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Das Haus der Deutschen Rentenversicherung in Wilmersdorf wurde 2013 saniert, um es von Asbest zu befreien.
©  Olaf Wagner/Imago

Wohnungsbaugesellschaften: Der Berliner Westen hat ein Asbest-Problem

Mehr als 40.000 Wohnungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind mit Asbest belastet, am stärksten betroffen ist Neukölln. Bis 2030 will der Senat den Schadstoff entfernen.

Allen Klischees zum Trotz: Asbest ist in Berlin ein West-Problem. Noch immer sind 41.000 Wohnungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit Asbest belastet, mehr als 80 Prozent davon liegen im Westen der Stadt. Das geht aus einer Anfrage des Abgeordneten Andreas Otto (Grüne) hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.

Asbestfasern sind tausend Mal kleiner als ein menschliches Haar und können tödlich sein. Sie verursachen schwere Schäden in der Lunge, die erst Jahrzehnte später auftreten. Seit 25 Jahren ist der Baustoff deshalb verboten. Doch die Asbestentfernung kommt nur schleppend voran.

In Berlin sind in den Jahren 2016 und 2017 gut 7000 asbestbelastete Wohnungen saniert worden. Andreas Otto ist baupolitischer Sprecher bei den Grünen und setzt sich seit vielen Jahren für die Betroffenen ein. Meistens seien es Fußbodenplatten, die Asbest enthalten, sagt er. Deswegen auch der Unterschied zwischen Osten und Westen: Diese Floor-Flex-Platten gab es in der DDR nicht.

"Es herrscht ein Informationswirrwarr"

Für die Mieter der betroffenen Wohnungen bedeutet ein Asbestfund erst einmal große Unsicherheit. Denn, so erklärt Otto, wenn ein Betroffener den Stoff in seiner Wohnung findet, gäbe es keine zentrale Anlaufstelle, wo er Hilfe bekommt. Mieter würden von Behörde zu Behörde geschickt. „Es herrscht ein Informationswirrwarr“, sagt Otto.

Das Thema Asbest hat es immerhin in den Koalitionsvertrag geschafft. Mitte Januar haben SPD-, Linke-, und Grüne-Fraktion einen ersten Schritt getan und einen entsprechenden Antrag zu asbestfreiem Wohnen in Berlin eingereicht. Bereits im Dezember hatte das Abgeordnetenhaus für den Aufbau einer Asbestberatungsstelle 120.000 Euro für 2018 und 180.000 Euro für 2019 beschlossen.

Am stärksten in Berlin von Asbest betroffen ist den neuen Zahlen der Wohnungsbaugesellschaften zufolge der Bezirk Neukölln. Über 9500 Wohnungen in Hand der degewo, Gewobag, Stadt und Land und der Berlinovo sind asbestbelastet. In Schöneberg-Tempelhof sind es über 8000. In Pankow und Lichtenberg befinden sich keine bekannten Wohnungen mit Asbest, in Treptow-Köpenick sind es lediglich sieben.

Keine konkreten Zahlen

Bei den größten Berliner Gesellschaften degewo und Gewobag sind rund 20 Prozent des Bestandes betroffen. Was in den Aufzählungen des Senats fehlt, sind die Angaben der Wohnungsbaugesellschaft Gesobau und der HoWoGe. Letztere meldet, dass ihr Bestand nahezu vollständig saniert sei. Die Gesobau teilt mit, dass sie keine konkreten Angaben machen könne, weil flächendeckende Gutachten nicht existieren. Auf Nachfrage des Tagesspiegels heißt es, dass in den vergangenen elf Jahren in rund 5000 Leerwohnungen eine Asbestsanierung in sämtlichen Räumen durchgeführt wurde.

Auch von den privaten Eigentümern gibt es keine Zahlen. Otto geht davon aus, dass es zusätzlich zu den 40.000 landeseigenen noch einmal genau so viele asbestbelastete Wohnungen in privater Hand gibt. Beim Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen für Berlin und Brandenburg kann man zum Thema Asbest nichts sagen. Das regelten die Mitglieder individuell, heißt es auf Anfrage.

