Barrierefreiheit in Berlin: Denkmalschutz: Kein Zugang für alle?
Wahrzeichen wie die Siegessäule sind für Rollstuhlfahrer schwer zu erreichen. Um Barrierefreiheit und Denkmalschutz zu vereinen, sind kreative Lösungen gefragt.
An einem kalten, sonnigen Tag im Winter sitzt Christian Grothaus am Großen Stern und schaut zur Siegessäule hoch. Zwischen ihm und dem Wahrzeichen liegen keine hundert Meter. Und doch ist diese Distanz für ihn kaum zu überwinden. Um den schönen Blick über den Tiergarten schweifen zu lassen, klettern jährlich schätzungsweise 300.000 Besucher die 285 Stufen zur goldenen Victoriaskulptur hoch.
Doch Grothaus ist dieser Genuss verwehrt, denn die Goldelse ist nicht barrierefrei. Zu erreichen ist sie nur über Treppen und Tunnelgänge, die unter dem Kreisverkehr hindurchführen. „Deswegen meide ich Denkmäler. Die sind meistens nur schwer zu erreichen“, sagt Grothaus. Der 35-Jährige sitzt schon sein Leben lang im Rollstuhl. „Natürlich ist das unpopulär“, sagt er, „aber an der Siegessäule sollte eigentlich ein Fahrstuhl sein, damit auch Behinderte hinaufkommen. Das wäre echte Inklusion.“
Ein Fahrstuhl an der Siegessäule?
Kann man sich das vorstellen, einen Fahrstuhl an der Siegessäule? Ob vorstellbar oder nicht, einem solchen Umbau stünde jedenfalls der Denkmalschutz entgegen. Und damit ist das Wahrzeichen auch Sinnbild eines äußerst schwer zu lösenden Konflikts. Der Denkmalschutz ist dem Erhalt von historischen Gebäuden verpflichtet. Ihm gegenüber steht im Sinne der Gleichberechtigung das Recht aller, an diesen Gebäuden teilzuhaben.
Für Grothaus geht in Berlin in Sachen Barrierefreiheit schon eine ganze Menge. „Die meisten U- und S-Bahnhöfe sind ja mit Rollstuhl zu erreichen und hier in Mitte sind die Straßen gut zu berollen. Nur bei Denkmälern muss noch einiges passieren. Da sollte die Barrierefreiheit stärker wiegen.“
Als erstes Gesetz seiner Art in Deutschland stellte 1999 das Berliner Denkmalschutzgesetz klar, dass die Belange von Menschen mit Behinderungen von den Behörden „berücksichtigt“ werden müssen. Allerdings erst, wenn die Bauten wesentlichen Veränderungen unterzogen werden. Damit sind vor allem Modernisierungen gemeint.
Wie eine Berücksichtigung der Barrierefreiheit im Einzelnen aussieht, bleibt der zuständigen Behörde überlassen. Betroffenenverbände oder auch die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen werden zwar angehört, haben aber keine rechtliche Möglichkeit, ihre Anliegen durchzusetzen. Eine Klagemöglichkeit der Behindertenverbände, wie es sie bei Neubauten gibt, existiert für Denkmäler nicht.
Schwer zu lösender Konflikt
Und werden die Belange der Betroffenen ausreichend berücksichtigt? „Aus meiner Sicht nicht“, sagt Dominik Peter. Der Vorsitzende des Berliner Behindertenverbands sitzt ebenfalls im Rollstuhl und wird beim Thema Barrierefreiheit emotional. „Die Denkmalschutzbehörden kümmern sich vor allem um den Erhalt der Gebäude, nicht um die Nutzung.“
Ein Kompromiss sei oft nur ein barrierefreier Zugang durch die Hintertür oder den Seiteneingang, aber eben nicht dort, wo alle anderen hineingelangten. „Menschen mit Behinderungen werden separiert. Das hat mit Inklusion nichts zu tun, das ist Gedankengut aus dem letzten Jahrhundert“, sagt er.
Den Vorwurf der Separation hält Ruth Klawun vom Berliner Landesdenkmalamt (LDA) für nicht gerechtfertigt. „Wir engagieren uns aktiv für Barrierefreiheit und suchen nach denkmalverträglichen, kreativen Lösungen“, sagt sie.
