Berliner zahlen mehr für ihre Wohnung als gedacht: Der Mietspiegel gibt zu niedrige Preise an
Ein Statistik-Professor hat nachgerechnet: Tatsächlich zahlen Bewohner bis 1,55 Euro mehr pro Quadratmeter. Dies belegen Daten des Mikrozensus.
Die tatsächlich bezahlte und ortsübliche Miete in Berlin liegt nach einer Expertise des Statistik-Professors von der Freien Universität Berlin, Ulrich Rendtel, um bis zu 1,55 Euro je Quadratmeter höher als der Mietspiegel 2019 ausweist.
Dies errechnete er bei der Auswertung der von Berliner Haushalten bei der Befragung zur Erstellung des Mikrozensus gemachten Angaben zu ihren Mieten.
Auch der Mietspiegel ermittelt seine Durchschnittswerte aus Befragungen. Allerdings seien die Ergebnisse aus dem Mietspiegel wegen der geringen Teilnahmebereitschaft von Mietern und Vermietern verfälscht. Die Ergebnisse des Mikrozensus seien im Gegensatz dazu wegen nahezu 100-prozentiger Teilnahme repräsentativ für die Berliner Haushalte. Seine Studie hat Rendtel nun in der „Zeitschrift für amtliche Statistik“ veröffentlicht.
Der Mietspiegel ist auch nach Einführung des Mietendeckels das wichtigste Instrument zur Regulierung des Wohnungsmarktes. Er dient zur Bemessung der Miete von Neubauten der Baujahre 2014 und folgende, für die das Mietendeckel-Gesetz nicht gilt. Außerdem rechnen die Vermieter fest damit, dass der Mietendeckel gegen die Verfassung verstößt und vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird – die Prüfung in Karlsruhe läuft gegenwärtig. Sollte das Gericht das Gesetz kippen, ist der Mietspiegel wieder Maßstab für alle Mieten in Berlin.
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Vor ihrem Rücktritt am Sonntagabend hat Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) jüngst die Verbände zur Erstellung des neuen „Mietspiegel 2021“ eingeladen.
„Der Mietspiegel unterschätzt die ortsüblichen Mieten“, sagt Rendtel. Das liege an der hohen Rate von fehlenden Antworten auf die Mietspiegel-Umfrage: Nur zehn Prozent der befragten kleinen Vermieter antworteten überhaupt, und auch nur eines von zwei großen Wohnungsunternehmen reagiere auf Mietspiegel-Umfragen. Bei den Mietern liege die „Response-Rate“ bei gerade mal fünf Prozent.
Der Mietenspiegel braucht einen Realitätscheck
Da bei den Vermietern mit großen Wohnungsbeständen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften dominieren, wiesen auch die Vermieterstichproben eher niedrigere Mieten aus, als am Markt bezahlt werden. Und deshalb weise der Mietspiegel die „ortsübliche Miete“ in falscher Höhe aus, erklärt Rendtel.
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Laut Mietspiegel 2019 beträgt die ortsübliche Miete in Berlin durchschnittlich 6,72 Euro je Quadratmeter. Die Auswertung des Mikrozensus dagegen kommt für alle Mieten sogar ohne Berücksichtigung der im Mietspiegel festgelegten Voraussetzung (dass die Vertragsmiete in den vergangenen vier Jahren erhöht oder gesenkt wurde) auf einem höheren Durchschnittswert von 7,03 Euro.
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Legt man im Mikrozensus ausschließlich Verträge zugrunde, die in den vergangenen vier Jahren neu abgeschlossen wurden, beträgt die ortsübliche Miete sogar 8,58 Euro. „Würde man die Systematik des Mietspiegels zugrunde legen, käme man auf eine reale ortsübliche Miete zwischen 7,03 und 8,58 Euro“, sagt Rendtel.
Sicher ist: Die Berliner zahlen mehr als die konstruierte Miete, die der Mietspiegel als ortsüblich vorgibt, und wahrscheinlich sehr viel mehr. Zweifel an der Genauigkeit der Mikrozensus-Daten kann Rendtel nicht erkennen: „Der Mikrozensus ist eine Erhebung mit Teilnahmepflicht, der Berliner Mietspiegel dagegen nicht“ – deshalb antwortete fast jeder Befragte auf die Mikrozensus-Erhebung.
Wer die ortsübliche Miete, über die Hauseigentümer und Mietervertreter so viel und oft streifen, nach „objektiven, wissenschaftlich nachprüfbaren Methoden“ angeben will, müsse sich diesem Realitätscheck stellen und die Fehler bei der Erstellung des Mietspiegels durch das Hinzuziehen statistischer Expertise beheben.