Bei der Deutsche Wohnen, einer der größten Wohnungsbaugesellschaften in Berlin, gibt man auch keine konkreten Zahlen heraus. Asbest komme „immer mal wieder“ vor, heißt es dort. Wenn eine Wohnung saniert würde, werde sie auch darauf untersucht und der Baustoff dann gegebenenfalls entfernt.

"Viele Vermieter reagieren gar nicht"

Beim Berliner Mieterverein suchen noch immer viele Menschen Hilfe, die fürchten, die gefährlichen Fasern in ihrer Wohnung zu haben. Ihnen wird empfohlen, zunächst eine Vorabprobe zu nehmen. „Viele Vermieter reagieren gar nicht, wenn wir sie wegen Asbestfund anschreiben“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Mietervereins.

Problematisch wird es, wenn der Eigentümer den Asbest bei der Vermietung verschwiegen hat. Beseitigen muss er ihn erst, wenn er beschädigt ist — erst dann liegt ein Mangel vor. Denn ist der Asbest fest in den Fußbodenplatten oder anderen betroffenen Bauteilen gebunden, können keine Fasern austreten und es besteht keine Gefahr. Doch wenn ein Mieter unbedarft ein Loch bohrt, kann das asbesthaltige Material beschädigt werden. Dann kann er die Miete mindern.

Wie hoch dazu die Konzentration an Asbest in der Luft sein muss, ist nicht festgelegt. Experten wie der Anwalt Sven Leistikow argumentieren, das von einer einzigen Faser bereits eine Gefahr für die Bewohner ausgehen könnte. Grenzwerte gibt es nur für den Arbeitsplatz.

Bei einer Überschreitung von 15.000 Fasern pro Quadratmetern sind zusätzliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen – etwa auf Baustellen.

1500 Menschen starben an Asbest-Folgen

Nach Angaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, die Todesfälle in Folge von Berufskrankheiten dokumentiert, starben 2016 rund 1500 Menschen an den Folgen von Asbest. Für den Kontakt im Privaten wie zum Beispiel in Wohnungen gibt es keine Zahlen.

Damit Mieter sich besser informieren können, will Rot-Rot-Grün ein öffentlich einsehbares Register schaffen, dass sowohl die belasteten als auch die sanierten Wohnungen anzeigt. So könne jeder überprüfen, ob es im Haus oder in der Umgebung Asbestfälle gegeben habe, sagt Otto. Das Register ist für ihn ein wichtiger Schritt hin zu einem transparenteren Umgang mit dem Problem.

Das europäische Parlament hatte bereits 2013 in einem Entschluss mehr Transparenz der Vermieter gefordert. Bis 2028 sollen die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten einen Aktionsplan zur Beseitigung des Schadstoffs vorlegen.

Asbestfrei bis 2030

Bundesweit ging es im „Nationalen Asbestdialog“ im Sommer 2017 um etwaige Maßnahmen zum Umgang mit Asbest. Dabei waren Vertreter verschiedener Interessensgemeinschaften wie Bauherren, Sachverständige und Behörden anwesend. Der Abschlussbericht soll im März veröffentlicht werden.

Die Berliner Regierung will bis 2030 den Asbest aus der Stadt entfernt haben. Andreas Otto wünscht sich, dass diese Bemühungen schon früher passiert wären. „Wenn bereits die letzten zehn Jahre für diese Aufgabe intensiv genutzt worden wären, könnte Asbest im landeseigenen Wohnungsbestand schon weitgehend Geschichte sein“, sagt Otto. Zumal es damals reibungsloser hätte verlaufen können.

Denn die Mieter müssen in Ersatzwohnungen ziehen. „Jetzt gibt es keine freien Wohnungen mehr.“ Das habe zur Folge, dass immer nur einzeln saniert werde, wenn eine Wohnung frei würde. „Früher war das für einen kompletten Aufgang möglich.“

So oder so, die Sanierungen kosten den Eigentümer Geld – bis zu 10.000 Euro, je nach Wohnungsgröße. Um einen Anreiz zu schaffen, könnte der Staat die Entsorgungskosten übernehmen, so Ottos Überlegungen. So ließe sich auch eine ordentliche Entsorgung sicherstellen. Denn nur dann bleiben die gefährlichen Fasern aus der Luft verschwunden.

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