Infrastrukturminister über das Tesla-Werk: „Der Verkehr um die Gigafactory bricht nicht zusammen“
Infrastrukturminister Guido Beermann über Tesla-Mitarbeiter, wie sie nach Grünheide kommen und wie der Verkehrsinfarkt verhindert werden soll. Ein Interview.
In Grünheide wird in Giga-Geschwindigkeit gebaut und er muss den Verkehr regeln: Guido Beermann, 55, CDU-Mitglied, ist seit November 2019 Minister für Infrastruktur und Landesplanung. Er ist dafür zuständig, dass die neue Fabrik von Tesla in den Brandenburger Nah- und Fernverkehr integriert wird.
Bis 2015 war Beermann Wirtschaftsstaatssekretär in Berlin, bis zu seinem Wechsel nach Brandenburg 2019 war er Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel redet der CDU-Politiker über einen möglichen Verkehrsinfarkt für die Region rund um Grünheide, seine Zuversicht für die Region und den längsten Fußgängertunnel Brandenburgs.
Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal auf der Baustelle der Tesla-Gigafactory?
Im Sommer. Zuletzt habe ich mir kürzlich den nahen Bahnhof Fangschleuse angesehen, der ziemlich entscheidend für die Anbindung der Fabrik ist. Ich fahre natürlich öfter an der Baustelle vorbei, wenn ich im Land unterwegs bin. Die Geschwindigkeit, wie dort eine der wichtigsten Ansiedlungen für Deutschland realisiert wird, ist atemberaubend.
Die Anpassung der Infrastruktur erfolgt deutlich langsamer. Droht zum Start im Sommer 2021 der Verkehrskollaps?
Der Verkehr um die Gigafactory wird nicht zusammenbrechen, weder am Anfang noch später. Ich halte die Sorgen für übertrieben.
Es geht um 12 000 Mitarbeiter, 1200 Lkw am Tag. Warum sind Sie da so gelassen?
Es gerät ja manchmal etwas in den Hintergrund: Der Standort der Gigafactory hat bereits jetzt eine hervorragende Anbindung, direkt an der Autobahn, mit der nahen Ost-West-Schienenverbindung Berlin-Frankfurt (Oder)-Polen. Er war, als das Areal als Industriegebiet ausgewiesen wurde, ja damals schon für eine Automobilfabrik vorgesehen. Aber klar ist, dass die Anbindung auf Straße und Schiene angepasst werden muss, kurzfristig, und mittelfristig dann parallel zum Wachsen der Fabrik. Und das wird getan, wir arbeiten auf Hochtouren daran, im Austausch mit Tesla und allen Beteiligten.
Was passiert sofort?
Für die Gigafactory wird es kurzfristig eine bessere Anbindung an die Autobahn geben, mit einer neuen temporären Auffahrt, die ab Januar gebaut wird, rechtzeitig vor dem Start: Die Autobahnzufahrt wird funktionieren. Das weitere Straßennetz im Werk ist Sache von Tesla.
Stimmt es, dass parallel zum Start auf dem Berliner Ring zwischen Freienbrink und Erkner die Betonkrebs-Sanierung läuft?
Ja, das trifft zu. Dieser Abschnitt wird 2021 saniert.
O Gott, da können Sie noch ruhig schlafen?
Wir haben uns den Betonkrebs-Befund nicht ausgesucht. Diese Sanierung ist nötig. Es ist auch für die Gigafactory besser, das so schnell wie möglich zu tun. Denn das erste Auto wird Mitte 2021 nicht gleich von 12 000 Mitarbeitern zusammengeschraubt werden. Es wird sich eine Weile hinziehen, bis die Produktion hochfährt. Genau deshalb haben wir nicht versucht, diesen Abschnitt noch zwei oder drei Jahre nach hinten zu schieben: Wir ziehen das jetzt durch.
Einige Tausend Menschen müssen demnächst nach Grünheide zur Arbeit, jeder Zweite aus Berlin. Wie kommen die Tesla-Mitarbeiter zum Werk?
Wir setzen vor allem auf den Öffentlichen Nahverkehr. Eine Schlüsselrolle wird der Regionalexpress 1 spielen, der seit letztem Wochenende alle halbe Stunde am Bahnhof Fangschleuse hält, nicht mehr nur ein Mal pro Stunde.
Aber der Bahnhof ist zwei, drei Kilometer vom Tesla-Areal entfernt.
Sicher wird Tesla einen Bus-Shuttle zwischen dem Bahnhof Fangschleuse und dem Werk einrichten. Auch vom Bahnhof Erkner, wo S-Bahnen ankommen, sollen Busse zur Gigafactory fahren. Man darf das nicht nur eindimensional betrachten, es läuft immer auf einen Mix heraus. Man kann Verkehrsströme entzerren, indem man zum Beispiel die Schichtwechsel so legt, dass sie nicht mit der normalen Rushhour zusammenfallen. Man kann Rücksicht auf die bestehende Belastung des Verkehrs nehmen. Da sind intelligente Lösungen gefragt.
