Berliner U-Bahn: Der Fahrzeugmangel wird abgeschwächt
BVG-Aufsichtsrat billigt „Dringlichkeitsbeschaffung“ von 20 Vier-Wagen-Zügen - ohne vorherige Ausschreibung
Es hat geklappt: Die BVG darf einen ihrer ungewöhnlichsten Käufe auf den Weg bringen: die Anschaffung von U-Bahnen ohne vorherige Ausschreibung. Am Mittwoch hat der Aufsichtsrat die „Dringlichkeitsbeschaffung“ von 20 Vier-Wagen-Zügen bewilligt, mit der das Unternehmen die größte Not beim Fahrzeugmangel auf den Linien U 5 bis U 9 beheben will.
Fahrgäste spüren den Mangel schon lange. Züge fahren mit weniger Wagen als vorgesehen und sind entsprechend voll. Oder der Abstand zwischen den Fahrten wird größer, weil die BVG weniger Züge fahren lässt. Auch zu Ausfällen kann es kommen. Anders als die S-Bahn teilt die BVG dies ihren Fahrgästen nicht mit. Diese können nur raten, ob bei einem großen Abstand zwischen den Fahrten eine Verspätung vorliegt oder ein Zugausfall.
In Zugzwang ist die BVG, wie berichtet, jetzt gekommen, weil weitere Fahrzeugausfälle drohen. Beim Aufmöbeln von Zügen der Baureihe F 79, die Ende der 1970er Jahre gebaut worden waren, hatte man an sieben Fahrzeugen Risse entdeckt, die nur in einem sehr aufwändigen Verfahren beseitigt werden konnten. Von den insgesamt 35 Doppelwagen dieser Baureihe will die BVG mindestens 34 so instand setzen, dass sich noch einmal etwa acht Jahre durchhalten können. Eine Einheit war so desolat, dass die Arbeiten eingestellt worden waren. Und die Techniker der BVG schließen nicht aus, dass weitere Fahrzeuge vorzeitig schlapp machen und dem Betrieb dann auf Dauer fehlen.
Jahrelang hatten der Senat und die BVG sich davor gedrückt, neue – teure – Bahnen zu bestellen. Inzwischen haben sie ein Beschaffungsprogramm bis zum Jahr 2030 festgezurrt. Bevor die ersten Fahrzeuge auf den Schienen stehen, vergehen jedoch mindestens fünf Jahre. Der Auftrag muss europaweit ausgeschrieben werden; dann muss der neue Zug nach den Vorgaben der BVG entwickelt und gebaut werden. Und anschließend folgt vor dem Serienbau eine lange Testphase.
Die Fahrzeuge sind sofort abrufbar
Deshalb hatte die BVG die Idee mit der „Dringlichkeitsbeschaffung“. Wenn sie ihre Not nachweist, darf sie neue Züge auch ohne Ausschreibung beschaffen. Und die Fahrzeuge sind abrufbar. Die BVG kann auf den Typ zurückgreifen, den sie bei der Firma Stadler für die Linien U 1 bis U 4 bestellt hat, bei denen die Tunnel – und folglich die Züge – schmaler sind als auf den anderen Strecken von der U 5 bis zur U 9.
Weil dort der Fahrzeugmangel derzeit am gravierendsten ist, macht man diese Züge vorübergehend breiter: Durch Anbauten an den Türen und Seitenwänden, die den Spalt zum Bahnsteig überbrücken. Elf Züge mit diesem Umbau hat die BVG aus ihrem bestehenden Auftrag bereits bestellt; die ersten werden schon getestet. Nun sollen 20 weitere Vier-Wagen-Einheiten folgen. Sie können nur auf der U 5 (Hönow–Alexanderplatz) eingesetzt werden, weil es nur dort ausreichend lange Bahnsteige gibt. Die Acht-Wagen-Züge des so genannten Kleinprofils sind nämlich länger als die Sechs-Wagen-Einheiten des Großprofils.
Und ihr Einsatz ist in den breiten Tunneln unwirtschaftlicher als auf ihren Stammstrecken, sagt der TU-Fahrzeugexperte Markus Hecht. Je breiter ein Fahrzeug sei, desto geringer seien die Betriebskosten. Das Fahrzeuggewicht steige in Funktion der Länge mit der dritten Potenz, in Funktion der Breite aber nur etwa linear. Mit den höheren Kosten muss die BVG aber leben, weil sie keine andere Wahl hat.
Die Linie U 55 ist wieder geöffnet
Der eklatante Fahrzeugmangel hat ja schon dazu geführt, dass die BVG auf ihrer Stummellinie U 55 zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor drei längst ausgemusterte Oldtimer aus den 1950er Jahren reaktiviert hat, um die zuvor eingesetzten etwas moderneren Züge auf anderen Strecken fahren lassen zu können. Weil die zwei bisher in den Tunnel gehievten Oldies und ihr neueres Pendant aber Defekte hatten, musste die BVG den Betrieb auf der U 55 von Sonnabend bis zum gestrigen Mittwoch einstellen. Der Schaden an der Bremsanlage des neueren Zuges sei behoben, und anders als angenommen hätten auch bei einem Oldtimer die Räder im Tunnel gewechselt werden können, sagte Sprecherin Petra Reetz. Diese Züge hatten so genannte Flachstellen, die beim Bremsen entstehen können, weil die alten Typen keinen Gleitschutz haben. Der dritte Oldie, der noch kommen soll, ist damit ausgestattet. Eine Sorge weniger.