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Der Gefängnistrakt in Tegel.
© Redaktion Lichtblick

Haftanstalt Tegel: Das weggeschlossene Problem

Wie steht es um die Tegeler Haftanstalt? Die Gefangenen spüren zwar erste Verbesserungen, dennoch wollen viele wegen menschenunwürdiger Zustände entschädigt werden.

Trotz massiver Kritik am Zustand der Justizvollzugsanstalt Tegel empfinden viele Gefangene die Haft im finanziell klammen Berlin weniger schlimm als etwa im besser ausgestatteten Bayern. „Zusammen kochen oder nach draußen telefonieren gibt es dort oft nicht“, sagen Häftlinge aus Tegel, die auch in anderen Bundesländern einsaßen. Wie berichtet, klagen viele Ex-Gefangene aus Tegel wegen 5,25-Quadratmeter-Zellen oder doppelt belegten Räumen auf Entschädigung wegen der Zustände. „Schön ist es in Tegel nicht, vor allem nicht die Häuser I, II und III“, sagen Häftlinge. „Aber besser als Acht-Mann-Zellen in Bayern.“ Auch in anderen Bundesländern bleiben Gefangenen oft nur sechs Quadratmeter. Anwälte berichten von „abenteuerlichen Anstrengungen“ ihrer Mandanten, um in der Hauptstadt inhaftiert zu werden.

Seit Berliner Verfassungsrichter 2009 erklärten, die Haftbedingungen in Tegel verstießen mitunter gegen die Menschenwürde, hat sich einiges getan. Anders als im Tagesspiegel gestern zu lesen war, ist Tegel seit 2010 nicht überfüllt. Im größten Gefängnis Deutschlands sind 1223 Männer untergebracht. Vor drei Jahren waren es 350 mehr, bei ebenfalls 820 Justizmitarbeitern. Doch trotz der Besserungen: Schadensersatzansprüche von Ex-Häftlingen bestehen mindestens drei Jahre. Und gerade die Kleinzellen im umstrittenen Haus I waren auch nach 2009 belegt. Eigentlich sollten Gefangene dort nur für die ersten Monate ihrer Haft leben, viele mussten länger bleiben. Allerdings gab es auch Gefangene, die nicht weg wollten, einige erklärten sich offiziell mit der Unterbringung einverstanden. Denn obwohl die Zellen in dem 1898 erbauten Haus „richtige Löcher“ sind, wie frühere Insassen sagen, hätte man nach einer Verlegung womöglich auf begehrte Anstaltsjobs verzichten müssen, etwa in der Wäscherei.

In Haus II saßen bislang zu kürzeren Strafen verurteilte Häftlinge, in Haus III Langzeitgefangene. „Auch wenn die Zellen größer sind, gibt es für viele Gefangene immer noch keine abgetrennten Toiletten“, sagt Anwalt Sebastian Scharmer. „Auch das ist menschenunwürdig.“ Haus IV beherbergt die Sozialtherapie. In den Häusern V und VI gab es bis 2011 die bei vielen Gefangenen beliebten Wohngruppen. Diese wurden nach dem Urteil 2009 aufgelöst. Um die Doppelbelegung zu beenden, wurden Gemeinschaftsräume zu Zellen umgebaut. Das kritisieren viele Häftlinge: Nach Abschaffung der Wohngruppen herrschten nun für fast alle Gefangenen die restriktiven Einschlusszeiten, die es zuvor nur in Haus I und III gegeben habe. „Wir bedauern sehr, dass die Wohngruppen aufgelöst wurden“, sagte ein Autor der Zeitung „Lichtblick“, die seit Jahrzehnten von Gefangenen herausgegeben wird.

Einheitliche Standards für den Strafvollzug fehlen hierzulande. Die in den 70er Jahren entworfenen Grundsätze werden in jedem Bundesland anders umgesetzt – nach Einschätzung von Juristen aber kaum irgendwo allumfassend. Berliner Urteile, erklärte Anwalt Scharmer, ließen sich nicht auf andere Anstalten übertragen. In jedem Einzelfall müssten Gerichte die Lage im jeweiligen Gefängnis prüfen: Wie lange saß der Häftling in einer zu kleinen Zelle? Hatte er keine konkrete Aussicht auf Verlegung? Waren Toiletten nicht abgetrennt? Wie lange war er zusammen mit anderen Gefangenen untergebracht?

Hoffnungen setzen Anwälte in das neue Strafvollzugsgesetz in Brandenburg. Die Gefängnisse dort sind schon jetzt nicht nur leerer (siehe Kasten), die Gebäude sind oft auch moderner und sauberer. Voraussichtlich ab 2013 werden Berliner Häftlinge in der neuen Anstalt Heidering im brandenburgischen Großbeeren untergebracht. „Ich hoffe, wir finden noch vor der Fertigstellung in Heidering eine Lösung für die Probleme in Berlin“, sagte der neue Justizsenator Thomas Heilmann (CDU). Auch die noch bestehenden Doppelbelegungen müssten aufgehoben werden, forderte Benedikt Lux, Rechtsexperte der Grünen.

Aus Justizkreisen war zu hören, der Senat wolle es auf Gerichtsprozesse ankommen lassen. Sollte das Land dabei unterliegen, könnten sich einige Justizmitarbeiter vorstellen, dass sich der Senat mit den Ex-Häftlingen außergerichtlich einigt, was hieße, ihnen bei Entschädigungsforderungen entgegenzukommen.

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