Erkner ist in Stoßzeiten schon jetzt dicht.
Es stimmt, Erkner hat heute schon eine belastete Verkehrssituation. Wir haben das im Blick und behalten das im Blick. Ich setze darauf, dass der RE1 viel auffängt, dass es sich ausbalanciert. Es gibt Überlegungen, von Erkner zur Gigafactory eine Fahrradtrasse zu bauen. Das ist auch ein Wunsch von Tesla, wir unterstützen das. Am Radverkehrskonzept arbeitet eine Arbeitsgemeinschaft unter Leitung des Landkreises Oder-Spree.
Tesla will in Grünheide schnell wachsen, Elon Musk hat gleich noch die weltgrößte Batteriezellenfabrik angekündigt. Wie will man da mit dem Verkehr Schritt halten?
Das Grundkonzept steht mit dem Beschluss des geänderten Bebauungsplans durch die Gemeinde. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um die Verkehrsanbindung auf die Erfordernisse der nächsten Jahrzehnte anzupassen, auf die Endausbaustufe, wo einmal vielleicht rund 40 000 Menschen hier arbeiten werden.
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Der B-Plan geht von diesem Endszenario aus. Wir können ja bei Straße und Schiene nicht alle paar Jahre nachjustieren. Es geht immerhin um eine Dimension wie Ingolstadt oder Sindelfingen. Ich möchte daran erinnern, dass erst vor einem Jahr der Startschuss für das Projekt gegeben wurde.
Was ist konkret geplant?
Mit dem B-Plan gibt es Planungsrecht für den Ausbau der L38, der jetzigen Zufahrt, aber auch für die geplante neue Landesstraße L383 im Norden parallel zu den Schienen, die für den Ringschluss um das Werk benötigt wird. Das wiederum hängt mit der geplanten neuen regulären Autobahnabfahrt zusammen. Der Antrag dafür ist am 30. November beim Bundesverkehrsministerium abgegeben worden. Dafür ist allerdings ein Planfeststellungsverfahren nötig.
Wäre es sinnvoll, gleich den Berliner Ring auszubauen, achtstreifig, zehnstreifig?
Er hat ja schon sechs Fahrbahnen. Natürlich prüfen wir im Zusammenhang mit der neuen Anschlussstelle, welcher Ausbau der A10 hier notwendig ist.
Wie geht es auf der Schiene weiter?
Vorrang hat die Verlegung des Bahnhofs Fangschleuse, der circa eineinhalb Kilometer nach Westen rückt, unmittelbar an den künftigen Haupteingang des Werksgeländes heran. Mit dem B-Plan kann das weiter vorangetrieben werden.
Wann wird der Bahnhof verlegt sein?
Ein Termin lässt sich noch nicht seriös sagen, da umfangreiche Planungen notwendig sind. Die Bahntochter Station & Services ist damit beauftragt, derzeit wird die Konzeption erarbeitet. Es geht um eine konzertierte Aktion.
Dabei wird der größte Fußgängertunnel Brandenburgs geplant, 60 Meter lang, 25 Meter breit, wie jüngst Ihr Staatssekretär Rainer Genilke im Landtag sagte.
Es liegt auf der Hand, dass auch der neue Bahnhof auf den Endausbau ausgerichtet sein muss. Die Leute müssen rüber zum Werk. Es ist gut, wenn man das mal plastisch macht, einen Einblick in die Werkstatt gibt. Es geht aber nicht nur um den Bahnhof, sondern auch um Übergabegleise für Güterzüge, da Tesla einen wesentlichen Teil seiner Transporte auf der Schiene abwickeln will. Das ist alles wirklich sehr komplex, sehr kompliziert. Es geht darum, die Anbindung der Gigafactory aus einem Guss zu planen. Ob es Zwischenstufen geben kann, wissen wir derzeit noch nicht. An einem Tunnel, der alle zukünftigen Gleise unterquert, werden wir allerdings nicht vorbeikommen.
Tesla will einen Shuttlezug von Erkner zum Werk fahren lassen. Klappt das?
Diese Überlegung steht im Raum, auf der Schiene einen Shuttle von Erkner über das vorhandene Gleis direkt aufs Werksgelände fahren zu lassen, in Regie von Tesla. Ich weiß, dass Tesla Gespräche mit der Deutschen Bahn führt, um das zu klären.
Ab 1. Januar 2021 wird der Bund für die Autobahnen zuständig sein, mit einer neuen Firma, an die Brandenburgs Landesbetrieb Straßenwesen Personal abgibt. Drohen jetzt Engpässe bei Planungen für das Tesla-Umfeld, ja für das Land?
Nein, obwohl man als Infrastrukturminister ja nie genug Geld und Personal haben kann (lacht). Es ist uns gelungen, trotz der schwierigen Haushaltslage in der Corona-Krise die Kapazitäten beim Landesbetrieb zu halten und zu ergänzen. Bei Bedarf kaufen wir auch Leistungen ein, beauftragen Büros.
Müssen sich andere Regionen Sorgen machen, dass jetzt der Landesbetrieb mit dem kompletten Tesla-Umfeld gebunden ist?
