Paul Bokowski über sein Treffen mit Joachim Gauck: "Der Mann war extrem entspannt"
„Ich bin auch der Präsident der Weddinger“, hat Joachim Gauck neulich gesagt. Ist das so? Der Weddinger Autor Paul Bokowski hat Gauck getroffen. Mit dem Wedding-Blog spricht er über den Bundespräsidenten, die Integration und seinen Besuch im Schloss Bellevue.
In den Wedding ist er durch einen Zufall gekommen, weil er schnell eine Wohnung brauchte, damals, direkt nach dem Zivildienst. Elf Jahre später ist Paul Bokowski - größte Vorbilder: Woody Allen und Ephraim Kishon - einer der bekannteren Söhne des Stadtteils: bei Goldmann erschien im letzten Jahr seine Kurzgeschichten-Sammlung „Hauptsache nichts mit Menschen“ und selbst den Bundespräsidenten kennt er neuerdings persönlich.
Mitte März las Bokowski in der Bibliothek am Luisenbad für Joachim Gauck, der unter dem Motto „Unterwegs zum Miteinander“ Berliner Multikulti-Kieze besuchte. Abends lud Gauck dann zum Empfang ins Schloss Bellevue. Da interessiert natürlich: Wie war das denn so? Wie wirkt der Herr Bundespräsident? Und was hatte er den Weddingern zu sagen?
Bokowski, Sohn polnischer Einwanderer, Mitglied der legendären Lesebühne „Brauseboys“, hat für das Gespräch mit dem Wedding-Blog das Café Schraders in der Malplaquetstraße vorgeschlagen, hier gibt es gediegenes Ambiente zu Weddinger Preisen, Rinderbraten mit Kartoffelsalat 6,50 Euro. Bokowski trägt bordeauxroten Pulli über offenem Hemd, Schiebermütze und Bert-Brecht-Brille. „Bitte nicht siezen!“, hatte der Autor gleich als erstes in seine Antwortmail geschrieben. Na, da hätten wir doch auch schon die Einstiegsfrage:
Paul Bokowski, wie redet man den Bundespräsidenten an?
Das habe ich im Vorfeld tatsächlich eine der Organisatorinnen gefragt. Dass man „Herr Bundespräsident“ sagt, war mir schon klar, aber nicht, wen man zuerst begrüßt, ihn oder seine Lebensgefährtin Frau Schadt. Es gibt aber kein Protokoll, das geht nach persönlichem Empfinden. Ich habe dann den Bundespräsidenten zuerst begrüßt, einfach weil er als erstes auf mich zukam.
Joachim Gauck sagte beim anschließenden Empfang im Schloss Bellevue, er sei ja „auch der Präsident der Weddinger“. Wie sehen das denn die Weddinger?
Er hat ja Recht. Wobei ich die Aussage nicht so beeindruckend finde wie das, was Christian Wulff damals gesagt hat: „Der Islam gehört zu Deutschland“. So einen Meilenstein vermisse ich bei Gauck noch. Aber er ist ja fast Weddinger: Tiergarten, Wedding, wo ist denn da der Unterschied?
Das Schloss Bellevue im Wedding – interessante Vorstellung... Gauck betonte auch, dass er sich den Ort seines Amtssitzes nicht habe aussuchen können. Er scheint überhaupt gerne mit seiner einfachen Herkunft zu kokettieren.
Er kommt ja wirklich aus ganz einfachem Hause. Ich habe ihn als relativ humorvollen Menschen erlebt. Bei der Lesung hatte er seinen Spaß, und abends im Schloss Bellevue hat er sich mit seiner Lebensgefährtin richtig ins Getümmel geschmissen, was ich für das Alter und die Position durchaus beeindruckend fand. Sie hatten ja schon einen langen Tag hinter sich.
Bei Twitter schrieb jemand, du hättest mit Gauck „über den Wedding, Singvögel und Sex“ gesprochen. Da brauchen wir jetzt bitte jeweils das konkrete Thema...
Ich würde ja nicht alles so ernst nehmen, was die Leute so bei Twitter posten... Also, über Singvögel haben wir tatsächlich gesprochen, jemand aus dem Publikum erwähnte die Nachtigallen, die man im Wedding hört, aber Sex? Die Thematik habe ich in meinen Texten an dem Tag gemieden. Vielleicht abends, in Bellevue, da hat eine Gruppe aus dem Gorki etwas vorgetragen...
Was wusste Gauck über den Wedding?
Sicherlich das, worüber er vorher gebrieft worden war. Er schien die Problematiken zu kennen, die es hier gibt: die Bildungsproblematik, die alle Schichten durchzieht. Die Kriminalität hat er auch angesprochen, wobei ich mir nicht sicher bin, ob er sich die Statistik wirklich mal angesehen hat.
Inwiefern?
Es entstand der Eindruck, er hielte den Wedding für einen besonders gefährlichen Stadtteil – was ich ja nach elf Jahren Wedding absolut nicht unterschreiben will. Es gibt viel Drogenkriminalität, aber nicht so viel Gewaltkriminalität wie immer behauptet wird. Da sind ganz andere Bezirke Spitzenreiter, Friedrichshain zum Beispiel.
Wenn der Bundespräsident nach Neukölln, Wedding und Kreuzberg fährt, liegt erstmal der Verdacht nahe, dass da an einem Tag kaum die Oberfläche durchstoßen werden kann.
Er hat schon die richtigen Leute getroffen, diejenigen, die sehr nah am reellen Leben dran sind und auch was zu sagen haben - vor allem in Kreuzberg im Café Kotti und die Kiezmütter in Neukölln. Er ist ein extrem offener, nahbarer Typ. Der Mann war extrem entspannt. Es ging nicht um Publicity, sondern darum, die Leute zusammenzubringen, Nähe zu präsentieren, von beiden Seiten.
