Was mehr zählt als Passagierzahlen: Der BER soll die Stadt sicherer machen
Der BER wurde auch aus Sicherheitsgründen vor den Toren der Stadt geplant. Ein zentraler Aspekt, der in den Tegel-Retten-Debatten zu kurz kommt. Eine Kolumne.
Engelbert Lütke Daldrup, der Chef der Berliner Flughagengesellschaft, hat nichts gegen Festivitäten. Vor allem nicht am 31. Oktober. Da hat er Geburtstag. Aber 2020 wird es etwas anders sein. Denn am 31. Oktober 2020 soll der neue Flughafen BER eröffnet werden. Ein heikler Termin. Krachen lassen möchte ELD es am 31. Oktober 2020 dennoch. Und zwar zum Abschied vom Flughafen Tegel. Ein Dankeschön-Feuerwerk – sozusagen als Referenz an einen Flughafen, der zuverlässig über alle Kapazitäts- und Laufzeitgrenzen hinweg vielen Millionen zu einem glatten Start und einer glatten Landung verhalf.
Dass es am 31. Oktober 2020 so kommt, wüschen viele, aber nicht alle. Am rigorosesten ist der CDU-Obmann im BER- Untersuchungsausschuss, Christian Gräff. Er glaubt nicht an eine pünktliche Eröffnung in Schönefeld und forderte im Juni für den Fall einer neuerlichen Verschiebung einen sofortigen, endgültigen Baustopp für den BER. Außerdem statt der Schließung eine Renovierung von Tegel und Schönefeld-Alt sowie die umgehende Suche nach einem neuen Standort für einen ostdeutschen Großflughafen im Umfeld Berlins.
Das Urteil aus Leipzig wird umgedeutet
Die Berliner FDP, die sich mit dem Thema „Tegel-Retter“ bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2016 über die Fünf-Prozent-Hürde hievte, und den erfolgreichen, aber rechtlich folgelosen „Volksentscheid Pro Tegel“ entscheidend propagierte, hat in diesem Jahr auch die liberale Bundestagsfraktion für dieses Anliegen mobilisiert. Mit der Forderung an die Bundesregierung, den bestehenden Beschluss der Flughafengesellschafter Bund, Berlin, Brandenburg zur Schließung von Tegel und Tempelhof zu kippen, befasste sich der Verkehrsausschuss des Bundestages gerade noch im Dezember. Sechs von acht geladenen Gutachtern lehnten das ab.
Die CDU hatte sich dieser Marschrichtung, die bei Wahlen so erfolgreich gewesen war, lange angeschlossen, verließ aber nun 2019 mehrheitlich den FDP-Pfad. Reinickendorfs Bürgermeister Frank Balzer, sonst in allen Belangen klar auf Unionslinie, hatte da nie mitgemacht. Balzer ist Realpolitiker, Respekt für Recht und Gerichte steht bei ihm in der Flughafendebatte ganz oben.
Balzer hat etwas auf seiner Seite, was ein demokratisch und rechtsstaatlich gesonnener Bürger immer im Blick haben sollte: nämlich die Achtung vor der Unabhängigkeit der Gerichte. Als das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im März 2006 sein Plazet für den Bau eines neuen Flughafens in Schönefeld gab, hatte es – anders als heute die FDP und Teile der CDU – nicht ausschließlich Passagierzahlen im Blick, sondern die Sicherheit der Menschen, der Stadt und der Region vor Lärm und anderen Gefahren für Leib und Leben. In den opponierenden politischen Kräften wird aber bis heute so getan, als sei es bei der Entscheidung für den BER vor allem um Passagierzahlen gegangen. Das ist ein Irrtum.
"Die Bevölkerung in besonderem Maße belastend"
Das Gericht hat mehrfach und unübersehbar betont, dass die Entscheidung für den BER und die Schließung von Tegel und Tempelhof die Gefahr von Unglücken und Lärmbelästigungen von drei auf nur noch einen Flughafenstandort reduzieren sollte. Das Gericht schloss sich der Beispielrechnung an, dass die Konzentration auf nur noch einen Flughafen die Zahl der Lärmbelästigten von 136.000 auf 31.000 reduzieren würde. Auch wenn dies die Zahlen von 2006 sind, werden sie in der Relation bei der Fortschreibung bis heute nicht falscher, denn die Bewohnerzahl in der Einflugschneise von Tegel ist gestiegen und nicht gesunken. Das Gericht benannte damals Tegel und Tempelhof als „zwei im hochverdichteten innerstädtischen Gebiet liegende Flughäfen“. Das sei ein „die Bevölkerung in besonderem Maße belastende(s) Flughafensystem“.
Kein Volksentscheid kann eine solche unangefochtene Tatsachenfeststellung eines Bundesgerichtes aus der Welt schaffen. Eine andere Bewertung wäre nur möglich, wenn sich die Fakten selbst verändert hätten. Das wird ernsthaft weder in der FDP noch in der CDU oder bei allen anderen Tegel-Freunden jemand behaupten können. Zu letzteren gehört der Verfasser dieser Zeilen auch. Er respektierte aber immer das Urteil aus Leipzig.
Gerd Appenzeller