Probleme von BVG und Deutscher Bahn: Der tägliche Wahnsinn im Berliner Nahverkehr
Bahnen fehlen, überall Baustellen, Touristen. Das Verkehrschaos ist in den Ferien noch größer, die Bahnen noch voller. Alles hausgemacht, sagen Kritiker.
Mittwochmorgen im U-Bahnhof Senefelderplatz: Keine Bahn der Linie U2 steht zur gewohnten Zeit im Gleis. Und die nächste kommt laut Anzeigetafel erst in sechs Minuten. Dabei gilt hier im morgendlichen Berufsverkehr eigentlich der Vier-Minuten-Takt. Und der ist auch nötig. Als die U-Bahn nach Ruhleben schließlich kurz nach halb neun einfährt, sind wie befürchtet alle Waggons dicht gefüllt. Zwar gelingt es den meisten Wartenden irgendwie, sich noch in die Bahn zu quetschen. Doch am Alex geht dann nichts mehr. Eng an eng stehen die Fahrgäste im Zug, draußen ist der Bahnsteig trotzdem noch voll, mindestens 200 BVG-Kunden kommen nicht mehr mit. Fluchen auf die BVG, den Senat und jene, die „da drinnen nicht richtig zusammenrücken“. Selbst am Potsdamer Platz, sonst großer Umsteigebahnhof und Atempause in der U2, bleibt die Bahn brechend voll, die Stimmung ist entsprechend gereizt. „Vielleicht liegt es an den Brandenburgern, die heute Feiertag haben und alle zum Shoppen nach Berlin kommen“, sagt eine Frau. Ihr Nachbar widerspricht: „Nee, am Montag und Dienstag war es schon genauso. Da kann nicht nur der Reformationstag schuld sein.“
War er aber doch oder zumindest ein Teil des Problems, sagte BVG-Sprecherin Petra Reetz am Mittwoch auf Anfrage des Tagesspiegels: „Es kamen schon immer viele Brandenburger am für sie freien Reformationstag nach Berlin, aber diesmal war der Andrang unglaublich. Vielleicht lag es am schönen Wetter oder der Eröffnung der East Side Mall.“
„Die U-Bahn befindet sich in der größten Krise nach der Wiedervereinigung“
Dass die U-Bahnen in den Ferien in größeren Abständen verkehren, sei hingegen immer so, fügte die BVG-Sprecherin hinzu. „Da gilt der sogenannte Ferien-Fahrplan.“ Außerdem werde in dieser Zeit generell gebaut, auch bei der Bahn und S-Bahn. „Am Mittwochmorgen kam aber noch hinzu, dass wir drei Züge aus dem Verkehr nehmen mussten, weil sie mit Graffiti beschmiert worden waren und zwar an den kritischen Stellen, sodass sie keine Warnsignale mehr abgeben konnten“, sagte Reetz.
Auf solche Begründungen reagiert Jens Wieseke inzwischen allergisch. „Die U-Bahn befindet sich in der größten Krise nach der Wiedervereinigung“, klagt der Sprecher des Berliner Fahrgastverbands Igeb: „Und eine der verantwortlichen Politikerinnen, die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, erklärte unlängst vor laufender Kamera, dass daran die Graffiti-Sprayer schuld seien.“
In Wahrheit habe man in den vergangenen Jahren noch unter Finanzsenator Sarrazin, versäumt, genügend Personal auszubilden, vor allem aber genügend neue U-Bahnen zu bestellen, sagt Wieseke: „Das müssen die Berliner nun ausbaden, das ist das Kernproblem und nicht die Graffiti oder die Bauarbeiten, die ja gemacht werden müssen.“
Muss da wirklich überall zur gleichen Zeit gebaut werden?
Allerdings finden diese gerade in einem Ausmaß statt, das Reisen nicht gerade angenehm macht. So gibt es, wie Bahnsprecher Burkhard Ahlert bestätigt, unter anderem Behinderungen im Regionalverkehr auf den wichtigsten Linien von Frankfurt (Oder) nach Magdeburg und von Cottbus nach Wismar beziehungsweise Wittenberge. Auch da müssen viele Pendler zur S-Bahn oder BVG wechseln. Und auch im Fernverkehr fallen selbst ICE-Züge aus, die sonst bis Ostbahnhof oder Lichtenberg fahren, nun aber in Spandau oder Berlin-Hauptbahnhof enden.
Muss da wirklich überall zur gleichen Zeit gebaut werden? Und ist das tatsächlich von der Verkehrslenkung, die so etwas koordiniert, genehmigt? „Wir sprechen seit Jahren spöttisch von Verkehrslähmung“, sagt Jens Wieseke. „Aber das größere Problem ist wirklich, dass weder die BVG, noch die Verkehrssenatorin oder die Wirtschaftssenatorin die Krise bei der U-Bahn anerkennen und endlich einen Fahrplan aufstellen, der den Realitäten entspricht und auch eingehalten werden kann. Dann könnte man wenigstens damit umgehen und Prioritäten setzen.“
Auch der Fahrgastverband wisse schließlich, dass man in Sachen neues Personal und neue Züge keine Wunder vollbringen könne, meint der Igeb-Sprecher: „Aber so zu tun, als gebe es die Krise gar nicht, muss irgendwann in einem Desaster enden.“
Die BVG ist jeden Tag froh, wenn sie über die Runden kommt
BVG-Sprecherin Reetz widerspricht. Zu wenig Personal habe man definitiv nicht. Und man wisse in ihrem Unternehmen sehr wohl, dass in der Vergangenheit zu wenig neue Bahnen bestellt wurden, sagt sie. Aber das habe man nachgeholt. Es dauere allerdings noch bis 2020/21, dann kämen die neuen Bahnen. Und schon jetzt nutze man Züge, die eigentlich nur für Kleinprofil-Strecken bestimmt seien, durch leichte Umrüstung auch für andere Linien. „Es ist richtig, dass wir jeden Tag froh sind, wenn wir über die Runden kommen“, sagt Reetz. „Aber spätestens im Sommer nächsten Jahres müsste es zu einer ersten Entspannung kommen.“
Bis dahin müssen die Fahrgäste wohl noch durchhalten, auch wenn der sogenannte Dichtestress noch stärker wird. Das Phänomen beschreibt die psychischen Belastungen durch zu viele Individuen pro Fläche. In der Berliner U-Bahn, vielleicht auch im gesamten Berliner Nahverkehr, ist eine kritische Grenze sicher schon überschritten.