„Denkmäler sind einzigartig und in ihrer historischen Authentizität nicht reproduzierbar.“ Aus diesem Grund müsse immer geprüft werden, welche Auswirkungen eine bauliche Maßnahme auf das Denkmal habe. „Es gibt ein Recht der kommenden Generationen auf die authentische Bewahrung des kulturellen Erbes.“
Doch in Anbetracht des demografischen Wandels wird auch das Bedürfnis nach Barrierefreiheit immer größer. Immer mehr Menschen werden immer älter und sind in ihrer Mobilität eingeschränkt. Eine Treppe, die für viele Menschen einen Zugang bedeutet, ist für andere eine Ausgrenzung.
Denkmälern kommt aufgrund ihrer historischen Relevanz eine besondere Bedeutung zu. Das Erfordernis kreativer Lösungen ist damit besonders hoch. Und blickt man genauer hin, sind viele gute Ansätze zur Barrierefreiheit zu erkennen.
Kreative Lösungen sind gefragt
So zum Beispiel im Proviantmagazin, einem Gebäude der Zitadelle Spandau. Hier können die Besucher in der Ausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ echte Statuen und Büsten entdecken, die einst das Berliner Stadtbild prägten – und das vollkommen barrierefrei.
Der ebenerdige Bau ist nicht nur mit automatischen Türen ausgestattet, sondern verfügt auch über unterfahrbare Medienstationen, an die ein Rollstuhlfahrer besonders gut herankommt. Es ist auch für Sehbehinderte – dank betastbarer Übersichtspläne, spezieller Audioguides und einem besonders geschulten Personal – ein Erlebnis. Zudem können fast alle Exponate angefasst werden.
„Wir haben bisher eine gute Zusammenarbeit mit der Denkmalschutzbehörde erlebt. Auch bei der Barrierefreiheit wurde eine Menge möglich gemacht“, sagt die Museumsleiterin der Zitadelle, Urte Evert. Für sie ist es wichtig, dass beide Seiten, Betroffene und Behörden, ihre Interessen intensiv vertreten. „Nur so findet man wirklich zu einem guten Kompromiss.
Und dennoch, so musterhaft die Umsetzungen im Proviantmagazin auch sein mögen: Die barrierefreie Ausstellung ist eine, die nur über Barrieren zu erreichen ist. Der gesamte Fußgängerbereich der Zitadelle besteht aus holprigem Kopfsteinpflaster.
Was für Fußgänger bei Regen und Glätte zum Problem werden kann, ist für Rollstuhlfahrer praktisch nicht zu ertragen. „Das ist ein Riesenproblem, das ist demütigend und auch schmerzhaft“, sagt Museumsleiterin Evert. Sie wünscht sich auch hier eine barrierefreie Lösung. Doch finanziell hapert es noch. „Wir hoffen sehr, dass sich der Bezirk zeitnah unserer Zitadelle annehmen wird.“
Für Christian Grothaus ist das Problem das fehlende Bewusstsein. „Politische Entscheider sollten sich mal für ein paar Tage in den Rollstuhl setzen oder die Blindenbrille aufziehen. Dann würden sie sicherlich anders entscheiden“, sagt er, während er Unter den Linden an der Humboldt-Universität vorbeirollt.
In unmittelbarer Nähe stehen hier viele denkmalgeschützte Bauten. Manche von ihnen sind barrierefrei, andere nicht. Das Bewusstsein für die Relevanz von Barrierefreiheit ist noch nicht überall angekommen. Am Ende zählt für ihn jedenfalls nur eine Frage: „Ist einem das Gebäude wichtiger oder der Mensch, der in das Gebäude will?"
KREATIVE LÖSUNGEN BEI ALTEN UND NEUEN BAUTEN
Zur Pietà von Käthe Kollwitz, zu sehen in der Neuen Wache in Mitte (Unter den Linden 4), erleichtern seit zwei Jahren mehrere steinerne Rampen den Zugang für Rollstuhlfahrer. Durch den Einbau musste der Eingangsbereich erweitert werden, was nun für alle Besucher mehr Platz bedeutet.
In der neu renovierten Staatsoper gegenüber wurden extra Hebebühnen in den historischen Fußboden eingelassen, um kurze Stufenabsätze überwinden zu können. Neben elektrischen Türen, Aufzügen und behindertengerechten Toiletten finden sich hier auch Rollstuhlfahrerplätze und Schwerhörigenanlagen an jedem Platz, die mit dem Hörgerät verbunden werden können.
Beim Holocaust-Mahnmal gibt es zwischen den Stelen zwei begradigte Wege für Rollstuhlfahrer und einen Aufzug zum Museum.
Im Olympiastadion sind alle Ebenen barrierefrei zugänglich und es gibt Rollstuhlfahrerplätze.
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