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Zur Geisterbahn droht das BVG-Netz zu werden, weil dem Verkehrsbetrieb die Reservekapazitäten ausgehen.
© Getty Images/iStockphoto

Notstand bei Berliner U-Bahnen: BVG braucht dringend neue Wagen

Es gibt zu wenige U-Bahnen in Berlin. Die Verkehrsbetriebe rufen den Notstand aus – um schneller neue Wagen zu bekommen.

Die BVG ist jetzt auch offiziell in Not: Weil ihr Fahrzeugmangel bei der U-Bahn so groß ist, dass ihr die Reserven auszugehen drohen, will das Unternehmen mit einer ungewöhnlichen Aktion schnell an neue Fahrzeuge kommen. Mit einer „Dringlichkeitsbeschaffung“ will sie die vorgeschriebene europaweite Ausschreibung für den Millionenauftrag umgehen und weitere 20 Vierwagen-Züge der Baureihe IK bei Stadler in Pankow bestellen.

Der Vorstand hat das Vorhaben bewilligt; der Aufsichtsrat muss aber noch zustimmen. Für den Kauf neuer Fahrzeuge hat die BVG bereits Ende 2015 eine Finanzierungsgesellschaft gegründet, die zunächst Kredite aufnehmen kann. Von 2020 an will dann der Senat das Konto mit Zuschüssen von zunächst jährlich 99 Millionen Euro füllen.

Sechs statt acht Wagen auf der U2

Wie eng es beim Fahrzeugbestand inzwischen geworden ist, zeigt sich bereits im Alltag. Am Dienstag fuhren sogar auf der nachfragestarken Linie U 2 (Pankow–Ruhleben) Züge mit sechs statt acht Wagen. Sie waren eng gefüllt. Und auf anderen Linien wie der U 9 (Osloer Straße–Rathaus Steglitz) fallen immer wieder Fahrten sogar aus.

Jahrelang hatten sich der jeweilige Senat und die BVG davor gedrückt, Geld für neue Bahnen auszugeben. Stattdessen wurden die alten Typen aufgemöbelt. Bei den Bahnen für die Linien U 5 bis U 9 mit den 2,65 Meter breiten Fahrzeugen ist das auch für die Baureihen F aus den Jahren 1974 und 1976 auch gelungen, zum Teil mit auswärtiger Hilfe.

Probleme gibt es aber bei 35 Doppelwagen der Reihe F 79. Sie waren einfacher – und billiger – konstruiert worden. Lange war unklar, ob sie überhaupt noch am Laufen gehalten werden können. Inzwischen ist das erste Dutzend instandgesetzt worden. Dabei habe man auch Gutachter eingeschaltet, sagte der stellvertretende Betriebsleiter U-Bahn, Eberhard Hempel. An sieben Fahrzeugen habe man unerwartete Risse an den sogenannten Querträgern entdeckt, die nur in einem komplizierten Verfahren beseitigt werden konnten. Dabei habe die BVG auch mit der Schweißtechnischen Versuchsanstalt Halle zusammengearbeitet.

In der Hauptwerkstatt Seestraße hat die BVG zur Instandsetzung der Fahrzeuge extra einen Prüfstand aufgebaut. In der Regel dauerten die Arbeiten pro Doppelwagen vier bis fünf Monate, sagte Hempel. In der Zeit fehlten sie im Betrieb. Eine Einheit war so heruntergekommen, dass die Aufarbeitung abgebrochen worden sei. Doch weil die BVG jedes Fahrzeug brauche, sei nicht ausgeschlossen, dass man es am Ende des Programms vielleicht auch mit diesem noch einmal versuche, sagte Hempel. Erfahrung habe man dann schließlich.

Fahrzeuge könnten vorgesehene acht Jahre nicht durchhalten

„Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass die Fahrzeuge die vorgesehenen acht Jahre nicht durchhalten werden“, schränkte Hempel ein. Und deshalb sei die „Dringlichkeitsbeschaffung“ notwendig, sagte Unternehmenssprecherin Petra Reetz. Nur so lasse sich bei größeren Ausfällen der Verkehrsvertrag mit dem Senat erfüllen, der zudem auch bei der U-Bahn das Angebot erweitern will.

Weil vom Kauf-Beschluss bis zum Ausliefern der ersten Züge rund fünf Jahre vergehen, will die BVG bei der „Dringlichkeitsbeschaffung“ auf Fahrzeuge zurückgreifen, wie sie sie bereits für die Linien U 1 bis U 4 mit den schmaleren Typen bestellt hat. So kann eine europaweite Ausschreibung umkurvt werden.

Zwei je vierteilige Vorserienfahrzeuge vom Typ IK, „Icke“ genannt, werden seit 2015 getestet. 27 Fahrzeuge sind fest bestellt. Weil der Mangel auf den Linien mit den breiteren Zügen aber besonders groß ist, lässt die BVG für diese Strecken bereits elf weitere Züge so bauen, dass sie dort eingesetzt werden können. Sie erhalten abgeschrägte Metallanbauten, die den Spalt zum Bahnsteig überbrücken. Diese lassen sich später entfernen.

Jetzt will die BVG weitere 20 vierteilige Einheiten dieses Typs für den Einsatz auf der Linie U 5 (Hönow–Alexanderplatz) bestellen. Nur dort sind die Bahnsteige lang genug. Ein Acht-Wagen-Zug der schmalen Baureihe ist insgesamt länger als eine Sechs-Wagen-Einheit des größeren Bruders. In den schmaleren Zügen gibt es allerdings auch weniger Platz.

Ausrangierte Wagen aus den 1950ern aufgefrischt

Die Not ist so groß, dass die BVG bereits für die Linie U 55 (Brandenburger Tor–Hauptbahnhof) drei längst ausrangierte Doppelwagen aus den 1950er Jahren wieder auffrischen ließ. Sie sollen dort fahren, bis der Lückenschluss zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz geschafft ist – wahrscheinlich Ende 2020. Die vorher eingesetzten jüngeren Züge fahren wieder auf den Stammlinien.

Auch 2009 war die Lage schon mal so dramatisch, dass die BVG ernsthaft prüfen ließ, ob die Linien U 3 (Nollendorfplatz–Krumme Lanke) und U 4 (Nollendorfplatz–Innsbrucker Platz) eingestellt werden müssen, weil Züge fehlten. Der Senat ließ sich dann aber doch erweichen und machte das Bestellen der „Icke“-Generation möglich.

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