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War doch nur halb so wild? Berlins Wahlleiterin Petra Michaelis verteidigt sich gegen Kritik.
© Christoph Soeder/dpa

Nach dem Wahlchaos in Berlin: Der Rücktritt der Wahlleiterin ist fällig

Die Liste der Wahlpannen, die auf das Konto von Petra Michaelis gehen, war schon vor dem Superwahl-Sonntag lang. Jetzt reicht es. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Julius Betschka

Sie hatte nichts gesehen, nichts gehört: Landeswahlleiterin Petra Michaelis konnte erstmal nicht zur Klärung beitragen. Sie sprach von „vermeintlichen Fehlern“ bei der Wahl am Sonntag und sagte, man müsse jetzt „erstmal analysieren“.

Längst aber ist klar: Menschen wurden in einzelnen Wahllokalen nach Hause geschickt und konnten nicht wählen, Stimmzettel lagen in den falschen Wahlbezirken aus, Wähler:innen gaben ihre Stimmen noch weit nach 18 Uhr ab.

Michaelis geht davon aus, dass auch diese Menschen „unbeeinflusst“ gewählt haben. Ein kommunikativer Offenbarungseid. Die Superwahl allein kann für die Fehler keine Entschuldigung sein: Auch in Mecklenburg-Vorpommern fanden Landtags- und Bundestagswahlen statt. Ohne Chaos.

Das spricht für schwere Planungsfehler. Verantwortlich will aber niemand sein, wie so oft in Berlin.

Am Dienstag erklärte also Senatskanzleichef Christian Gaebler (SPD), warum die Fehler gar nicht so schlimm seien. Bei so einer Superwahl mit tausenden Wahllokalen, da würden eben Dinge schiefgehen. Alles halb so wild.

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Und, natürlich, trage der Senat auch keine Verantwortung für die Fehler. Man sei nur „Zuschauer“. Letzteres ist formal nicht falsch: Die Landeswahlleiterin arbeitet eigenständig und ehrenamtlich. Die Innenverwaltung von Andreas Geisel (SPD) führt lediglich die Rechtsaufsicht, schaut also, ob das Handeln legal ist – nicht, wie gut oder schlecht jemand seinen Job macht.

Sie wurde 2009 durch den Senat bestellt

Petra Michaelis arbeitet aber nicht in einem luftleeren Raum – auch wenn das die Politik (verständlicherweise) gern so darstellen würde. Sie wurde als Wahlleiterin durch den Senat bestellt, so sieht es die Landeswahlordnung vor. Und schon im Jahr 2009, auf Vorschlag der Innenverwaltung.

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Die Liste der Berliner Wahlpannen seither liest sich eindrucksvoll: 2011 wurden wegen falscher Auszählungen Parlamentssitze wieder aberkannt. 2016 gab es vor der Abgeordnetenhauswahl Probleme mit der Software, nicht einmal der Ausdruck der Wählerverzeichnisse funktionierte zunächst. 2017 bei der Bundestagswahl streikte wieder die Software. Erst in der Nacht lief das System wieder. Deutschland wartete auf Berlin.

Und dann noch der Marathon!

Abberufen werden kann Michaelis wohl trotzdem nicht, ihre Bestellung ist unbefristet. Das soll Unabhängigkeit garantieren. Und doch trägt der Senat Mitverantwortung.

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Zusätzlich zur Superwahl nickten die Verantwortlichen einen zeitgleich stattfindenden Marathon ab. War das Gedankenlosigkeit oder Wird-schon-schiefgehen- Mentalität?

Der Lauf war sicher nicht das Hauptproblem, aber er sorgte dafür, dass etwa Stimmzettelnachschub nicht rechtzeitig zu den Wahllokalen durchkam.

Wenn Menschen nicht wählen können, obwohl sie wollen, wenn falsche Stimmzettel ausliegen, ist das nicht nur ein kleiner Fehler. Dann lief diese Wahl in Teilen irregulär. Die Landeswahlleiterin sollte deshalb nach Klärung der Vorwürfe von ihrem Ehrenamt zurücktreten – und Schaden von der Funktion abwenden. Der Senat sollte das wichtige Amt verantwortungsvoll neu besetzen.

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