Record Store Day: Der Vinyl-Erfolg zieht auch Spekulanten an
Am Samstag nehmen weltweit 3000 Plattenläden am internationalen Record Store Day teil. Doch nicht alle feiern mit. Einige Berliner Händler boykottieren die Aktion.
Musik hat heute keine Gestalt mehr. Sie ist ein elektronischer Funke im digitalen Gewitter der Streaming-Dienste. Die Musikgeschichte der Menschheit ist auf einem Klick verfügbar. Zu jedem Zeitpunkt, an jedem Ort. Ein kultureller Luxus, sagen die einen, die absolute Überforderung, die anderen. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen man sich in lauschiger Atmosphäre stundenlang durch Plattenkisten wühlte. Die Beratung des Händlers erledigen heute Algorithmen.
Doch 2007 wollten US-amerikanische Plattenhändler diesem Trend etwas entgegensetzen. Wenigstens an einem Tag sollten die Menschen wieder in den lokalen Plattenladen gelockt werden. Als Anreiz winkten exklusive Veröffentlichungen und Konzerte. Es war die Geburtsstunde des Record Store Days.
Was klein begann, ist heute ein globales Phänomen. Auf allen Kontinenten nehmen zum zehnjährigen Jubiläum über 3000 Plattenläden am weltweit größten Musikevent teil. Allein in Deutschland werden 500 Schallplatten-Editionen exklusiv am 22. April veröffentlicht – streng limitiert und nur an diesem Tag bei den teilnehmenden Läden erhältlich.
Vinyl is back
Die Bewahrung des Kulturguts Schallplatte scheint gelungen: Vinyl ist zurück. Im Vorjahr wurden hierzulande mehr als drei Millionen Tonträger verkauft. Das ist eine Steigerung um 50 Prozent gegenüber 2015. Die Verkaufszahlen sind so hoch wie seit 1992 nicht mehr, als die großen Musikvertriebe die Schallplatte offiziell für tot erklärten. Selbst große Elektronik-Fachmarktketten haben die schwarzen Scheiben wieder im Sortiment.
Beteiligen dürfen sich diese am Record Store Day aber nicht. Nur unabhängige Plattenläden werden offiziell zugelassen. Die Teilnahme ist lukrativ: Manche Ladenbesitzer verkaufen bis zum Nachmittag mehr Tonträger als im gesamten Weihnachtsgeschäft. Trotzdem wenden sich immer mehr Berliner Händler ab.
Manche Plattenhändler wollen nicht mitwirken
Dazu gehört auch der Plattenladen OYE-Records in Prenzlauer Berg. Geschäftsführer Markus Lindner entschied sich im vergangenen Jahr gegen eine erneute Mitwirkung: „Es geht immer weniger um die Musik und immer mehr um das Geschäft. Die eingeschlagene Richtung hat nichts mehr mit unabhängiger Vinylkultur zu tun.“ Sein Stammpublikum bleibe an diesem Tag dem Laden fern. Zu unerträglich sei die Preistreiberei. Manche Schallplatten musste er für 50 Euro verkaufen. Die Vertriebe gaben es so vor.
Mittlerweile habe sich eine regelrechte Spekulationsblase um den Record Store Day gebildet. Geschäftemacher erschienen frühmorgens und kauften die Sondereditionen auf, um sie kurz darauf für ein Vielfaches weiterzuverkaufen. Für solche Praktiken hat Lindner kein Verständnis: „Selbst Leute, die auf Schweinehälften spekulieren, sind nicht so abgebrüht wie die Spekulanten von Schallplatten.“
Doch Geschäft ist Geschäft. Das gilt auch für jene Branchengrößen, die einst das Ende der Schallplatte einläuteten: Sie sind nun offizielle Werbepartner. Massenhaft produzieren sie Wiederveröffentlichungen jahrzehntealter Alben von Led Zeppelin oder den Rolling Stones. Kleine Labels und Künstler haben es hingegen schwer, auf sich aufmerksam zu machen. Lindner berichtet, dass die Großaufträge der Marktführer monatelang die Presswerke blockieren: „Neue und spannende Musik bleibt zunehmend außen vor.“
Teil der Technoszene boykottiert den Tag
Auch die Berliner Technoszene geht zunehmend auf Distanz. Das Musiklabel Innervisions, bei dem Szenegrößen wie Âme, Dixon und Hendrik Schwarz veröffentlichen, boykottiert den Record Store Day. Ein Mitarbeiter führt als Grund die unüberblickbare Flut an Veröffentlichungen an. Man wolle selbst entscheiden, wann eine neue Platte rauskommt.
Die Veranstalter des Record Store Days verteidigen ihre Idee: Der Tag sei nie für unabhängige Musiklabels, sondern für unabhängige Plattenläden konzipiert worden. Dass in Berlin das Kulturkaufhaus Dussmann teilnimmt, scheint dabei kein Widerspruch zu sein.
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