Nein. Wir haben das ganze Land im Fokus. Da meine ich das Ministerium, den Landesbetrieb und das Landesamt. Wir kümmern uns nicht nur um das Tesla-Umfeld oder den Strukturwandel in der Lausitz, wo die Diskussion ja ähnlich geführt wird, sondern um alle Regionen.
Die Gigafactory wird die gesamte Region verändern. Wie wird gewährleistet, dass kein Wildwuchs und damit Frust entsteht?
Wir können und wollen nicht alles dem Selbstlauf überlassen, im Gegenteil: Gemeinsam mit 22 Städten und Gemeinden ringsum, mit den Landkreisen, aber auch dem Berliner Bezirk Treptow-Köpenick haben wir uns auf den Weg gemacht, ein Umfeld-Entwicklungskonzept zu erarbeiten. Der Entwurf soll im März 2021 vorliegen. Derzeit werden Daten zusammengetragen, Gutachten erstellt. Das Lastenheft wird gut abgearbeitet.
Dennoch, Oder-Spree-Landrat Rolf Lindemann mahnt regelmäßig größeres Engagement und Tempo des Landes an.
Es ist wichtig, dass Sorgen artikuliert werden. Wir nehmen das auf, sind natürlich in engem Kontakt mit dem Landrat.
Der Kreis rechnet im Sog der Gigafactory mit massivem Zuzug. Wo sollen die Leute denn hinziehen?
Wir haben in Deutschland hervorragende Erfahrungen mit dem Subsidiaritätsprinzip, nach dem Probleme möglichst von der Ebene angepackt werden, die am nächsten dran ist. Und das sind hier die Kommunen, die vor Ort die Potenziale am besten kennen, die selbst entscheiden, wie sie sich entwickeln wollen.
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Das ist kein Wegschieben von Verantwortung. Es ist ein Irrglaube, dass man das im Umfeld einer Gigafabrik plötzlich zentralistisch angehen sollte. Das hat mit der Lebensrealität, mit der Verfasstheit unserer Gesellschaft wenig zu tun. Das Land ist gefordert, den Rahmen zu setzen. Und das tun wir.
Es ist die größte Ansiedlung Ostdeutschlands seit 1990. Muss der Landesentwicklungsplan für die Hauptstadtregion wegen der Gigafactory angepasst werden?
Das sehe ich derzeit nicht. Im regionalen Umfeld der Gigafabrik gibt es ausreichend Potenzial für neue Wohnungen, im Rahmen der bisherigen Bebauungspläne und des Landesentwicklungsplans.
Worauf stützt sich dieser Befund?
Die Experten meines Hauses haben das für alle Orte sehr kleinteilig analysiert, klassifiziert und mit den Bauämtern gegengecheckt: In den Orten der Region zwischen Treptow-Köpenick und Frankfurt (Oder) – also im Einzugsbereich der Fabrik – gibt es danach 600 Hektar kurzfristig bebaubare Wohnbaufläche, ein Potenzial für 29 000 neue Wohneinheiten, vom Einfamilienhaus bis zum mehrgeschossigen Mietshaus. Das ist kein Wünsch-Dir-Was, sondern die Realität.
Welche Gemeinden wachsen rasant?
Wie sich das verteilt, wird sich zeigen. Das liegt zum einen in Hoheit der Kommunen. Zum anderen entscheiden die Leute am Ende immer noch selber, wo sie leben wollen. Man kann niemanden zwingen, irgendwohin zu ziehen.
In Ostbrandenburg müssen gar nicht sofort großflächig neue Wohngebiete geplant werden?
Nein, Aktionismus ist fehl am Platze. Das alles kann wachsen. In der Tesla-Fabrik werden sicher auch viele Menschen aus der Region arbeiten. Nach unseren Analysen werden etwa 50 Prozent der Menschen, die bei Tesla arbeiten werden, aus dem regionalen Bestandsarbeitsmarkt kommen. Wer aus Berlin-Schöneberg, Wriezen oder Frankfurt (Oder) kommt, braucht keine neue Wohnung, der zieht eher nicht um. In der Automobilbranche sind auch Fernpendler nicht unüblich.
Wo muss Tesla auch noch Hausaufgaben machen?
Wichtig ist, dass Tesla uns in Echtzeit mitnimmt, wie das Werk konkret aufgestellt wird. Das ist für die Entscheidungen nötig, wie man die Planungen für die Infrastruktur konkret aufsetzt. Es ist wichtig, dass man im ständigen Austausch bleibt. Auch dafür haben wir funktionierende Strukturen geschaffen.
Sie sind Verkehrsminister. Wann fährt die Fahrzeugflotte Ihres Bereiches elektrisch?
Derzeit wird die Anschaffung von Dienstwagen in Brandenburg zentral gesteuert. Aber der Weg zeigt auch hier in Richtung E-Mobilität. Ich fahre immerhin schon einen Hybrid als Dienstwagen, mein nächster Wagen fährt voll elektrisch.