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Schusters Leistung. Einige der 19 Schauspieler, die das Musical in Köpenick im Sommer 2015 aufführen.
©  Sven Darmer/Darmer

Theater in Berlin: Der Hauptmann kommt nach Köpenick

Als Hauptmann leerte er die Köpenicker Stadtkasse. Jetzt wird Wilhelm Voigt dort zum Musicalstar. Das ist gut für den Tourismus.

Den falschen Hauptmann von Köpenick kennt wohl jeder, 109 Jahre nach seinem Bubenstück kommt er unmittelbar am damaligen Tatort auf die Bühne, singt und spielt seine Geschichte – in einem neuen Musical. Der Schuster Wilhelm Voigt sprach damals den schönen Satz: „Unterordnen – jewiss. Aber unter wat drunter?“ Wegen Kassenraubs in Köpenick wurde der Mann im Oktober 1906 steckbrieflich gesucht. Wer ihn einfängt, bekommt 3000 Mark Belohnung. Beschreibung: „50 Jahre alt, nach vorn gebeugte Kopfhaltung, das Gesicht gelb, krankhaft, hässlich, grauer, stark herabhängender Schnurrbart, scharf geformte Nase, etwas krumme, sog. O-Beine“.

Die halbe Welt lachte sich damals kaputt, wie ein verzweifelter einfacher Mann aus dem Volke die Preußische Ordnungstreue und Autoritätshörigkeit mit ihren eigenen Waffen schlägt – verkleidet als Hauptmann. Voigt, der arme Kerl, bekommt keine Aufenthaltsgenehmigung, solange er arbeitslos ist, aber er findet nur Arbeit, wenn er eine Aufenthaltsgenehmigung vorzeigen kann. Kommt einem das nicht irgendwie bekannt vor? Wie Produzent und Regisseur Heiko Stang die tragikomische Geschichte mit Gesang und Tanz zwei Stunden lang auf die Bühne bringen wird, kann ab dem 26. Juni 2015 in der Altstadt von Köpenick besichtigt werden.

Durch die hohen bunten Glasfenster im Ratsherrensaal, wo sich am Donnerstag die Hauptakteure der Köpenickiade-Crew vorstellten, signalisierte Baulärm vom Innenhof, dass die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen. Wo sich im Köpenicker Sommer die Jazzfreunde trafen, entsteht der „Köpenicker Rathaushof“, unüberdacht, mit einer zehn Meter breiten Bühne und 570 Plätzen davor.

Zweitausend Tickets seien schon geordert, gespielt wird jeweils Sonnabend und Sonntag vom 26. Juni bis 30. August, 19 Darsteller und sieben Musiker singen und spielen live, allesamt Profis, die gestern schon mal mit ihren Stimmen den Baulärm übertönten. Regisseur Heiko Stang arbeitet seit vorigem Jahr an der Musicalfassung, schrieb die Musik und die Texte für zwei Dutzend Lieder und sitzt auf dem Regiestuhl. Filme mit bedeutenden Mimen für die Paraderolle des Wilhelm Voigt und die literarische Vorlage von Carl Zuckmayer aus dem Jahr 1931 sind wichtige Vorgaben für dieses Vorhaben, „aber wir machen etwas vollkommen Neues mit der echten, alten Handlung“, sagt der Regisseur, und im Übrigen: „Berlin braucht jeden – ist doch ganz aktuell“.

Nachdem der 1. FC Union im Mittelpunkt eines Schauspiels steht, kommt nun mit dem Hauptmann eine zweite, ganz andere Lokalgröße auf die Bretter. Das ist gut für den Tourismus, der sich, nachdem er in der City Fuß gefasst hat, immer weiter in die Großstadtbezirke verlagert. Und da hat eigentlich jeder in Berlin etwas zu bieten.

Die Bezirke sind ja Großstädte mit ihren eigenen Geschichten. Oft haben Lokalgrößen, Originale, geniale Erfinder, weltbekannte Schauspieler oder große Dichter außerhalb des Zentrums gewohnt. Nicht jeder eignet sich als Musicalstar, manchmal tun es auch mehrere. Aber Köpenick könnte den neuen Start für eine alte Tradition geben: Wie viele kleinere Theater hatte diese Stadt in den zwanziger und dreißiger Jahren, wie viel hat sie heute?

Für eine kleine Ausstattungsrevue mit berlinerisch sprechenden Typen eignet sich der „Hauptmann“ ganz vorzüglich. Und da sind ja noch all die anderen, von Marlene Dietrich bis Claire Waldoff und Maxe Schmeling. Köpenick macht den Anfang. Und wer ist der Nächste?

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