beamte wurden leicht verletzt, so wenige wie seit 2005 nicht mehr. Unter den Festgenommenen sind überwiegend Berliner, „Berlin ist nicht mehr das Reiseziel Nummer eins für Chaoten“, sagte Einsatzleiter Wulff. Auch in der Nacht gab es keine Vorkommnisse, eine Sachbeschädigung wurde angezeigt. Andreas Geisel darf sich also über den friedlichsten 1. Mai seit Langem freuen. Zuvor hatte er angekündigt, die unter Vorgänger Ehrhart Körting (SPD) entwickelte und von CDU-Mann Frank Henkel fortgesetzte Taktik zu übernehmen. Mit Polizeipräsident Klaus Kandt sei er sich da einig, sagte Geisel. Kandt ergänzte: „Der Senator mischt sich nicht in fachliche Dinge ein.“
Opposition kritisiert Tolerierung von Gesetzesverstoß
Dies übernahmen die Oppositionsparteien CDU, AfD und FDP. Sie kritisierten, dass der Gesetzesverstoß der Nichtanmeldung der 18-Uhr-Demo einfach so toleriert worden sei. Dem widersprachen Kandt und Geisel energisch: „Ohne Eskalation wäre der Aufzug nicht zu verhindern gewesen“, sagte Kandt. Und legte nach: „Die Eskalation wäre sicher im Sinne einiger Demonstranten gewesen.“ Senator Geisel betonte, dass es keine Rechtsgrundlage gegeben habe, die Demo aufzulösen. Wie die Polizei anders hätte agieren sollen, dazu schwiegen die drei Parteien. Eine Debatte im Innenausschuss steht dennoch bevor.
Taktisch hatte die Polizei auch keine Alternative. Denn es ist nicht zu verhindern, dass Menschen in ein Fest einsickern, um eine Demo zu starten. Innerhalb des deutlich leereren Myfests gab es keine Probleme mit der Demo, an der Hochbahn wartete dann die Polizei.
Sicherheitsbehörden sehen eine massive Niederlage der Szene. „Wenn sie es angesichts des 30. Jahrestages der Krawalle von 1987 und dem G-20-Gipfel nicht schafft, den Funken zu zünden, dann wird sie es nie mehr schaffen in Berlin“, sagte ein Spitzenbeamter. Auch nach Kandts Einschätzung hatte G 20 keinen Einfluss auf das Berliner Geschehen.