Hat das funktioniert?
Ich denke schon. Der Tag und der Abend im Schloss Bellevue, das war schon eine krasse Wertschätzung. Ich habe mir immer vorgestellt, dass meine Eltern dabei gewesen wären, die auch Zuwanderer sind, dass das wahrscheinlich eines der größten Ereignisse in ihrem Leben gewesen wäre. Leute, die mit Nichts in diesem Land angekommen sind und dann durch ihr eigenes Engagement dem Bundespräsidenten begegnen können...
Wäre Gauck ein guter Weddinger?
Tja. Gegenfrage: Was ist denn ein guter Weddinger?
Anders: Könnte man ihn sich hier gut vorstellen, würde er hier reinpassen, in dieses ein bisschen Liebenswerte und Rauhe, ein bisschen Urtümliche und Abgedrehte?
Das Abgedrehte und das Rauhe würde ich rausnehmen, aber sonst passt er ziemlich gut hier rein. Er ist sehr tolerant, er scheint auch ein dickes Fell zu haben. Toleranz und ein bisschen Egal-Haltung, das braucht man hier, um klar zu kommen, immer noch. Ich müsste ihn allerdings vorher mal ohne Anzug sehen... Es sei denn, er klebt sich auch noch einen türkischen Schnurrbart an, dann geht’s wieder.
Deine Geschichten leben vom Skurrilen. Die skurrilste Erinnerung an den Tag mit Joachim Gauck?
Beim Empfang im Schloss Bellevue gab es eine niederbayrische Band in Trachten, die türkische Volkslieder mit niederbayrischen Klängen adaptiert haben. Die holten dann nach ein paar Gläsern Wein noch mal ihre Instrumente raus, und es entstand eine völlig abgefahrene Partystimmung. Also Frau Schadt und Cem Özdemir beim türkischen Kreistanz, es haben wirklich alle getanzt. Ein türkischer Mann stand neben mir und hat alles gefilmt. Er sagte: „Das ist das Bizarrste, was ich je erlebt habe.“ Und so war es.
Klingt nach einer großartigen Party.
Ja, das war ganz toll. Ein sehr schöner, demokratischer Moment. Nur die Mitarbeiter vom Schloss Bellevue, die da seit 30 Jahren den Wein ausschenken, standen etwas irritiert im Hintergrund. Wahrscheinlich dachten die sich: Bei Weizsäcker hätte es das nicht gegeben...
In deinen Texten beschreibst du oft die kleinen Leute und ihre Schrullen. Wie viel Wahrheit steckt in deinen Geschichten?
Erschreckend viel. Manche Sachen sind reine Abschriften. Ich wurde mal ausgeraubt, da gab es einen bizarren Dialog, den musste ich einfach nur runterschreiben. Die besten Geschichten bietet der Alltag, und hier prallt eben noch mehr aufeinander. Zum Beispiel die Voll-krass-Kids und die Alten, deren Arme am Fensterbrett festgewachsen sind. Ist schon noch wilder hier.
Wie weit sind die Weddinger mit dem Miteinander?
Ich glaube weiter als in anderen Teilen von Berlin. Wegen der vielen Kulturen hier ist die Notwendigkeit viel größer, miteinander klar zu kommen. Was ich gerade mit meinem Hintergrund sehr gut finde: dass die Leute keine Scheu haben, ihre eigene Kultur zu leben. Meine Eltern haben ihre polnische Herkunft so gut es ging versteckt und verleugnet. Integration hieß damals Unterordnung. Das ist hier im Wedding anders.
Wie wichtig ist Humor in diesem Stadtteil?
Humor hilft, krasse Situationen zu ertragen. Deswegen halten sich die „Brauseboys“ seit mittlerweile elf Jahren. Weil sich die Leute jemanden wünschen, der ihren Alltag humoristisch verpackt.
Deine Eltern tauchen oft auf in deinen Geschichten. Hast du den Humor von ihnen?
Es wurde viel gelacht bei uns, das schon. Manchmal denke ich, dass der polnische Humor dem englischen ähnlicher ist als dem deutschen. Es geht viel darum, aus negativen Erfahrungen und bösen Situationen das Witzige herauszuholen. Aber meine Eltern-Texte funktionieren nicht deshalb, weil ich das Polnische in ihnen herauskehre, sondern das Elternhafte. Weil jeder seine eigenen Eltern wiedererkennt.
Zum Schluss klauen wir mal bei Maxim Biller: Hat Gott Humor?
Gute Frage. Wenn es ihn gibt, hoffe ich, dass er Humor hat, anders sind die krassen Dinge, die in der Welt passieren, ja gar nicht zu ertragen. Sonst müsste er einem ja alles übel nehmen.
Und Allah?
Ist für mich als Agnostiker ohnehin das gleiche. Wenn sie nicht sogar die gleiche Person sind, dann sind sie zumindest im gleichen Club. (überlegt kurz) Vielleicht haben Allah und Gott ja eine Standup-Bühne im Himmel und machen einmal die Woche Comedy, mit Jesus Christus und den Propheten. (lacht) Die Frage ist dann: Darf Buddha mitmachen? Naja, mit etwas Glück werden wir es eines Tages sehen.
Hast du Hoffnung in diese Richtung?
Ach, ich habe die Hoffnung, dass das hier irgendwann vorbei ist. Mir persönlich reicht das schon.
Paul Bokowski: "Hauptsache nichts mit Menschen" (Goldmann, 2013)
Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.